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Trotz Volksentscheid: Berlins Bürgermeister lehnt Enteignung ab

Eine Mehrheit der Berliner*innen hat für die Enteignung großer Immobilienkonzerne gestimmt. Die Antwort von Kai Wegner: Nein

Es ist selten, dass der Bürgermeister unserer schönen Stadt es in die internationalen Nachrichten schafft. Wenn er es tut, ist es in der Regel eine Peinlichkeit, wie zum Beispiel, als er einen israelischen Filmemacher des Antisemitismus beschuldigte. Kurz danach hatte Wegner den Tesla-Gründer Elon Musk, der immer wieder mit Antisemitismus-Vorwürfen in den Schlagzeilen landet, im brandenburgischen Grünheide quasi umarmt. Kai Wegner wäre gut geeignet, einen rechten Stammtisch in irgendeiner Kleinstadt zu leiten, aber als Repräsentant unserer kosmopolitischen Stadt wirkt er fehl am Platz.

Doch Wegner, Meister des leeren Lächelns und rassistischer Klischees, hat plötzlich einen Anflug von Ehrlichkeit erlebt, als er erklärte: »Mit mir als Regierendem Bürgermeister wird es Enteignungen von Wohnungsunternehmen in dieser Stadt nicht geben. Punkt.« Das ist neu.

Fast drei Jahre ist es her, dass eine große Mehrheit der Berliner*innen für die Enteignung großer Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen gestimmt hat. Das war unglaublich populär: 1.035.950 haben für die Vergesellschaftung gestimmt – und die Zahl wäre noch höher gewesen, wenn nicht über 20 Prozent der Berliner*innen etwa aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von der Wahl ausgeschlossen worden wären. Wegner ist weit weniger populär. Seine CDU erhielt bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus nur 428.228 Stimmen (Zweitstimme), vor allem aus den Vorstädten.

Red Flag

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

Read this arcticle in English.

In einer Demokratie würden Politiker*innen die Entscheidung der Wähler*innen umsetzen. Doch die Berliner Politik hat dazu anscheinend keine Lust. Stattdessen führten die Regierenden ein jahrelanges, völlig unglaubwürdiges Theater auf: Sowohl Wegner als auch seine sozialdemokratische Stellvertreterin Franziska Giffey versicherten, sie würden den Volkswillen in ein Gesetz umsetzen – sie bräuchten nur mehr Zeit!

Zuerst wurde eine »Expertenkommission« eingesetzt, die untersuchen sollte, ob das deutsche Grundgesetz Enteignungen zulässt. (Das können Sie in wenigen Sekunden selbst überprüfen, ohne Fachwissen.) Dann hieß es, man brauche ein »Rahmengesetz für die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen« als Vorstufe zu einem »Enteignungsgesetz«. Das stimmte nicht – und sie haben inzwischen zugegeben, dass sie auch nicht an dem Rahmengesetz gearbeitet haben. Endlose Verzögerungstaktik.

Deshalb verdient Wegner ein Lob dafür, dass er diese Scharade beendet hat. Er hat den Mut gehabt, indirekt zu sagen: Scheiß auf den Willen der Berliner*innen.

Derweil laufen die Berliner Vermieter weiter Amok. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Mieten in der Stadt um fast 19 Prozent. Viele Immobilienunternehmen weigern sich, auch nur die einfachsten Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, was zu dystopischen Szenen in den Wohnprojekten führt. Wie »nd« berichtete, wurde in der Weißen Siedlung in Neukölln nach einem Brand nicht einmal repariert!

Die Regierung Wegners hat stattdessen Wohnungen zu überhöhten Preisen zurückgekauft. Sie hat gerade 700 Millionen Euro für 4.500 Wohnungen an Vonovia gegeben. Dabei handelt es sich oft um Wohnungen, die die Stadt vor zwei Jahrzehnten zu Schleuderpreisen privatisiert hat. Die Investoren ließen die Immobilien verrotten – und verkaufen sie nun für ein Vielfaches des gezahlten Preises zurück.

Die Machenschaften zwischen Berliner Politiker*innen und Immobilienspekulanten sind so legendär, dass sie einen Namen haben: Berliner Filz. Ich frage mich oft, ob Wegner und seine Vorgänger*innen ihre rassistische Angstmacherei vor »Clan-Kriminalität« ernst meinen – für sie ist das wahrscheinlich nur ein bequemes Ablenkungsmanöver vom Misswirtschaften der öffentlichen Kassen.

Wenn es Geld zu verdienen gibt, lassen Berlins Machthaber die Demokratie links liegen. Das war schon beim Volksentscheid zur Bebauung des Tempelhofer Feldes der Fall.

Was mich beunruhigt, ist, dass die Menschen das Gefühl haben können, dass die »Demokratie« ihnen nichts als eine Wohnungskrise beschert, und dass sie sich deshalb der »Alternative« zuwenden, die von der extremen Rechten präsentiert wird. Die Ironie ist natürlich, dass die AfD enge Verbindungen zu milliardenschweren Spekulanten hat und die Dinge für Mieter*innen noch schlimmer machen will.

Echte Demokratie würde bedeuten, den Berliner Wohnungsmarkt unter öffentliche Kontrolle zu stellen. Echte Demokratie ist, wenn Massen von Menschen auf die Straße gehen, um ihre Interessen zu verteidigen. Wie bei der bevorstehenden Demonstration gegen den »Mietenwahnsinn« am 1. Juni.

Die englischsprachige Wohnungskampagne Right to the City lässt den Kopf nicht hängen. Sie haben mir erzählt, dass sie in letzter Zeit viele Erfolge bei der Anfechtung von Mieterhöhungen erzielt haben. Ihr Rat: »Organisiert euch! Kenne deine Rechte! Verklagen Sie Ihren Vermieter«. Die Kampagne zur Enteignung von Immobilienkonzernen organisiert derzeit eine Unterschriftenaktion, um ein Enteignungsgesetz direkt durchzusetzen.

Wegner ist übrigens doch für Enteignungen – um eine innerstädtische Autobahn durch Friedrichshain zu bauen. Als ob er Enteignungen nur dann ablehne, wenn das Ziel bezahlbare Mieten sind.

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