Das verschwundene Wasser der Venus

Unser Nachbarplanet war nicht immer so extrem trocken wie heute

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 4 Min.
Heiß und extrem trocken: die Oberfläche der Venus
Heiß und extrem trocken: die Oberfläche der Venus

Während man sich auf der Erde vielerorts an Wasser in verschiedenen Aggregatzuständen erfreuen kann, fehlt es auf der benachbarten Venus fast vollständig. Hinzu kommt, dass es auf der wenig kleineren und leichteren Venus mehr Deuterium gibt, schweren Wasserstoff, der in seinem Atomkern zusätzlich ein Neutron enthält, als durch die relativen Häufigkeiten im Sonnensystem erklärt werden kann. Kurz: Der Wasserstoffhaushalt der Venus gab bislang Rätsel auf.

Neue Studien zeigen, dass ein bisher übersehener chemischer Prozess für den Verlust von atmosphärischem Wasser beziehungsweise Wasserstoff der Venus verantwortlich sein könnte.

Um dem Gravitationsfeld eines Körpers zu entkommen, muss die Geschwindigkeit eines Objekts größer sein als seine sogenannte Fluchtgeschwindigkeit – das gilt für Raketen genauso wie für Gasteilchen. Dabei hält die Gravitation schwere Atome und Moleküle stärker zurück als leichtere. Auf Planeten tragen eine Vielzahl von Vorgängen zum Verlust von Atmosphärengasen bei: Thermische Prozesse etwa heizen die Atmosphäre auf und erhöhen so die Bewegungsenergie und Geschwindigkeit der Teilchen. Durch photochemische Prozesse können Moleküle in einer Weise verändert, etwa aufgespalten, werden, dass leichtere Einzelkomponenten entweichen können.

Deuterium weist auf ehemalige Wasservorkommen hin

Dass es einst auch auf der Venus deutlich feuchter zugegangen sein muss, lässt sich etwa aus der Häufigkeit von Deuterium ableiten: Da das Verhältnis von Wasserstoff zu Deuterium im Sonnensystem weitgehend gleich ist, lässt sich aus der heutigen Menge von Deuterium auf die einstige Gesamtmenge an Wasserstoff – und damit Wasser – schließen.

Für Venus und Erde ergibt sich aufgrund dieser Abschätzungen ein recht ähnliches Bild: Würde man die berechneten beziehungsweise realen Wasservorräte ungeachtet aller geologischen Gegebenheiten auf die Planetenoberflächen gießen, ergäbe sich ein umspannender Ozean von 2,6 Kilometer Tiefe auf der Erde und sogar drei Kilometer Tiefe auf der Venus. Doch während Erdenbewohner immer noch tauchen und trinken können, herrscht auf der Venus Dürre. Ihr gesamter Wasservorrat würde heute gerade einmal noch eine Ozean-Pfütze von wenigen Zentimetern Tiefe ergeben.

Erklärungsansätze gehen davon aus, dass der Wasservorrat einst in einer dichten Dunstglocke um die Venus lag – verdampft durch die intensive Sonneneinstrahlung, die die Nähe des Planeten zur Sonne mit sich bringt. Die thermischen und nicht-thermischen Prozesse trugen im Laufe der Zeit die Atmosphäre ab, die leichten Wasserstoffverbindungen verschwanden dabei stets ein wenig schneller als jene mit Deuterium.

Jedoch stellte sich heraus, dass sich mit den bisher betrachteten Prozessen der heutige atmosphärische Wassermangel nur unzureichend erklären lässt. Die Vorgänge können dem Planeten zwar große Mengen Wasser »entreißen« – bei einer bestimmten Menge ist jedoch Schluss. Die Venus hätte demnach noch eine zehn bis 100 Meter tiefe Wasserschicht behalten sollen.

Bisher unberücksichtigter chemischer Prozess

In der neuen Studie konnte nun gezeigt werden, dass in bisherigen Modellen ein ausschlaggebender Prozess, der zum Verlust von Wasserstoff beiträgt, bisher nicht berücksichtigt wurde. Bei der »dissoziativen Rekombination« fängt ein positiv geladenes mehratomiges Ion ein Elektron ein, das entstehende neutrale Molekül spaltet sich auf, es dissoziiert. Im Fall der Venusatmosphäre spaltet sich ein Formyl-Kation, HCO+, in Kohlenmonoxid und Wasserstoff auf. Letzterer kann der Venus nun problemlos entkommen – einfacher Wasserstoff stets ein wenig besser als Deuterium.

In den neuen Modellrechnungen, die diesen Prozess berücksichtigen, entweicht nun doppelt so viel Wasserstoff wie in vorherigen Modellen – was mit den Zeitskalen des Wasserverlusts auf der Venus in guter Übereinstimmung steht.

Bisher flog das Formyl-Kation unter dem Beobachtungsradar: Mehrere Venus-Sonden, darunter die beiden Pioneer-Venussonden oder Venus-Express, führten zwar spektroskopische Untersuchungen der Atmosphäre durch, doch waren die Instrumente nicht für den Nachweis der Verbindung ausgelegt. Zukünftige Missionen wie Davinci oder Veritas, könnten mit erweiterten Detektoren Abhilfe schaffen, um die neuen Modelle durch Messungen zu überprüfen.

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