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Wissenschaftler wollen Ende der Repressalien gegen Studierende
Professoren wenden sich gegen Verbote von Camps gegen die israelische Kriegführung in Gaza
Der gemeinsame Auftritt mehrerer renommierter Wissenschaftler*innen am Dienstag im Berliner Haus der Bundespressekonferenz war auch eine Solidaritätsbekundung. Denn zuvor waren Hunderte Forschende und Lehrende von »Bild«, Bundesforschungsministerin Stark-Watzinger (FDP) und anderen scharf dafür attackiert worden, dass sie Gewalt gegen Studierende und die Räumung von deren Protestcamps gegen Israels Kriegführung in Gaza verurteilt hatten. In einem offenen Brief hatten sie zugleich betont, dies bedeute nicht, alle Aussagen von Protestierenden gutzuheißen.
Einer der Unterzeichner ist der Historiker Michael Wildt. Er saß am Dienstag zusammen mit drei Kolleg*innen auf dem Podium, um die Aussagen des Briefes zu bekräftigen und für einen offeneren Umgang mit den Camps an deutschen Hochschulen zu werben.
Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums und Professorin für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam, plädierte für die Schaffung von Regeln und geschützten Räumen für Diskussionen, statt die Camps zu »skandalisieren«. Die historische Verantwortung, die Deutschland nach dem Holocaust gegenüber Israel habe, betreffe auch die Palästinenser, sagte sie und fügte hinzu: »Diese erweiterte Verantwortung sollte man mehr in den Blick nehmen, wenn man von Staatsräson spricht.«
Mit Blick auf den Wählerzuwachs der AfD und die Wahlen in Ostdeutschland warnte Rürup vor einer Aushöhlung von Grundrechten. Mit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit schaffe man die Grundlage für andere, die dieses und andere Rechte grundsätzlich in Frage stellen wollten. Die Polizei zu rufen, sei nicht die Antwort. Stattdessen könne man etwa Seminare zum Nahostkonflikt anbieten, schlug Rürup vor. Zugleich räumte sie ein, dass es durchaus antisemitische Äußerungen von Protestierenden gebe. Die Veranstalter der Camps müssten im Blick haben, dass viele jüdische Studierende verunsichert seien, so Rürup.
Auch Clemens Arzt, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Versammlungsrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, mahnte zu Augenmaß. Fehlende Dialogbereitschaft und »aggressive Parolen« könnten kein Grund für die Einschränkung der Versammlungsfreiheit sein, sagte er mit Blick auf die Argumentation des Präsidenten der Freien Universität (FU) Berlin, Günter M. Ziegler, in den Medien. »Versammlungsfreiheit ist das Recht auf Dissens«, das Rufen von Parolen sei kein Verstoß gegen das Gebot der Friedlichkeit, erläuterte er.
»Wir haben uns während Corona daran gewöhnt, dass Versammlungen verboten werden dürfen«, konstatierte Arzt. Die Grenzen der Versammlungsfreiheit setze das Strafrecht und »nicht die deutsche Staatsräson«, betonte er. Politiker neigten dazu, das zu verwechseln. Zur Räumung des Protestcamps an der FU vor einigen Tagen sagte Arzt, die Polizei habe einen »Wunsch des Universitätspräsidenten« exekutiert. Das sei nicht rechtens gewesen. So habe das oberste bayerische Verwaltungsgericht am 13. Mai entschieden, dass das Palästina-Solidaritätscamp an der Uni München bleiben darf.
Michael Wildt, emeritierter Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der HU Berlin, betonte, natürlich sei an Universitäten kein Platz für Antisemitismus und Rassismus. Aber durch Polizeieinsätze werde Antisemitismus »nicht vom Platz geschafft«. Dies sei eine gesellschaftliche Aufgabe. »Wer jetzt vor allem repressive Maßnahmen fordert, ebnet einem autoritären Staatsverständnis den Weg«, warnte Wildt.
Er lobte die Leitung der Technischen Universität (TU) Berlin, die, anders als die der FU, das Gespräch mit den Initiatoren eines auf dem dortigen Campus errichteten Protestlagers gesucht und auf Deeskalationsstrategien gesetzt habe. TU-Präsidentin Geraldine Rauch war für ihre vermittelnde Rolle in den sozialen Medien teils scharf attackiert worden.
Michael Barenboim, Professor für Ensemblespiel und Violine an der Barenboim-Said Akademie, war der einzige auf dem Podium, der auch inhaltlich die Forderungen der Studierenden unterstützte. »Für mich steht fest, die Studierenden haben nicht nur das Recht zu protestieren, sondern sie haben recht zu protestieren«, betonte Barenboim, der wie Wildt zu den Unterzeichnern des vieldiskutierten Offenen Briefs gehört. Denn, so Barenboim: Israels Militäroperation im Gazastreifen sei »eines der größten Verbrechen unserer Zeit«.
Barenboim ist Sohn des israelisch-argentinischen Dirigenten Daniel Barenboim, der sich seit Jahrzehnten für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts engagiert. So war er Mitgründer des mit israelischen und palästinensischen Musikern besetzten West-Eastern-Divan Orchestra, in dem auch sein Sohn mitspielt. Die Barenboim Said Akademie ist eine nach Daniel Barenboim und dem us-amerikanisch-palästinensischen Buchautor Edward Said benannte Musikhochschule.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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