Neukölln: Schulstreik gegen Gaza-Krieg

200 Schüler streiken gegen die Rafah-Offensive in Palästina

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist kein Zufall, wo der Schulstreik an diesem Mittwochmorgen startet. Knapp 200 Schüler*innen versammeln sich vor dem Ernst-Abbe-Gymnasium auf der Sonnenallee in Neukölln. Die Schule machte kurz nach dem 7. Oktober Schlagzeilen wegen eines Videos, das in den sozialen Medien viral ging und dort immer noch zu sehen ist. Es zeigt, wie ein Lehrer einen Schüler auf dem Schulhof ins Gesicht schlägt, woraufhin der Schüler ihn tritt. Vor dieser Szene soll der Schüler eine Palästina-Flagge gezeigt haben. Laut Aussagen des Lehrers soll der Schüler ihn zuerst mit einer Kopfnuss angegriffen haben – das ist auf dem Video jedoch nicht zu erkennen.

Was heute stattdessen vor dem Ernst-Abbe-Gymnasium zu sehen ist, sind rote und schwarze Kufiyas, Fahnen der Frauenorganisation Zora und Young Struggle. Zum Schulstreik, der vor dem Gymnasium startet, riefen der Kommunistische Jugendbund (KJB) und Migrantifa auf. In einer gemeinsamen Pressemitteillung warnen sie vor den Folgen, die die Rafah-Offensive mit sich zieht. Über eine Million geflüchtete Palästinenser*innen suchen in dem südlichen Gebiet des Gazastreifens Schutz. Die »Tagesschau« berichtete am 22. Mai, dass die Vereinten Nationen die Lebensmittelverteilung einstellen, unter anderem, da Hilfstruppen nicht sicher arbeiten könnten. Die WHO spricht davon, dass die Kliniken in Rafah kurz vor dem Aus stünden.

»Der Krieg Israels gegen die Bevölkerung von Gaza trifft vor allem junge
Menschen, denn rund die Hälfte derer, die dort leben, sind keine 18 Jahre alt«, schreiben die Streikaufrufenden in einer Pressemitteillung. Im Gespräch mit »nd« erklären die Pressesprecher*innen Luisa und Jurek, warum sie demonstrieren. Jurek betont, dass die Dringlichkeit des Anliegens eine besondere Aktionsform brauche: »Rafah ist eine Zäsur. Es gibt gar keinen Rückzugsort mehr für Palästinenser*innen.« Luisa ergänzt, dass die Bilder zerbombter Schulen an Schüler*innen in Deutschland nicht vorbeigingen.

Auf die Frage, warum sich gerade junge Menschen seltener gegen Waffenlieferungen positionieren, antwortet Jurek, dass eine Erzählung Früchte getragen hätte, dass »Frieden und Sicherheit mit Waffenexporten durchgesetzt werden«. Es dürfe nicht die einzige Antwort für Frieden sein, sich bedingungslos und einseitig hinter einen hochmilitarisierten Staat zu stellen, meint Jurek. Luisa sagt, dass es ihnen darum ginge, das Schweigen zu brechen. Eine Auseinandersetzung mit dem Krieg würde in der Schule ausbleiben, da ihnen gesagt würde, dass das Thema »so schwierig« sei.

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»Schwierig« ist auch das Wort, das mehrere angesprochene Schüler*innen benutzen, um ein Angebot für ein Gespräch abzulehnen. Auf die Frage nach den Gründen verweisen die meisten darauf, dass es mit deutschen Medien schwierig sei.

Laut und deutlich spricht hingegen der erste Redner beim Schulstreik ins Mikrofon. Der bei Migrantifa organisierte Musiker Shadore ist seit zehn Jahren nicht mehr in der Schule, hat sie jedoch nicht vergessen. »Zu meiner Schulzeit hatte ich viele Namen«, sagt er. Ein Lehrer habe ihn »Shredder« genannt, nach dem Bösewicht in der Comicserie Ninja Turtles. »Oder Mustafa oder Hüssein, weil er mich mit einem anderen Ausländer verwechselte«, sagt er. »Das hat einen Namen: Rassismus«, ruft er unter Beifall ins Mikrofon. »Berlin kürzt den Neuköllner Haushalt für Soziales und rüstet gleichzeitig die Polizei auf den Straßen auf«, ruft Shadore. Er stehe heute hier für eine Schule, in der Schüler*innen mitbestimmen und zusammen lernen können.

Mit welcher Härte die Polizei durchgreifen kann, durfte die Frauenorganisation »Zora« im Dezember bei insgesamt acht Hausdurchsuchungen erfahren. Anlass für die Razzien in den Privatwohnungen der Jugendlichen, wie auch im Kreuzberger »Karanfil« und im Weddinger »Interbüro«, waren Flyer Zoras gewesen, welche sich positiv auf die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) bezogen. Die PFLP war am Massaker vom 7. Oktober beteiligt und ist von der EU als terroristische Organisation eingestuft, in Deutschland jedoch nicht verboten. Eine Zora-Sprecherin nennt die polizeilichen Maßnahmen »lächerlich«. In ihrem Redebeitrag spricht sie sich für ein »Ende der Besatzung und des Krieges« aus und ruft dazu auf, »Schulen zu Orten des Widerstands gegen Unterdrückung zu machen«.

»Ich bin heute hier, weil ich sagen will, dass nicht alle Lehrer bedingungslos solidarisch mit Israel sind«, sagt der Lehrer Steffen von der gegenüberliegenden Albert-Schweizer-Schule. Er trägt eine GEW-Weste, da er heute auch für bessere Arbeitsbedingungen mit seinen Kolleg*innen streikt. Steffen bezieht sich in seinem Redebeitrag positiv auf den jüngst veröffentlichten Brief von 120 Akademiker*innen gegen die harten Polizeieinsätze an Bildungseinrichtungen und für friedlichen Protest. »Wenn wir hier heute von einem freien Palästina sprechen, dann heißt das auch für Juden«, betont er. Ihm sei es wichtig, wegzukommen von der »Cancel Culture« und hin zu einem offenen Diskurs. Auch sein 14-jähriger Sohn streikt heute mit. »Weil ich gegen den Genozid bin«, sagt er »nd«, als die rund 200 streikenden Jugendlichen von der Kundgebung vor dem Neuköllner Gymnasium in eine Demonstration übergehen.

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