Serie »Little Bird«: Wachsen ohne Wurzeln

Die Serie »Little Bird« erzählt davon, wie staatliche Behörden in Kanada jahrelang indigene Kinder aus ihren Familien rissen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine kaum bekannte Episode der kanadischen Geschichte wird zur sehenswerten, aufklärerischen Serie "Little Bird"
Eine kaum bekannte Episode der kanadischen Geschichte wird zur sehenswerten, aufklärerischen Serie "Little Bird"

Als die 23-jährige Esther Rosenblum (Darla Contois), die im Alter von fünf Jahren ihrer Mutter weggenommen wurde, in der kanadischen Provinz Saskatchewan nach ihrer Familie sucht, sieht es nicht so aus, als würde sie einen ihrer Angehörigen finden. Damit geht es der angehenden Anwältin aus Montreal in der Serie »Little Bird« wie Tausenden anderen indigenen Menschen in Kanada, die während des sogenannten »Sixties Scoop« von staatlichen Sozialarbeitern aus ihren Familien gerissen wurden, um sie zur Adoption freizugeben.

Mehr als 20 000 indigene Kinder wurden von der kanadischen Kinderschutzbehörde von Ende der 1950er bis Anfang der 80er Jahre in Obhut genommen und an andere Familien vermittelt, um ihre Integration in die kanadische Gesellschaft zu garantieren, so die offizielle Begründung dieser rassistischen Politik. Diese wurde in den vergangenen Jahren vermehrt von der historischen Forschung in Kanada aufgearbeitet und ist jetzt auch Thema einer vom Aboriginal Peoples Television Network produzierten sechsteiligen Serie.

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Esther, die von einer jüdischen Familie adoptiert wurde, findet immerhin heraus, dass ihr wirklicher Name Behzig Little Bird ist und dass sie drei Geschwister hat, eines davon sogar ihr Zwillingsbruder, von dessen Existenz sie nichts wusste.

Die Serie »Little Bird« erzählt auf bedrückende Weise die fiktive Geschichte der gleichnamigen Familie, der 1968 drei von vier Kindern weggenommen werden. Der Vater wird dabei von der Polizei festgenommen und ins Koma geprügelt. Der Mutter wird von der Sozialbehörde per Gerichtsverfahren das Sorgerecht entzogen. Sie kann dabei nicht einmal Einspruch erheben. Die Kinder werden dann an verschiedene Familien vermittelt. Nur Esthers älterer Bruder Leo (Braeden Clarke) wächst schließlich im indigenen Little-Pine-Reservat beim Großvater auf, nachdem die schwer traumatisierte Mutter sich den Erziehungsaufgaben nicht mehr gewachsen sieht.

Esther/Behzig sucht schließlich im Reservat ihre Familie, nachdem sie nur durch Hartnäckigkeit häppchenweise Informationen von einer Sozialarbeiterin bekommt. Die Behörden durften damals in der Tat keine Informationen über den Verbleib von Familienangehörigen preisgeben. Die jüngere Schwester von Esther/Behzig, Dora (Imajyn Cardinal), wird von einer Familie adoptiert, in der Pflegefamilie missbraucht und landet schließlich als obdachlose Sexarbeiterin auf der Straße. Ihr Zwillingsbruder Niizh (Joshua Odjick) wird von einer Farmerfamilie in den USA adoptiert, wo er im Stall schlafen und als Erntehelfer arbeiten muss, bis er schließlich davonläuft, alkoholkrank wird und mit einer indigenen Rockband durchs Land tourt.

»Little Bird« inszeniert keine rührselige Familienzusammenführung. Als Esther/Behzig endlich ihre Geschwister findet, brechen jede Menge Konflikte und Traumata auf. Solche Gefühle spielten laut Serienmacherin Jennifer Podemski, die selbst einen jüdisch-indigenen Familienhintergrund hat, auch am Filmset eine große Rolle, da viele der vorwiegend indigenen Schauspieler selbst mit dem »Sixties Scoop« in ihren Familiengeschichten zu tun haben. Deshalb war immer ein Therapeut vor Ort, der mit den Schauspielerinnen arbeitete.

Die Serie erzählt eindrücklich, aber auch ungemein spannungsgeladen vom Kampf um die eigene Familie und um die eigene Geschichte. Dabei geht es in Rückblenden zurück in die 60er Jahre und dann wieder in die 80er, als Esther/Behzig mit dem Auto durch das Reservat fährt und ganz langsam Erinnerungen zurückkommen. Schließlich mischt sich ihre Adoptivmutter Golda (Lisa Edelstein) ein, die erst wenig Verständnis für das Ansinnen ihrer Tochter hat, ihr dann aber beisteht. Diese Geschichte ist zum Teil verstörend, wird dann aber bei aller Tragik auch ungemein empowernd und erzählt von einem Kapitel kanadischer Geschichte, das bisher wenig Beachtung fand.

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