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- Nichtrauchen und Rauchen
Die Zärtlichkeit der Verlorenen
Sucht und Traum: heute ist Weltnichtrauchertag
Es gibt kein schönes deutsches Wort für Zigarette. Das Wort selbst legt sich wie Pelz auf die Zunge, es klingt technokratisch und distanziert. Das ist umso enttäuschender, als dass durch die tänzelnde Leichtigkeit der französischen Entsprechung dieser Mangel ebenso deutlich wird wie im Kontrast zur kurz angebundenden Schnoddrigkeit des englischen Pendants.
Trotzdem bleibt es das beste Wort für dieses Ding, das derart viele furchtbare Verballhornungen ertragen musste. »Glimmstengel«, »Fluppe«, »Ziese«, sogar das gleichermaßen alberne wie moralsaure »Sargnagel« ist noch immer in Verwendung. Einzig in einigen deutschen Dialekten – zuvorderst dem Hessischen – klingt etwas Liebevoll-Spöttisches mit: »a Kippsche«.
Dieser liebevolle Spott aber hat sich im Sprechen über das Rauchen nicht durchsetzen können. Auch, weil es eine sehr schädliche, auf lange Sicht tödliche Angewohnheit ist; es soll an dieser Stelle nicht um eine edgy Verteidigung des Rauchens gehen. Es ist völlig klar, dass das Rauchen unter allen schlechten Angewohnheiten eine der rücksichtslosesten ist: gegen sich selbst und gegen andere.
Das macht es aber jenen, die rauchen, schwer, zu erklären, warum sie es weiterhin tun: Der Terror der Vernunft, der an dieser Stelle nur den Gegner*innen des Rauchens recht gibt, verhindert jedes Gespräch. Die Betonung der Rücksichtslosigkeit, die dem Rauchen in jeder Hinsicht innewohnt, und die sich auch in der Unhandsomeness des Wortes »Zigarette« spiegelt, überdeckt einen wesentlichen Aspekt des Rauchens: es ist die Zärtlichkeit der Verlorenen. Es ist jene Zärtlichkeit, mit der Marlene Dietrich im »Blauen Engel« dem Professor Rath Menschlichkeit, ja, mehr noch: eine Seele einhaucht.
Diesem verstehenden, zugewandten Zugang hat sich der Protestantismus in den Weg gestellt: für vordergründig irrationales, schädigendes Verhalten hat er die Kategorie der Sucht erfunden. Der Begriff geht zurück auf Sebastian Franck, der ihn um 1526 herum eingeführt hat und damit vor allem die Alkoholexzesse seiner Zeitgenossen geißeln wollte. Noch bevor die Sucht medizinisch relevant wurde, war sie schon moralisch: sie spaltete das Exzessive von der Abhängigkeit ab. Die moderne Medizin hat diese Abspaltung dann zementiert, indem sie der Sucht ihren Krankheitswert verlieh und die Abhängigen pathologisierte; nicht etwa, um ihnen zu helfen, sondern um sie zu erziehen.
Albert Memmi hat in seinem Buch »Trinker und Liebende« Abhängigkeit anders zu erklären versucht, nämlich als »zwanghafte Angewohnheit, mit der nur brechen kann, wer dafür den Preis einer großen Anstrengung zahlt«. Diese Anstrengung aber wird von allen Süchtigen erwartet, weil die Abstinenten den Süchtigen nie recht verzeihen können.
Deswegen ist Rauchen auch eine Flucht aus der Welt: umso mehr, als die Räume für Raucher*innen weniger werden. Viele ihrer historischen Plätze – die Fabrik, das Café, die Kneipe – haben sie inzwischen größtenteils verloren. Möglich, dass diese Vereinzelung des Rauchers den transzendentalen Aspekt des Rauchens noch verstärkt, den zuerst Odile Lesournes in ihrer Studie »Le Grand Fumeur et sa passion« (1985) psychoanalytisch zu fassen versuchte. Und die zu dem Schluss kommt, dass Rauchen zwischen Masochismus und Autoerotik pendelt, in dem Versuch, sich einen Raum zwischen Leben und Tod zu schaffen, und letztendlich den Tod gewissermaßen zu beherrschen, indem man sich dem Leben entzieht.
Die Absurdität des Rauchens liegt also nicht darin, dass es sinnlos ist, sondern dass es letztendlich notwendigerweise scheitern muss. Aber für einen kurzen Moment kann man sich rauchend doch dem Mahlstrom der Zeit entziehen. Diese Fantasmen, in denen das Rauchen und das Träumen sich miteinander vereinen, sind vielleicht die Momente, die Raucher*innen am meisten schätzen. Fernando Pessoa hat dieser Praxis in seinem »Buch der Unruhe« ganze Seiten gewidmet: Ganz wie bei Proust die Madeleine reichen seiner Hauptfigur Bernardo Soares ein paar Züge von dieser oder jener Marke, um zurückzureisen zu jenen Orten und Zeiten, da er diese Sorte auch einmal rauchte. Doch diese Erinnerungen sind auch immer eine Flucht: Soares ist eine einsame Seele, der die Zumutungen der Außenwelt, die schiere Existenz seiner Mitmenschen Angst bereitet und der sich vor allem für die vielen Winkel seiner Seele interessiert: ein Suchender, den fast nichts festzuhalten vermag; und der genau deswegen raucht.
Jede moralische oder vernunftbasierte Überlegenheit des Nichtrauchens, so begründet sie auch sein mag, muss vor einer Figur wie Bernardo Soares verblassen. Rauchen, so sagt es das Bundesgesundheitsministerium, sei das »größte vermeidbare Gesundheitsrisiko in Deutschland«, aber es ist auch viel mehr als das: Es ist eben auch eine Strategie, in dieser seltsamen und feindlichen Welt mit der Zumutung, existent zu sein, fertigzuwerden.
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