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Einsamkeit ist politisch

Einsamkeitsbarometer zeigt: Armut macht einsam

  • Deike Janssen
  • Lesedauer: 4 Min.
Einsamkeit hat viele Ursachen. Armut ist einer der wichtigsten.
Einsamkeit hat viele Ursachen. Armut ist einer der wichtigsten.

Das Barometer ist Teil der »Strategie gegen Einsamkeit«, die die Bundesregierung 2023 beschlossen hat. Diese beinhaltet rund 100 Einzelmaßnahmen. Die Maßnahmen für Einsamkeit – ohne dass zusätzliche Kosten dafür eingeplant wurden – sollen sensibilisieren, mit Modellprojekten das Zusammenleben stärken und mehr Wissen zu Einsamkeit generieren.

Seit einigen Jahren existiert seitens der Politik ein immenses Interesse am Thema Einsamkeit. Mit neuen Studien, »Mental Health Coachings« an Schulen, Awareness-Kampagnen und dadurch, dass bestehende Projekte weiter finanziert werden, soll Einsamkeit aufgedeckt und eingedämmt werden.

Vor allem Jugendliche sind im Fokus der »Sorgen« der Bundesregierung. Corona und Social Media hätten Jugendliche einsam gemacht, so viele Medienkommentare und verantwortliche Politiker. Dass nicht ein Virus, sondern die politische Bearbeitung der Pandemie Jugendliche einsam gemacht hat, bleibt unerwähnt. Die Maßnahmen gegen Einsamkeit umfassen eine Bandbreite – außer dem Offensichtlichen.

Das Offensichtliche

Einsamkeit kann bei allen Menschen mehr oder weniger stark durch die Belastungen des Lebens in einer kapitalistischen Gesellschaft auftreten, aber natürlich sind nicht alle in gleicher Weise betroffen. Armut ist der zentrale Faktor für Einsamkeit. Arme Menschen können nur eingeschränkt Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten wahrnehmen, sie können weniger Unternehmungen mit Freunden und Bekannten machen, weniger oft oder gar nicht mit anderen essen oder ins Kino gehen. Kinder und Jugendliche aus armen Familien können oft nicht an kostenpflichtigen Angeboten teilnehmen, während konsumfreie Räume wie Jugendzentren und offene Angebote immer öfter von Sparmaßnahmen zersetzt werden.

Armut bedeutet, Einschränkungen und Barrieren im Bildungssystem zu erleben, auf dem Arbeitsmarkt, beim Thema Wohnen und Freizeit. Armut bedeutet erhebliche psychische Belastungen, einen schlechteren Gesundheitszustand, Stress und manchmal Scham, was dazu führt, dass Menschen sich von anderen zurückziehen. Das alles hat Einfluss auf soziale Isolation und das Gefühl von Einsamkeit. Die Wissenschaftler Dr. Jörg Dittmann und Dr. Jan Goebel sagen deshalb: »Wer Einsamkeit bekämpfen will (…) sollte den Blick auch auf die Verhinderung und Bekämpfung von Armut werfen.«

Die beiden Wissenschaftler heben noch einen weiteren Aspekt hervor: »Wenn armutsbetroffene Menschen kaum Spielräume haben, um sich sozialstrukturell zu verbessern, dann findet mit der Entfremdung gegenüber der Gesellschaft eine eigene Art von Einsamkeit statt.« Die hohe Ungleichheit in Deutschland trägt demnach ebenfalls dazu bei, dass Menschen sich einsam fühlen.

Auch viele Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund fühlen sich einsam. Diskriminierungserfahrungen und Rassismus, soziale und asylrechtliche Ausschlüsse, fehlende Unterstützung, die räumliche Verbannung in Flüchtlingslager, alles Faktoren, die nachweislich zu Einsamkeit beitragen. Sie werden in der Strategie der Bundesregierung jedoch nicht erwähnt.

Psychologie statt Politik

Einerseits ist das Interesse der Bundesregierung am Thema Einsamkeit vermutlich darauf zurückzuführen, dass sie erhebliche gesundheitliche und damit arbeitskraftreduzierende Konsequenzen nach sich zieht und das Vertrauen in politische Institutionen reduziert. Andererseits ist Einsamkeit für die Politik ein relativ »bequemes« Thema. Denn es stellt die individuelle mentale Gesundheit statt materieller und struktureller Fragen von Armut, Care-Arbeit und Migration in den Vordergrund.

Die enge Beziehung zwischen psychischer Gesundheit und den sozialen Bedingungen bleibt in den politischen Maßnahmen weitgehend unbehandelt. Statt die Notlagen und die soziale Frage zu behandeln, psychologisieren und individualisieren sie das Phänomen »Einsamkeit«. Die Maßnahmen kratzen an den Symptomen der weitreichenden Folgen der kapitalistischen Vereinzelung und Entfremdung und der Nachwirkungen des Zeitalters »There is no such thing as society«, der neoliberalen, durch Margaret Thatchers Ausspruch symbolisierten Politik.

Die Quelle der Einsamkeit liegt nicht im Einzelnen oder in fehlenden Mental-Health-Schulungen, sondern in der Auflösung von gemeinschaftlichen Bindungen, öffentlichen Räumen, nachbarschaftlichem Leben, in den Sparmaßnahmen bei Begegnungsstätten, Jugend- und Stadtteilzentren sowie in der gefestigten Armut und sozialen Ungleichheit.

Eine Studie zeigte, dass Einsamkeit in skandinavischen Ländern trotz des Individualismus in diesen Ländern seltener ist als in Mittel- und Südeuropa. Dies liegt unter anderem an den starken sozialen Sicherungsnetzen beim Arbeitslosenschutz, subventionierter Kinderbetreuung und Elternzeit. Das heißt: Auch im Hier und Jetzt könnte man das Phänomen Einsamkeit durch gute Infrastrukturen und finanzielle Entlastungen zumindest beschränken.

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