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Bittersüße Harmonie im Dorfkrug
Eine Linke-Kandidatin lädt Mitbewerber für den Kreistag Märkisch-Oderland zur »Kneipentour« ein
Das Intro, das eine Abordnung der Band Trash in Space darbietet, könnte das Motto der Veranstaltung im Platkower Dorfkrug »Zur Linde« sein. Mit dem 1993er Hit »Let’s come together (right now in sweet harmony)« eröffnen die drei Männer den Abend. Zehn in der Kommunalpolitik von Märkisch-Oderland (MOL) Aktive, die für den nächsten Kreistag kandidieren, stellen sich hier im Rahmen einer von Carolin Schönwald veranstalteten »Kneipentour« vor. Immerhin rund 30 Leute sind gekommen, um ihnen zu lauschen und darüber zu staunen, wie gut sich alle über Parteigrenzen hinweg verstehen.
Es gibt ein wenig »Schlagseite« zugunsten von Linke-Kommunalpolitikern an diesem Juni-Abend, was damit zu tun haben dürfte, dass auch Schönwald in dieser Partei aktiv ist. Seit 2019. Auch die 37-Jährige bewirbt sich um ein Kreistagsmandat. Den Abend moderiert sie professionell und gut gelaunt. Und sie ist die Einzige im Raum, die auch zur Landtagswahl im September antritt. Als Direktkandidatin und auf dem freilich nicht sonderlich aussichtsreichen Listenplatz neun der Brandenburger Linken.
Walter Baier gehörte zu den Mitgründern der Partei der Europäischen Linken (EL) und war Koordinator des linken Thinktank »transform! Europe«. Im Dezember 2022 wurde er zum Präsidenten der EL und auf dem Kongress im Februar in Ljubljana zu deren Spitzenkandidaten gewählt.
Hier in Platkow, an der B167 zwischen der Kreisstadt Seelow und Neuhardenberg gelegen, lernt man an diesem Abend, dass der Kreistag eben kein Parlament ist, sondern ein Kontrollorgan. Landrat und Kreisverwaltung sind ihm gegenüber rechenschaftspflichtig. Zugleich aber, das beklagen mehrere Diskutanten, ist der Landrat, in diesem Fall also SPD-Mann Gernot Schmidt, mit enormer Machtfülle ausgestattet. Vieles könnten Schmidt und sein Erster Beigeordneter Friedemann Hanke (CDU) nahezu im Alleingang entscheiden, zum Beispiel die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete, die in MOL auch noch besonders restriktiv gehandhabt wird. Schmidt war übrigens Gast beim zweiten Termin der Kneipentour Ende April in der Kienitzer Gaststätte »Zum Hafen«.
Die Veranstaltung in Platkow bildet den Abschluss der Reihe. Das Prozedere: Es werden je zwei Kandidierende ausgelost, die sich zusammen an einen Tresen setzen und Fragen beantworten müssen. Die sind teils provokant und sorgen dafür, dass neben den regionalen Problemen wie Wassermangel, Gegensätze zwischen ländlichen und Berliner Speckgürtel-Gemeinden, vollen Schulen etc. auch die großen Debatten mehr als nur angerissen werden.
Das erste Duo bilden Henrik Wendorff und Stephanie Reetz. Wendorff ist Anfang des Jahres auch überregional als Mitveranstalter der Bauernproteste in Berlin bekannt geworden. Als Präsident des brandenburgischen Bauernverbands sitzt er seit mehr als 20 Jahren im Kreistag – für die Wählergruppe »Bauern und ländlicher Raum«.
Über Landwirtschaft spricht der 59-Jährige erst einmal gar nicht. Stattdessen über die aus der Corona-Pandemie resultierenden Probleme, mit denen sich der Kreistag in der zu Ende gehenden Legislatur herumschlagen musste; über die schwierige Finanzierung des rekommunalisierten Seelower Krankenhauses. Oder darüber, wie es nach langjährigem Kampf mit parteiübergreifender Kooperation gelang, die Schülerbeförderung im Landkreis für die Familien kostenfrei zu machen – gegen den Widerstand der FDP, wie Wendorff mit Blick auf seine Tresen-Konkurrentin betont.
Stephanie Reetz gehört dieser FDP nämlich an. Sie ist Lehrerin und kandidiert zum ersten Mal für den Kreistag. Und betont, dass sie Investitionen in Schulen und Turnhallen fortführen möchte. Auch in der Task Force Wasser im Landkreis, die ihre Partei initiiert habe, will sie sich engagieren. Eher bedeckt hält sich die 34-Jährige, als sie auf die Haltung ihrer Partei zu Waffenlieferungen an die Ukraine und zur Rolle der FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann angesprochen wird. »Marie-Agnes« sei eine »kontroverse Person«, deren Positionen man natürlich kritisieren könne, sagt Reetz.
Wendorff pocht wiederum auf seine Kompetenz in Sachen Wasserpolitik. Die sei ein Alleinstellungsmerkmal seiner Gruppe, sagt er auf eine entsprechende Frage. Sie habe erfolgreich gegen die Ausweisung von immer mehr Schutzgebieten im Landkreis gekämpft, die Landwirten die Bewirtschaftung ihrer eigenen Flächen zunehmend unmöglich mache.
Die übrigen Kandidierenden hier in der Kneipe sind auf andere Dinge spezialisiert. Die weitaus meisten wollen sich im Jugendhilfebereich engagieren, nicht zuletzt Moderatorin Schönwald, Theaterpädagogin und Vorsitzende von Kultus e. V., einem freien Träger der Jugendhilfe. Dort arbeitet auch Grünen-Kandidat Fabian Brauns. Dazu kommt Uwe Salzwedel von der Linken, der im Kreistag schon lange den Jugendhilfeausschuss leitet. Er habe sich von seinen Mitstreitern in dem Gremium überzeugen lassen, noch mal zu kandidieren, sagt der 63-Jährige.
Auch die Kulturförderung liegt den meisten anwesenden Kandidat*innen sehr am Herzen. Sie müsse endlich Pflichtaufgabe des Kreises werden, fordern sie. Kulturförderer ist auch ein CDU-Mann: Frank Schütz, seit 2014 Bürgermeister von Golzow nahe der polnischen Grenze und Kreistagsabgeordneter im Ehrenamt. Der 53-Jährige hat unter anderem den Prozess der schließlich von Erfolg gekrönten Bewerbung des Oderbruchs um das Europäische Kulturerbe-Siegel begleitet und arbeitet weiter an der Vernetzung der über 40 Kulturerbe-Orte mit.
Sein Kernthema ist allerdings die Verbesserung der Bahnanbindung der Region – wofür es einen langen Atem braucht. Schütz ist Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Ostbahn. Und verkündet an diesem Abend einen Erfolg: Die Bahnlinie RB26 – in deren Zügen man ihn regelmäßig antrifft –, bekommt ab Dezember zwischen Berlin und Müncheberg den Halbstundentakt. Bislang verkehren die Züge nur stündlich, an einigen Stationen halten sie nur alle zwei Stunden. Während Schütz also für mehr öffentlichen Schienenverkehr steht, legt Linke-Kommunalpolitiker Uwe Hädicke ein Wort für die Straße ein: Die B1 möchte er gern »ertüchtigen«.
Zugleich greift Hädicke ein weiteres Thema auf, das ihm viel bedeutet: den Frieden, auch den mit Russland, das für die Invasion in der Ukraine verantwortlich ist. Weil man die positive Rolle Russlands bei der deutschen Vereinigung und die der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus nicht vergessen dürfe. Gerade das verpflichte die Bundesrepublik zu diplomatischem Engagement. »Auch Die Linke ist mir hier zu leise«, sagt Hädicke.
Grünen-Kandidat Fabian Brauns äußert sich ebenfalls zur Schulpolitik, aber auch zum rigiden Umgang des Kreises mit Geflüchteten. Hier will er gegensteuern. Auf das Thema Landwirtschaft angesprochen, sagt er, seine Partei sei den Biobauern verpflichtet. Sie müssten stärker gefördert werden, anders als Konzerne wie die in der Region aktive Lindhorst-Gruppe. Zwischen Investoren und Kleinbauern sieht er offenbar kaum Akteure.
Carolin Schönwald erinnert derweil in all dem konstruktiven Miteinander auch an die bittere Realität: An der Wahl von Kreistag und Gemeinderäten würden sich wohl kaum zehn Prozent der Bürger beteiligen, wenn zeitgleich nicht die Europawahl stattfände. Diese Realität spiegelt sich auch in der Besucherzahl im Dorfkrug. Der Gastraum sieht zwar recht gut gefüllt aus. Aber von den Anwesenden sind viele ebenfalls Kandidaten oder aber Freunde und Bekannte der Diskutanten.
Schönwald wird wohl weiter versuchen, Leute von der Bedeutung demokratischer Mitbestimmung auch im Kleinen zu überzeugen. Damit hat sie Erfahrung: Ein Projekt der Mutter dreier Söhne sind »Bürgerbühnen«, über die sie in einem so originellen wie witzigen Musikvideo rappt.
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