- Politik
- Unwetter in Süddeutschland
Neue Wege im Schutz gegen Hochwasser
Überschwemmungen lassen sich nicht gänzlich vermeiden, ein fahrlässiger Umgang damit schon
Während sich die Lage in den süddeutschen Hochwassergebieten nur langsam entspannt, läuft die Aufarbeitung auf Hochtouren. In Bayern steht die Landesregierung in Kritik, in der Vergangenheit nicht genug für den Schutz der Bevölkerung getan zu haben. Und auch, dass die Gelder für den Hochwasserschutz in den nächsten beiden Jahren nicht erhöht werden sollen, stößt der Opposition bitter auf. Besonders ein Mann steht im Fokus: Wirtschaftsminister und Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger. Ihn holten seine Polder-Poltereien aus dem Jahr 2018 wieder ein. Damals noch nicht in der Regierung hetzte Aiwanger gegen den Bau von Flutpoldern – also eingedeichten Gebieten, die sich gezielt fluten lassen – entlang der Donau. Die bezeichnete er mal als »größenwahnsinnig«, mal als überflüssig und zu teuer, »weil so ein Polder ja nur alle 100 Jahre mal geflutet wird«. Auch wenn Aiwanger seinen Widerstand 2021 aufgab, verzögerte er damit den Bau vieler Projekte.
Für weiteren Gesprächsstoff sorgten die jüngsten Behauptungen des bayerischen Wirtschaftsministers, die betroffenen Polder hätten sowieso keine Auswirkungen auf das Geschehen gehabt. In Bezug auf zwei der geplanten Bauwerke widersprach Andreas Malcherek von der Universität der Bundeswehr München dieser Aussage im Bayerischen Rundfunk.
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Vom »nd« einer Bilanz gefragt, sagte der Umweltrisikoforscher Christian Kuhlicke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig: »Inwiefern der Hochwasserschutz mithilfe von Deichen, Poldern und Rückhaltebecken – dort wo vorhanden – gut funktioniert hat, lässt sich erst nach einer umfassenden Auswertung sagen.«
Sicher ist: Flutpolder können vor allem bei großen Flüssen, wie der Donau oder dem Rhein, von Nutzen sein. Spätestens die Flutkatastrophe 2021 zeigte aber, dass es mindestens genauso wichtig ist, kleinere Flüsse oder gar Bäche vor dem Überlaufen zu bewahren.
Das bezeichnete Kuhlicke als »die eigentliche Zukunftsherausforderung«. Markus Disse von der TU München gab dazu gegenüber dem »nd« an: »Von kleinen Flüssen geht eine große Gefahr aus, da die lokalen Hochwasser volkswirtschaftlich eine ähnliche Größenordnung an Schäden verursachen, wie die Großschadensereignisse an den großen Flüssen.«
Um diese in den Griff zu bekommen, müsse man kleineren Strömen so viel Raum wie möglich geben. Auch Rückhaltebecken im Oberlauf, also in der Nähe zur Quelle, seien wichtig, so Kuhlicke. Gemeinsam mit 22 weiteren Expert*innen fasste er 2021 zusammen, was im Umgang mit Hochwasserereignissen zu tun sei. Dazu gehöre auch, der »Schwammfähigkeit von Landschaften wieder mehr Bedeutung zu schenken«. Man müsse sich Gemeinden, Städte und Landschaften wie Schwämme vorstellen, die dieses Wasser aufsaugen können, schreiben die Wissenschaftler*innen. Damit soll verhindert werden, dass Regenwasser direkt in einen Fluss läuft und dessen Pegel ansteigen lässt. Mit der voranschreitenden Versiegelung in Städten passiert jedoch genau das. In Baden-Württemberg ist diese bundesweit am stärksten ausgeprägt: Siedlungsgebiete sind dort zur Hälfte versiegelt – Regenwasser kann also nicht in den Boden sickern.
Auch Grün- und Wasserflächen machen Städte »saugfähiger«. Mehr Parks und Gründächer lindern dabei nicht nur die Anfälligkeit für Überschwemmungen, sie fördern auch die Lebensqualität. Und: wenn das aufgegangene Regenwasser nutzbar gemacht wird, leisten Schwammstädte auch einen wichtigen Beitrag zu Dürrezeiten, die genau wie Starkregenereignisse mit dem Klimawandel zunehmen. Eine am Freitag erschienene Schnellanalyse des Forschungskonsortiums Climameter ergab, dass der Starkregen, der die Überschwemmungen in Süddeutschland verursachte, durch den Klimawandel bis zu zehn Prozent stärker ausgefallen ist als ohne menschliche Erwärmung.
Doch auch die besten Schutzmaßnahmen können Schäden nicht ganz vermeiden. Der Umgang mit einem Hochwasser ist deshalb genauso wichtig wie der Schutz davor. In puncto Vorbereitung habe laut Kuhlicke bei den aktuellen Ereignissen in Bayern und Baden-Württemberg einiges funktioniert: »Gut lief die Warnung im Vorfeld des Ereignisses«, sagt er dem »nd«. Der Deutsche Wetterdienst habe frühzeitig und umfassend informiert und die Länder hätten die Warnungen entlang der Flüsse relativ früh konkretisiert.
Allerdings bemängelten er und weitere Experte*innen in der Veröffentlichung von 2021, dass Haushalte beim Thema Vorsorge bisher zu sehr auf sich alleine gestellt seien. Während Energieeffizienz breit gefördert werde, bleibe »klimasicheres« Bauen und Sanieren größtenteils in der Verantwortung des Einzelnen. Dazu gehören druckdichte Fenster genauso wie die Installation von Stromverteilern in höheren Stockwerken.
Bei all den verschiedenen Maßnahmen haben Hochwasser eines gemein: Damit die Politik Geld in die Hand nimmt, und die Akzeptanz in der Bevölkerung für Maßnahmen wie Flutpolder wächst, muss zuerst der Katastrophenfall eintreten. Ein Beispiel? Die generelle Pflicht zu einem Versicherungsschutz gegen die sogenannten Elementarschäden. Dazu sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in einer Regierungserklärung – wohlgemerkt nach den heftigen Unwettern in Süddeutschland: »In Sachen Elementarschadenversicherung kommen wir voran«. Und auch auf der Umweltministerkonferenz, die von Mittwoch bis Freitag tagte, ging es um den Hochwasserschutz. Geht es nach den Umweltminister*innen der Länder und des Bundes, soll die Finanzierung des Klimaschutzes als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz aufgenommen werden. Immerhin das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Anpassung an die Klimakrise.
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