- Politik
- Warlords
Amerikas Monster in Afghanistan
Die westliche Unterstützung grausamer Warlords zeigt die dunklen Seiten des Nato-Kriegs in Afghanistan
Als General Abdul Raziq Achakzai im Oktober 2018 von einem Attentäter der Taliban in Kandahar im Süden Afghanistans getötet wurde, war die Trauer aufseiten der USA und ihrer Alliierten groß. Man hatte einen wichtigen Verbündeten im »Antiterror-Kampf« verloren. Der Milizionär und Warlord galt als lokale Größe, wurde von der Regierung in Kabul als eine Art Volksheld gefeiert. Was dabei unterging: Achakzai, meist nur General Raziq genannt, gehörte zu den brutalsten Männern, die auf Gnaden des Westens regierten und unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung ihr eigenes Schreckensregime errichtet hatten.
Human Rights Watch bezeichnete ihn unter anderem als »torturer-in-chief«, während die UN meinten, dass der General auf die Anklagebank gehöre. Aufgrund der Gräueltaten von Männern wie Raziq liefen zahlreiche Männer zu den Taliban über. Sie waren einer der Hauptgründe für das Scheitern des sogenannten »War on Terror« in Afghanistan. Umso weniger wird heute über sie gesprochen.
Die »New York Times« stellte sich nun gegen diesen Status quo und veröffentlichte eine der ausführlichsten Recherchen, die bis dato über die Verbrechen General Raziqs geschrieben wurden. Die Autoren, Matthieu Aikins, Azam Ahmed und deren afghanisches Team, recherchierten hierfür über ein Jahr lang in Kandahar und sprachen mit mehreren hundert Menschen, die unter der Willkürherrschaft Raziqs litten.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Zu Wort kommen auch Vertreter der US-Regierung sowie des Militärs, Familienmitglieder Raziqs sowie Angehörige seiner einst berühmt-berüchtigten Polizeieinheit. Die Auswertung von rund 50 000 Beschwerdebriefen, die im Büro des ehemaligen Gouverneurs von Kandahar gefunden wurden, zeichnet ein durchweg düsteres Bild.
In den 2000er Jahren stieg Raziq schnell auf. Dies hatte er vor allem seinen amerikanischen Unterstützern und lokalen politischen Dynamiken zu verdanken. Die Achakzai gehörten zu den größten paschtunischen Stämmen Kandahars und pflegten seit Jahrzehnten Fehden mit den Noorzai. Im Laufe der Kriege der vergangenen 40 Jahre standen die beiden Stämme auf der jeweils anderen Seite des Schlachtfelds: Viele Noorzai schlossen sich in den 80er Jahren den Mudschaheddin-Rebellen an, die damals gegen die Rote Armee und deren Klientelregime in Kabul kämpften, während zahlreiche Achakzai Teil des kommunistischen Machtapparats waren.
Dies betraf auch die Familie Raziqs, dessen Vater später von den Taliban getötet wurde. Die Taliban formierten sich erst nach Ende der zehnjährigen sowjetischen Besatzung Afghanistans, doch als Erben der Mudschaheddin, die noch wenige Jahre zuvor vom Westen, Iran, von Pakistan und den Golfstaaten unterstützt worden waren, fanden sich unter ihnen auch viele Noorzai, weshalb alte Fehden weiterhin ausgetragen wurden.
Viele Verbrechen Raziqs beruhten auf ebenjenen Stammesfehden. Eines der ersten bekannten Massaker Raziqs, das auch von seinen amerikanischen Unterstützern wahrgenommen wurde, beging er an mehreren Mitgliedern der Noorzai, nachdem er sie für die Ermordung seines Bruders verantwortlich gemacht hatte. Er übernahm dabei die Rolle von Richter und Henker zugleich. Er machte dem Volk deutlich, dass er das Gesetz war. Öffentliche Hinrichtungen gehörten zum Alltag, ebenso wie Verschleppungen, die unter dem zynischen Namen »da reg mela« (Paschto für »Wüstenpicknick«) bekannt wurden und für Angst und Schrecken sorgten.
Raziq und seine Männer suchten hierfür meist männliche Personen jeden Alters aus und verschleppten diese in die Wüste, wo sie ermordet und verscharrt wurden. Das Team der »New York Times« sprich von mutmaßlich 2200 solchen Fällen, 368 davon konnten eindeutig bestätigt werden. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher ausfallen, doch viele Spuren gingen in den Wüsten Kandahars verloren. Vor allem während des Nato-Kriegs waren viele Regionen kaum zugänglich. Außerdem hatten viele Menschen Angst vor Raziq und seiner Bande, kaum jemand wagte auszusagen.
Auch wenn Abdul Raziq Achakzai nicht mehr lebt, bleibt die Aufarbeitung seiner Verbrechen bedeutsam. Jene, die dem General einst zur Macht verhalfen, sind weiterhin präsent und müssen zur Verantwortung gezogen werden. Dies betrifft vor allem jene westlichen Mächte, die in Afghanistan einmarschierten und mit Kriegsverbrechern paktierten. Die traurige Realität ist aber auch: Wäre Raziq im August 2021 noch am Leben gewesen, hätten die USA und ihre Verbündeten ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Ausland evakuiert, wo er unbescholten gelebt hätte.
Dies tun zahlreiche andere Männer, die in Afghanistan regelmäßig für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht wurden, darunter etwa mehrere Chefs des einstigen Geheimdienstes NDS, Generäle der afghanischen Armee wie Sameh Sadat und afghanische CIA-Milizionäre der Khost Protection Force (KPF) oder der sogenannten Zero-Einheiten. Sie leben heutzutage allesamt in den USA. Auch die Überbleibsel der kommunistischen Regime der 80er Jahre sowie die afghanischen »Warlord-Größen«, deren Verbrechen seit Jahrzehnten bekannt sind, gehörten zu den engsten Verbündeten der westlichen Mächte und wurden nie auf eine Anklagebank in Den Haag gebracht, obwohl die Rufe danach stets laut waren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.