Geschichte der G7: Das Imperium schlägt zurück

1975 wurden die G7 ins Leben gerufen – aus Angst des Globalen Nordens, die Herrschaft über den Globalen Süden zu verlieren

  • Robin Jaspert und Nico Graack
  • Lesedauer: 7 Min.

Dieses Jahr feiern die Herrschenden den 50. G7-Gipfel. Zwischen dem 13. und 15. Juni treffen sich Staatsoberhäupter und hochrangige Vertreter*innen von sieben, sich selbst als »führende Industrienationen« bezeichnenden Staaten in der beschaulichen Stadt Fasano in Italien. Abgesandte Deutschlands, Frankeichs, Italiens, Japans, Kanada, des Vereinigten Königreichs und der USA beratschlagen sich, abgeschottet von Protest, unter anderem zu den Kriegen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza und der Ukraine, Sicherheitspolitik und der Klimakrise.

Die G7 betonten im Vorfeld, wie auch vor jedem anderem G7-, G8- oder G20-Treffen, dass sie die drängendsten Anliegen der Welt identifizieren, Lösungen diskutieren und die Umsetzung dieser beschließen werden. Dieser Anspruch wird durchgesetzt, obwohl in den vertretenen Staaten nicht mehr als zwölf Prozent der Weltbevölkerung beheimatet sind. Dieser eklatante Widerspruch zu jedem demokratischen Anspruch ist Kern der Gipfeltreffen sowie ihrer Entstehungsgeschichte. Denn die G7 wurden aus Angst gegründet, die Herrschaft des Globalen Nordens über den Globalen Süden zu verlieren, wenn man weiter auf demokratische Prozesse in den Vereinten Nationen setzen würde.

Antikoloniale Kämpfe

So fand das Auftakttreffen der G7 1975 im französischen Rambouillet offiziell statt, um nach einer globalen Lösung für die 1973 eskalierende, sogenannte Ölkrise zu suchen. Diese hätte allerdings ebenso gut in der UN-Generalversammlung gefunden werden können. Jedoch war dies nicht im Interesse der kapitalistischen Zentren, denn die in den Vereinten Nationen ebenso vertretene antikoloniale Bewegung im Globalen Süden stellte eine ernsthafte Bedrohung für die Durchsetzungsfähigkeit der Interessen des Globalen Nordens dar.

Die Zeit zwischen 1945 und 1975 war geprägt von der Zerschlagung kolonialer Herrschaft. Die europäischen Kolonialmächte waren geschwächt vom Zweiten Weltkrieg, was antikoloniale Bewegungen als willkommenen Anlass sahen, ihre Kämpfe zu intensivieren. Von Indonesien, Vietnam, Korea bis hin zu Algerien, Ghana, Angola und Mosambik wurde die formelle Unabhängigkeit von den jeweiligen Kolonialmächten unter hohem Blutzoll erkämpft. Den Bewegungen ging es um weitaus mehr als bloß den ersten Schritt, der Erlangung der Kontrolle über das eigene Territorium. Vielfach stand die vollständige, umfassende Befreiung der ehemalig Kolonisierten und die Schaffung einer neuen Globalen Ordnung im Zentrum der Kämpfe, wie unter anderem Adom Getachew und Kevin Ochieng Okoth in ihren Rekonstruktionen dieser Epoche nachzeichnen.

Die vielfältigen antikolonialen Bewegungen des afrikanischen und asiatischen Kontinents trafen 1955 in Bandung, Indonesien, aufeinander. Auf Einladung Sukarnos, des ersten Präsidenten des unabhängigen Indonesiens und eine zentrale Figur der Unabhängigkeitsbewegung, versammelten sich Vertreter*innen 29 ehemaliger Kolonialstaaten und legten den Grundstein für die Bewegung der Blockfreien Staaten. Im Kontext des Kalten Kriegs zwischen den USA und der Sowjetunion traten sie für einen dritten Weg ein, den Weg der antikolonialen Befreiung der Völker des Südens. Dekolonisierung hieß im Kontext dieser Allianz, die 1961 in Belgrad formalisiert wurde: materielle Unterstützung antikolonialer Bewegungen in den Kolonien sowie der Aufbau von Allianzen und das Kämpfen für eine neue globale Ordnung.

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Ein weiterer Schritt in diese Richtung war die Gründung der G77 im Rahmen der Konferenz der Vereinten Nationen zu Handel und Entwicklung 1964 in Genf. Die Gründungserklärung des Zusammenschlusses von Staaten des Globalen Südens legt dar, dass diese eine neue, gerechte Weltwirtschaftsordnung anstrebten. Die Vereinten Nationen wurden von den ehemaligen Kolonien als geeignete Plattform zum Erreichen ihrer Anliegen angesehen und genutzt.

Bedrohte Herrschaft

Die Staaten des Südens gründeten auch Produktionskartelle, wovon das mit Abstand erfolgreichste die bis heute bestehende Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) ist. Der Bedarf des Westens an billigen Rohstoffen, der bis dato gewaltsam durch die Kolonialherrschaft abgesichert wurde, war im Begriff, sich zu einer Abhängigkeit zu entwickeln – und damit zu einem Machtmittel des Südens gegenüber dem Norden.

Zeitgleich führte in den Post-Kolonien die innenpolitische Strategie des »Developmentalism« zu weitreichenden Erfolgen, sowohl in der Bekämpfung von Armut, dem Aufbau einer eigenen verarbeitenden Industrie sowie der Stärkung von Sozialsystemen. Verstaatlichung von Ressourcen, hohe Einfuhrzölle für verarbeitete Produkte aus dem Norden oder Landreformen führten dazu, dass die Lücke zwischen Globalem Norden und Süden das erste Mal seit 1492 zu schrumpfen begann: Das Verhältnis des Pro-Kopf-Einkommens zwischen den USA und Zentral- und Südamerika sank zwischen 1960 und 1979 um elf Prozent, zwischen den USA und dem Nahen Osten und Nordafrika sogar um 23 Prozent.

Die imperialen Zentren sahen sich bedroht und gingen schrittweise zum Gegenangriff über. Sie bedienten sich dabei eines erprobten Mittels: direkter militärischer Gewalt. Der Sturz von Mohammad Mosaddegh im Iran leitete die Phase der zahlreichen von Geheimdiensten organisierten Coups ein. Der wohl bekannteste Coup ist der von 1973, gegen die sozialistische Regierung Chiles unter Salvador Allende. Doch der Bewegung der Blockfreien Staaten gelang noch ein weiterer Schlag. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen setzten sie, unterstützt durch ihre Verbündeten in der Sowjetunion und auf Basis der neu errungenen wirtschaftlichen Macht der ölexportierenden Staaten, eine Erklärung sowie ein Aktionsprogramm für eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung (kurz: NIEO) durch. Das Ziel: die Emanzipation des Globalen Südens aus den ökonomischen Fängen des Globalen Nordens.

Gegenangriff von oben

Diese Erfolge der postkolonialen Zeit und des »Developmentalism« wurden von den westlichen Mächten nicht so einfach hingenommen. Sie übten von Anfang an Gegendruck aus, aber das Ölembargo im Kontext des Jom-Kippur-Krieges erwies sich als starker Hebel für die OPEC-Staaten und darüber vermittelt für die G77. Die Mächtigen wurden an den Tisch gezwungen, doch sie behielten immer ein Auge auf der Suche nach Gegenschlägen.

So trafen sich im Kontext der Erfolge der G77, der Opec-Staaten und der NIEO, 1975 Vertreter*innen der USA, Frankreichs, Deutschlands, Englands, Japans und Italiens in Rambouillet und gründeten die »Gruppe der 6«, die sich schnell um Kanada zur G7 erweitern sollte. Nicht nur in der Namensgebung war dies eine direkte Reaktion auf die G77. Sie wurde als Bollwerk gegen den eigenen Machtverlust geschaffen und sollte außerordentlich erfolgreich werden.

Eine starke Möglichkeit bot sich dem G7-Forum ausgerechnet durch ein Mittel, das entscheidend zum geopolitischem Erfolg der Bewegung der Blockfreien Staaten beigetragen hatte. Denn die Profite aus den Preissteigerungen der Ölkrise, die vor allem in den Golfstaaten angesammelt wurden, konnten lokal nicht mehr rentabel angelegt werden. Sie wurden also – auch im Zuge der neuen Beziehungen zwischen Teilen der arabischen Welt und den USA – in die Wall Street geleitet. Zusammen mit den Profiten des Kapitals des Globalen Nordens an den Ölgeschäften wurden etwa 450 Milliarden sogenannte Petrodollar auf die Suche nach Rendite geschickt. Fündig wurden sie in den Staatsschulden des Globalen Südens. Die verlorene Macht über die Angelegenheiten der nun formal unabhängigen Länder konnte so auf ökonomischer Ebene, ganz ohne Coups, schrittweise zurückerobert werden. Dafür wurden die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Bretton-Woods-Institutionen – Internationaler Währungsfonds und Weltbank – als Schuldenverwalter und -eintreiber eingesetzt. Ab Mitte der 70er Jahre vergaben sie großzügig Kredite an die Staaten des Globalen Südens.

Die damalige Schuldenkrise, die 1982 in Mexiko anfing und durch den Volcker-Schock, also einer Leitzinserhöhung in den USA, ausgelöst wurde und die Kosten für die Krisen des Nordens in den Süden auslagerte, wurde strategisch genutzt, um betroffene Staaten zu zwingen, die Errungenschaften des »Developmentalism« rückgängig zu machen. Zuvor verstaatlichtes Eigentum sollte wieder privatisiert und Importzölle abgeschafft werden, um die lokale Industrie zu schwächen und Importabhängigkeiten herzustellen. Außerdem wurden Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme eingedampft und die Produktion auf Rohstoffexporte zu günstigen Konditionen für die Gläubiger getrimmt. Die berüchtigten »Strukturanpassungen« nahmen hier ihren Anfang. Von Gründung bis heute steht also der Kampf gegen die Emanzipation des Globalen Südens im Zentrum der politischen Agenda der G7.

Faschistin gegen Befreiung

Wenn die Faschistin Meloni, die den diesjährigen Sitz des G7-Gipfels übernimmt, verlautet, dass der »Globale Süden ein zentraler Fokus sein wird«, dann ist das blanker Hohn. Inmitten des Klimakollapses, eskalierender Kriege und dem mörderischen Normalbetrieb des Kapitalismus und seines Schuldensystems, braucht es stattdessen echte, globale Solidarität.

Ansatzpunkte dafür bietet der Prozess für eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung 2.0, der am 27. Januar 2023 in Havanna gestartet wurde. Organisiert von der Progressiven Internationalen trafen sich Vertreter*innen aus mehr als 25 Ländern und erklärten, diesen Prozess anzustoßen. Und auch die noch immer existierende und wieder neu in Stellung gebrachte Bewegung der Blockfreien Staaten steht für die Kontinuität von Widerstand gegen die neokoloniale Ordnung. Die Proteste gegen den G7-Gipfel im Herzen des Aufstiegs der Neuen Rechten in Italien sind wichtiger Teil dieses Widerstands und gleichzeitigen Aufbaus einer neuen, gerechten Weltwirtschaftsordnung.

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