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Gebäudereinigerin: »Unser Beruf wird abgewertet«
Gebäudereinigerin Nadine Oehmigen und Gewerkschafterin Lisa Wellmann über die anstehende Tarifrunde, niedrige Löhne und die hohe Arbeitsbelastung
Am Dienstag beginnen die bundesweiten Tarifverhandlungen in der Gebäudereinigung. Worum geht es?
Wellmann: Wir fordern eine Lohnerhöhung von drei Euro pro Stunde für alle Beschäftigten und ein 13. Monatseinkommen für Gewerkschaftsmitglieder. Außerdem wollen wir eine deutliche Erhöhung der Ausbildungsvergütung durchsetzen.
Was bedeutet das für Sie?
Oehmigen: Ich verdiene momentan den Branchenmindestlohn von 13,50 Euro. Ich mache mir oft Sorgen, ob das Geld bis zum Monatsende reicht und muss mich bei allem Möglichen fragen, ob ich mir das leisten kann. Wenn wir wirklich die 16,50 Euro bekommen sollten, habe ich weniger Probleme. Und wir würden sehen, dass wir mit der Arbeit, die wir machen, gewürdigt werden.
Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag aus?
Oehmigen: Ich arbeite seit zwei Jahren bei Piepenbrock in der Gebäudereinigung, einer der größten Dienstleister der Branche mit einem Millionenumsatz. Die meiste Zeit bin ich in der Unterhaltsreinigung bei der Speiseversorgung der etwa 200 Schüler an der Grundschule hier in Machern tätig. Wir bringen das Essen auf die Teller und machen den Abwasch und die Logistik, die dahintersteht. Wir reinigen die Speiseräume, putzen aber auch die ganze Schule: Bäder, Klassenräume, Vorbereitungsräume. Stühle hochstellen und Tische abwischen gehört genauso dazu, wie Müll entsorgen und Fußböden reinigen. Für die 1800 Quadratmeter Fläche habe ich ungefähr sechs Stunden Zeit.
Das klingt nach einer hohen Arbeitsbelastung.
Lisa Wellmann (links) ist Gewerkschaftssekretärin bei der IG BAU.
Nadine Oehmigen (rechts) ist Gebäudereinigerin in der sächsischen Gemeinde Machern.
Oehmigen: Ja, danach bist du durch, weil es körperlich sehr anstrengend ist. Mein Arbeitgeber hat für uns zwar gut Zeit rausgeholt, damit wir nicht in Stress verfallen. Aber man schafft trotzdem nicht alles. Sachen, die liegen bleiben, machst du dann zwischendurch, wenn weniger Dreck ist und man Zeit für Kleinigkeiten hat. Und gerade arbeite ich auch viel mehr als vereinbart, weil es zu wenig Personal gibt. Eigentlich wollte ich in Teilzeit mit 25 bis 28 Stunden pro Woche arbeiten, weil ich zu Hause Kinder habe, die ich sehen will. Das geht aber nicht. Zuletzt waren viele Kolleginnen krank und wir haben teilweise Arbeit von zwei bis drei Leuten mitgemacht. Und leider kommt kein neues Personal dazu.
Woran liegt das?
Oehmigen: Zum einen am Beruf selbst, der ständig abgewertet wird. Es heißt, »du bist ja nur die Putze«, oder »das kann ja jeder« und was weiß ich. Und zum anderen liegt es an der schlechten Bezahlung. Ich habe zwar das Glück, dass ich verheiratet bin und mein Mann ganz gut verdient. Aber wegen der Inflation merken auch wir am Ende des Monats, dass nicht viel übrig bleibt. Vor allem für alleinerziehende Kolleginnen stelle ich es mir sehr schwer vor.
Reicht denn eine Lohnerhöhung von drei Euro pro Stunde überhaupt, um die Reallohnverluste der letzten Jahre auszugleichen?
Oehmigen: Wenn ich realistisch bin, nein. Aber es ist ein Anfang und man kann ja nur einen Schritt nach dem anderen machen.
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Oehmigen: Da besteht ehrlich gesagt nicht so ein großes Interesse. Es ist schwer, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und sich zu organisieren. Wir sehen uns nicht so viel, da jeder unterschiedliche Arbeitszeiten hat. Man trifft sich höchstens beim Müll wegbringen oder so. Aber was ich mitkriege, ist eher negativ. Da heißt es dann: »Was, nur drei Euro?« und: »Ich glaube nicht daran, dass das durchgesetzt werden kann.«
Wellmann: Die Reinigungsbranche ist zwar mit das größte Handwerk in Deutschland, mit bundesweit ungefähr 700 000 Beschäftigten. Aber es ist ein schwieriges Umfeld für gewerkschaftliche Organisierung. Die Branche funktioniert anders als zum Beispiel bei der IG Metall mit großen Fabriken, wo man alle erreicht, wenn man in den Betrieb fährt. Es gibt natürlich auch in der Reinigung Unternehmen wie BMW, wo 30 oder 40 Leute arbeiten. Aber die meisten haben maximal zehn Beschäftigte. Um die zu erreichen, fahre ich mal in eine Schule mit drei Leuten. Dann fahre ich zu einer Kita mit vielleicht einer Beschäftigten.
Und wie ist die Stimmung?
Oehmigen: Der Unmut ist groß, weil wir keine Inflationsprämie bekommen haben. Die hatten wir letztes Jahr gefordert und da waren die Arbeitgeber noch nicht einmal bereit, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Und die Kolleginnen sehen, dass in anderen Branchen gestreikt wird und Leute sich einsetzen für ihre Rechte und für Lohnerhöhungen. Die sagen, jetzt sind wir aber mal dran.
Wellmann: Vor allem hier in der Region Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die organisierten Beschäftigten durchaus kämpferisch. In Leipzig wurde im Vorfeld zum Beispiel ein Mindestgehalt von 18 Euro vorgeschlagen. Die Bundestarifkommission hat sich dann auf einen Kompromiss geeinigt.
Was ist von der Gewerkschaft mit Blick auf die Tarifverhandlungen geplant?
Wellmann: Wir haben eine Friedenspflicht bis zum 31. Dezember, weil der aktuelle Tarifvertrag bis dann gültig ist. Daher können wir nicht streiken. Aber wir bereiten uns natürlich darauf vor. Auch weil der letzte Streik schon fünf Jahre her ist. Am wichtigsten ist aber für uns im Moment die Frage, wie wir uns besser austauschen und vernetzen können. Dafür fahren wir überall in die Betriebe und organisieren Aktionen.
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