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Ständige Schatten bei Olympia
Antiterrormaßnahmen begleiten die Spiele in Paris. Die Kontrollen und Einschränkungen werden massiv sein
Ein Mann hat sich bei einer Explosion in einem Hotel nahe dem Pariser Flughafen Roissy Anfang Juni schwer verletzt, als er mit Chemikalien und einer Zeitschaltuhr hantierte, aus denen er offensichtlich eine Bombe bauen wollte. Der Täter, ein aus der separatistischen Ostukraine stammender Russe, wurde inhaftiert. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen Terrorismus eingeleitet.
Tage zuvor hatte Innenminister Gérald Darmanin darüber informiert, dass in Saint-Etienne, wo Anfang August Fußballspiele der Olympischen Spiele stattfinden, ein geplanter Terroranschlag vereitelt werden konnte. Bei dem Täter handelt es sich um einen aus der russischen Republik Tschetschenien stammenden 18-jährigen Islamisten. »Er wollte unter den Besuchern ein Blutbad anrichten und dann im Schusswechsel mit der Polizei als Märtyrer sein Leben lassen«, erläuterte Darmanin. Dieser Überfall konnte durch vorbeugende Ermittlungen im Internet und die rechtzeitige Verhaftung des Täters abgewendet werden. Es ist ein Einzelfall, einer von vielen Sicherheitsproblemen, mit denen Polizei, Gendarmerie und Geheimdienste im Vorfeld der Olympischen Spiele konfrontiert sind, betonte der Innenminister.
Tatsächlich sind die Herausforderungen für die Sicherheitskräfte groß. Es gilt, 878 Wettkämpfe in 54 Disziplinen abzusichern, an den zunächst 10 500 Sportler bei den Olympischen Spielen und dann 4350 weitere Athleten bei den Paralympischen Sommerspielen teilnehmen. Neben den Olympiastätten in Paris zählen auch die Stadien von Bordeaux, Lille, Lyon, Nantes, Nizza und Saint-Etienne zu den Austragungsorten. Außerdem finden an der Küste vor Marseille die Segelregatten statt. Hinzu kommen die Surf-Wettkämpfe vor der Pazifik-Insel Tahiti im 16 000 km entfernten französischen Polynesien.
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Potenziell bedroht wird der Frieden der Spiele durch Terroranschläge, Cyberangriffe und Epidemien, wobei die Terrorabwehr derzeit die größte Herausforderung für die Sicherheitskräfte ist, betont der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nunez. »Das größte Kopfzerbrechen bereitet uns die Eröffnungszeremonie. Sie findet erstmals in der olympischen Geschichte nicht in einem Stadion, sondern auf und entlang der Seine mitten in Paris statt.« Dabei fahren die Sportlerdelegationen der einzelnen Länder die sechs Kilometer von der Bercy-Brücke im Osten der Stadt bis zum Eiffelturm im Westen auf mehr als 100 unterschiedlich großen Ausflugsschiffen. Der Schiffskorso wird drei Stunden dauern und durch ein buntes Kulturprogramm begleitet. »Diese Zeremonie können 100 000 geladene Gäste am Seineufer aus der Nähe verfolgen, während 200 000 Besucher weiter oben kostenlos am Straßenrand stehen und zusehen können«, sagt der Präfekt. »Aber alle müssen im Handy einen QR-Code haben, der ihnen bescheinigt, dass sie die Sicherheitsüberprüfung erfolgreich absolviert haben.«
Diesen Code kann man seit Mitte Mai auf einer staatlichen Internetseite beantragen. Anhand der persönlichen Daten wird jeder Antragsteller überprüft, indem seine Angaben mit rund einem Dutzend Datenbanken der Polizei, der Justiz, des Zolls sowie der verschiedenen Geheimdienste verglichen werden. Wer dabei nicht als »Sicherheitsproblem« auffällt, bekommt innerhalb weniger Tage per Mail seinen Code. Den benötigen nicht nur die Pariser, sondern auch Touristen zwischen Mitte Juli und Mitte September für alle Straßen im Stadtzentrum und entlang der Seine, für die dort gelegenen Restaurants und Museen und für die Umgebung der großen Sportstätten. Autofahrer würden noch stärker eingeschränkt als Fußgänger, erläutert der Polizeipräfekt, Fahrten seien im Zentrum nur für Anwohner sowie für den öffentlichen Nahverkehr, für Krankenwagen sowie für unerlässliche Versorgungen erlaubt.
Véronique Siegel, die Vorsitzende des Hotellerie- und Gastronomieverbandes Umih, rechnet wegen der vielen Vorschriften damit, dass sich die hohen Erwartungen, die Unternehmen in die Spiele gesetzt hatten, nicht erfüllen werden. »Die vielen Berichte in den in- und ausländischen Medien über die scharfen Sicherheitskontrollen verschrecken Touristen, die daher Paris in diesem Sommer lieber meiden werden. Das dürften mehr Menschen sein als die extra anreisenden Olympiabesucher.« Erst vor einigen Tagen sei wieder eine neue Anordnung mitgeteilt worden. »In bestimmten Gebieten der Stadt müssen die Terrassen vor den Cafés und Restaurants für die Zeit der Spiele leer bleiben. Für die betroffenen Kollegen ist das ein großer Verlust. Bei vielen macht das im Sommer mehr als die Hälfte ihres Umsatzes aus. Ob es dafür eine Entschädigung gibt, ist noch völlig offen«, sagt die Branchenvertreterin. Offiziell begründet wird die Schließung mit dem stärkeren Fußgängerverkehr während der Spiele, aber auch die Erfahrung mit den islamistischen Terroranschlägen vom 13. November 2015 dürften eine Rolle spielen, als Dutzende auf Caféterrassen sitzende Gäste im Kugelhagel der ihr Leben verloren.
Koordiniert werden die Sicherheitsmaßnahmen von einer speziell eingerichteten Zentrale beim Innenministerium. Für die Sammlung aller sicherheitsrelevanten Informationen und für die Überprüfung der auf mehr als eine Million geschätzten Antragsteller für einen QR-Code wurde beim Innenministerium eine Informationszentrale gebildet.
Um die Einhaltung all dieser Vorschriften zu kontrollieren, werden insgesamt 30 000 Polizisten und Gendarmen sowie 22 000 Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen benötigt. Bei den staatlichen Sicherheitskräften wurde für die Monate Juli bis September bereits eine Urlaubssperre verhängt. Doch die Sicherheitsfirmen haben große Schwierigkeiten, die nötigen Personen zu finden, die man für diese drei Monate einstellen und ausbilden könnte, zumal bekannt ist, wie schlecht in dieser Branche die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung sind.
Für den Tag der Eröffnungszeremonie wurde für den Luftraum von Paris und einen Kreis von 150 Kilometern um die Stadt ein absolutes Flugverbot verhängt, sodass zwischen 19 Uhr und Mitternacht auch der Verkehr auf den Pariser Flughäfen Roissy, Orly und Le Bourget ruhen wird. Für die ganze Dauer der Olympischen und der Paralympischen Spiele werden rund um Paris Einheiten der Luftabwehr stationiert, die vor allem eindringende Drohnen aufspüren und unschädlich machen sollen.
Die Erfahrungen der jüngsten Olympischen Spiele in Peking, London, Rio und Tokyo haben gezeigt, dass mit wachsender Tendenz mit Cyberangriffen gerechnet werden muss. Als Täter kommen nicht nur Staaten infrage, die Frankreich feindlich gesinnt sind und ihm schaden wollen, sondern auch Kriminelle, die Geld erpressen wollen, indem sie damit drohen, Computersystemen lahmzulegen und Daten zu klauen. Durch eventuelle Störangriffe gefährdet sind beispielsweise Steuersysteme für den Ton und die Beleuchtung auf den Sportstätten sowie die Fernsehübertragungstechnik. Schwerwiegende Folgen für den Ablauf der Spiele und die Anerkennung der Ergebnisse hätte es, wenn es Hackern gelingen würde, in die Zeitmesstechnik der Wettkämpfe einzudringen und sie zu verstellen. Die Abwehr solcher Angriffe und das blitzschnelle Umschalten auf Ersatzprogramme wird von den Technikern seit Monaten trainiert.
Heftige Diskussionen gab es um die Frage, wieweit Videoüberwachung bei der Absicherung der Spiele einbezogen werden soll und welche technischen Möglichkeiten dabei genutzt werden. Ein 2023 erlassenes Gesetz legte eindeutig fest, dass Videoüberwachung mit sogenannten intelligenten Kameras erlaubt ist, um Sicherheitsprobleme zu erkennen, aber nicht mit »Gesichtserkennungs-Software«, was die automatische Identifizierung jeder im Bild erfassten Person bedeuten würde. »So etwas wird in China praktiziert, ist aber mit den Menschenrechtsprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates unvereinbar«, sagt Benjamin Bayart von der Bürgervereinigung La quadrature du Net. Das ist auch die Überzeugung des Abgeordneten und ehemaligen Verkehrsministers Clément Beaune, aber er gibt zu bedenken: »Es ist schade, dass man durch übergroße Zurückhaltung die Chance verspielt, unter strengen Rahmenbedingungen bei einem solchen Großereignis Videoaufnahmen mit Gesichtserkennung zu testen.«
Die gesetzlich zulässige Videoüberwachung kann allerdings mittels Künstlicher Intelligenz Auffälligkeiten im öffentlichen Raum erkennen. Automatisch werden Personen festgestellt, deren Verhalten auf Sicherheitsprobleme schließen lässt. Die Bildauswertung erkennt beispielsweise Personen, die verdeckt Schusswaffen mit sich führen, aber auch verdächtige Taschen oder unbeaufsichtigte Gegenstände. Ferner können Personen aufgespürt werden, die am Boden liegen oder bedenkliche Menschenansammlungen von mehr als fünf Personen pro Quadratmeter.
Eine solche Videoüberwachung wird von einer großen Mehrheit begrüßt. Drei von vier Franzosen haben laut Umfragen des Amtes für Datenschutz keine Probleme damit. Wenn sie sich die Überwachung lediglich auf Stadien und andere Sportstätten bezieht, liegt die Zustimmungsrate sogar bei 88 Prozent. Verwunderlich ist diese Zustimmung nicht. Schließlich liegen die verheerenden Terroranschläge von Paris mit 130 Toten und Nizza, wo 86 Menschen starben, keine zehn Jahre zurück.
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