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Butterwegge: »Ich hätte selbst über das Geld entschieden«
Armutsforscher Christoph Butterwegge überlegt, was er mit 25 Millionen Euro machen würde
2021 sagten Sie, Marlene Engelhorn sei »keine Nebelkerze wie andere Philanthropen, die Steuern sparen wollen«. Wie kamen Sie darauf?
Marlene Engelhorn hängt im Unterschied zu vielen Mäzenen, die ihren Ruhm durch gute Taten mehren wollen, ja nicht an ihrem Reichtum, sondern beschäftigt sich kritisch mit dem Thema der sozioökonomischen Ungleichheit. Das unterscheidet sie positiv von denjenigen, die eine rein karitative Herangehensweise haben. Auch wenn sie ihrem sozialen Status gemäß ebenfalls sehr PR-mäßig agiert. Philanthropie ändert nichts an den Wirtschaftsstrukturen, an den Eigentumsverhältnissen und den Verteilungsmechanismen dieser Gesellschaft. Die muss man jedoch antasten, wenn man wirklich etwas verändern will. Der »Gute Rat« von Marlene Engelhorn scheint ein Mittelding zwischen politischer und karitativer Herangehensweise zu sein. Denn neben Wohlfahrtsorganisationen bedenkt der Gute Rat auch Organisationen, die sich für Steuergerechtigkeit einsetzen. Das ist natürlich keine reine Philanthropie, sondern politisches Engagement, das eine Veränderung der Gesellschaft bezweckt.
Was hätten Sie denn mit den 25 Millionen Euro gemacht?
Ich hätte selbst darüber entschieden, wie das Geld einen politischen Effekt erzielt, und es konzentrierter eingesetzt, also nicht auf 77 Initiativen aufgeteilt. Man könnte damit eine Partei gründen oder unterstützen, eine bestimmte politische Organisation stärken oder alternative Medien schaffen. In den 60ern gab es die Parole »Enteignet Springer!«. Schon damals war Protestierenden klar, dass die Schieflage der Einkommens- und Vermögensverteilung wesentlich mit der medialen Übermacht von Multimilliardären zusammenhängt.
Christoph Butterwegge sprach mit Sarah Yolanda Koss. Er lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und veröffentlichte zuletzt die Bücher »Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaftliche Herausforderung« sowie »Umverteilung des Reichtums«.
Bei dem Bürgerrat geht es doch auch darum, dass nicht eine reiche Person alleine über das Geld entscheiden soll, das sie geerbt hat ...
Da stimme ich nicht mit Marlene Engelhorn überein. Ich bezweifle, dass ein durch Zufallsauswahl entstandenes Gremium bessere Entscheidungen trifft als eine Einzelperson, die sich intensiv mit der materiellen Ungleichheit auseinandersetzt. Wer sich wie ich seit 30 Jahren damit befasst, delegiert eine solche Entscheidung nicht freiwillig an Personen, die er nicht kennt. Vielleicht bin ich als Wissenschaftler zu elitär, den basisdemokratischen Ansatz teile ich jedenfalls nicht.
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Zu Engelhorns Bürgerrat findet sich sonst kaum linke Kritik. Sollte das nicht Aufgabe eines Korrektivs sein?
Aus verständlichen Gründen wird der »Guten Rat« im grün-alternativen Spektrum begrüßt. Er begrenzt schließlich Engelhorns persönlichen Einfluss und verkörpert Bürgernähe. Man sieht gegenwärtig nur zu deutlich, wie sehr die parlamentarischen Entscheidungsstrukturen zur Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeit beitragen. Daraus erwächst die Wunschvorstellung, dass ein andersgeartetes Gremium zu besseren Entscheidungen kommt. Zum Beispiel deshalb, weil es keinen Lobbyeinflüssen seitens der Wirtschaft unterliegt. Die einzelnen Ratsmitglieder sind aber auch jahre- oder jahrzehntelang von bürgerlichen Medien beeinflusst worden, die in Deutschland ebenso wie in Österreich größtenteils Hyperreichen gehören. Wenn ein Rat das Bewusstsein der Bevölkerung abbildet und die Forderung der AfD, die Erbschaftsteuer abzuschaffen, laut Umfragen durchaus Anklang findet – obwohl das ausschließlich im Interesse der Wohlhabenden liegt –, mache ich mir Sorgen hinsichtlich seiner politischen Ausrichtung.
Apropos Erbschaftsteuer – die gibt es in Österreich nicht mehr; auch darüber sollte der »Gute Rat« eine Debatte generieren. Welche Maßnahmen würden Sie für gerechte Umverteilung ergreifen, über eine Reform der Erbschaftsteuer hinaus?
Reformbedürftig ist vor allem die Erbschaftsteuer für Firmenerben. Denn man kann hierzulande einen ganzen Konzern erben, ohne einen Cent Erbschaftsteuer zahlen zu müssen. Außerdem plädiere ich für eine Wiedererhebung der Vermögensteuer. Ergänzend wäre eine Vermögensabgabe von zehn Prozent denkbar, auf fünf Jahre verteilt. Vorbild wäre der Lastenausgleich von 1952. Damals hat man auf 30 Jahre verteilt 50 Prozent wegbesteuert, ohne dass die Reichen viel davon gemerkt haben, weil ihr Vermögen in dem langen Zeitraum durch inflationäre Tendenzen entwertet und trotz der Besteuerung meist gewachsen ist. Das könnte man jetzt auch machen, ohne dass Reiche einen Champagner weniger trinken müssen. Um auch Spitzenverdiener, Großaktionäre und Konzerne mehr finanzielle Verantwortung tragen zu lassen, müsste man den Solidaritätszuschlag als Krisensoli erheben und verdoppeln. Steuerpolitik ist ein wichtiger Hebel, um soziale Ungleichheit zu verringern. Wenn diese Ungleichheit nicht trotzdem immer wieder reproduziert werden soll, muss allerdings das kapitalistische Wirtschaftssystem infrage gestellt werden.
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