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Haushaltsverhandlungen zwischen Sparzwang und Wahlkampf
Am 3. Juli soll der Bundesetat 2025 stehen – eine Einigung in der Ampel ist nicht in Sicht. Kann der Kompromiss noch gelingen? Und was, wenn nicht?
Es brummt und rumort dieser Tage in den weiten Gängen des Bundestags: Die Stimmung zwischen den Ampel-Parteien ist so angespannt wie selten zuvor, heißt es aus Koalitionskreisen. Denn bei den Verhandlungen um den Haushalt 2025 zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz, Frinanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck geht es um alles – im Extremfall sogar der Koalition an den Kragen.
Das Problem: Im geplanten Etat klafft aktuell ein Loch von 30 bis 50 Milliarden Euro. Eine Einigung, wie man dieses beseitigen will, ist auch nach mehreren Treffen des Spitzentrios nicht in Sicht. Weder Lindner noch Scholz wollen an der Schuldenbremse rütteln, die neue Kreditaufnahmen verbietet. Wie kann ein Haushaltskompromiss unter diesen Umständen gelingen – und was passiert, wenn es bis zum 3. Juli nicht die geplante Einigung gibt?
Drei Löcher, ein Haushalt
Zunächst die Ausgangslage: Für das Jahr 2025 ist ein Budget in Höhe von 452 Milliarden Euro geplant, 25 Milliarden Euro weniger als im laufenden Jahr. Darauf hatte man sich schon im Sommer 2023 bei der mittelfristigen Finanzplanung geeinigt. Treibende Kraft für die Einsparungen: der FDP-Finanzminister. Kanzler Scholz gibt ihm dabei Rückendeckung – trotz lauter werdender Kritik aus seiner SPD und von den Grünen. Dazu kommt, dass der Bund der aktuellen Steuerschätzung zufolge im kommenden Jahr 11 Milliarden Euro weniger einnehmen wird als angenommen, denn die Wirtschaftslage hat sich verschlechtert. Das heißt, es fehlen mindestens 36 Milliarden Euro in der Haushaltsplanung.
Außerdem: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will mehr Geld für die Bundeswehr, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fordert mehr Mittel für Ukraine-Hilfen, Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) für weitere Entwicklungshilfen, und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat Zusatzbedarf für höhere Gehälter im öffentlichen Dienst, Integrationskurse und Cyber-Sicherheit angemeldet. Nicht zu vergessen: das Rentenpaket von Hubertus Heil, sozialpolitisches Herzensprojekt des Bundeskanzlers. All diese Wünsche dürften Schätzungen zufolge die Sparvorgaben des Finanzministers um 20 Milliarden Euro überschreiten.
Zusammengerechnet fehlen demnach sogar um die 50 Milliarden Euro, die es entweder einzusparen oder an der Schuldenbremse vorbeizufinanzieren gilt. Der nächste große Ampel-Streit ist also bereits in vollem Gange.
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Der letzte volle Ampel-Etat vor den Wahlen
Politisch befinden sich die Ampel-Parteien in einem Dilemma: Der Etat 2025 ist der letzte Vollhaushalt vor Ende der Legislatur. Bis dahin gilt es zu zeigen, was die Koalitionäre in den vier Jahren im Amt geschafft haben. Für Lindner ist die Einhaltung der Schuldenbremse von höchster Priorität. Dem gegenüber stehen die kostspieligen Vorhaben von SPD und Grünen.
»Die Ampel steht nach dem desaströsen EU-Wahlergebnis unter Zugzwang«, sagt der Ökonom Maurice Höfgen gegenüber »nd«. Einen Sparhaushalt, bei dem jeder Koalitionär seinen Wählern schmerzhafte Einschnitte erklären müsse, könne sich die Ampel genauso wenig leisten wie ewigen Streit und ein Platzen der Haushaltsverhandlungen.
Wie kann also in dieser Situation ein Kompromiss gelingen? Zum einen ist zu erwarten, dass die Koalitionäre wie schon im vergangenen Jahr eine Art Salamitaktik anwenden werden, also kleinere Streichungen in verschiedenen Bereichen. Lindner sprach sich am Mittwoch gegenüber Deutschlandfunk für Einsparungen im Sozialbereich aus – etwa beim Bürgergeld. Kürzungen bei der Verteidigung soll es nach Wunsch des Finanzministers aber nicht geben.
Die Wohlfahrtsverbände schlagen angesichts der drohenden Sozialkürzungen Alarm und warnen »vor einer gefährlichen Abwärtsspirale, in der immer mehr Angebote der Sozialen Arbeit eingestellt werden müssten«. Laut einer neuen Umfrage mussten in den vergangenen zwei Jahren knapp zwei Drittel der Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege wegen finanzieller Schwierigkeiten ihre Angebote einschränken oder einstellen, heißt es weiter in der Erklärung. »Die Sparpolitik des Finanzministers ist eine ernste Bedrohung für die soziale Infrastruktur in unserem Land«, kritisiert Michael Groß, Präsident des Arbeiterwohlfahrt-Bundesverbands.
Ökonom: »Es braucht kreative Lösungen«
»Es braucht kreative Lösungen, die Lindners Gesicht wahren. Das heißt vor allem: Die Schuldenbremse formal einhalten, aber ihre Löcher nutzen,« meint Höfgen. So könne die Ampel die russische Offensive im Ukraine-Krieg als Anlass nehmen, um die Notlagenklausel der Schuldenbremse zu nutzen und ihre Sparvorgaben zu umgehen. Damit wären mehr als 20 Milliarden Euro für Ukraine-Hilfen oder Bundeswehr-Ausgaben an Spielraum gewonnen, so Höfgen.
Eine weitere Option nach Ansicht des Wirtschaftsexperten: Die Bundesregierung könnte Investitionen in Schienen, Autobahnen oder Cybersicherheit in Staatsfirmen auslagern und deren Eigenkapital erhöhen. »Der Trick: Staatsbeteiligungen sind von der Schuldenbremse ausgeklammert.«
Zudem gebe es die Option, die sogenannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse so anpassen, dass in Krisen mehr Kreditaufnahmen erlaubt sind. Das ginge sogar einfach gesetzlich mit Kanzlermehrheit und würde den Verfassungsartikel der Schuldenbremse nicht verändern, erklärt Höfgen. »Die Ampel sich sogar mal in den Koalitionsvertrag geschrieben!«
Was, wenn die Verhandlungen scheitern?
Werden sich Lindner, Scholz und Habeck nicht wie angekündigt bis zum 3. Juli, also in der letzten parlamentarischen Woche vor der Sommerpause, einig, kann der Kabinettsbeschluss auch auf den Herbst verschoben werden. Dann müsste man sich allerdings unter großem Zeitdruck auf einen Haushaltsentwurf einigen, denn spätestens dann muss eine Einigung ins parlamentarische Verfahren gehen, damit der Bundestag darüber abstimmen kann.
Scheitern die Regierungsverhandlungen im Herbst erneut, könnte auch kein Haushalt verabschiedet werden. Dann würde nur die vorläufige Haushaltsführung gelten – nur bestimmte, gesetzlich verpflichtende Ausgaben wären dann noch erlaubt. Alles andere stünde unter dem Vorbehalt des Bundesfinanzministers, die anderen Ressorts müssten dort ständig um Mittelfreigabe bitten.
Zudem könnte FDP-Chef Lindner für seine Partei den Austritt aus der Regierung erklären und als Bundesfinanzminister um seine Entlassung bitten. Dann würden SPD und Grüne eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten führen, die FDP-Ressorts würden unter SPD und Grünen aufgeteilt.
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