Sudan: Sieben Millionen auf der Flucht

Der seit April 2023 andauernde Krieg in dem nordostafrikanischen Land hat unzählige Menschen zu Binnenvertriebenen gemacht

Aus dem Sudan geflüchtete Frauen und Kinder im südsudanesischen Hafen Renk: 550 000 Menschen sind vor dem Krieg im Sudan in den ebenso armen Südsudan geflohen.
Aus dem Sudan geflüchtete Frauen und Kinder im südsudanesischen Hafen Renk: 550 000 Menschen sind vor dem Krieg im Sudan in den ebenso armen Südsudan geflohen.

Es ist die größte Zahl an Binnenflüchtlingen weltweit: Mehr als sieben Millionen Menschen mussten im Sudan allein seit dem Frühjahr 2023 ihre Herkunftsorte verlassen. Damals begann der erbarmungslose Krieg zwischen der Armee von General Abdel Fattah Al-Burhan und den Milizen seines Vizes Mohammad Hamdan Daglo alias Hemeti.

Und nicht nur im Sudan selbst, sondern auch in Ägypten, der seit 2011 unabhängigen Republik Südsudan und anderen Nachbarländern wächst die Zahl der täglich aus den Regionen Khartum und Darfur geflüchteten Familien. 9,2 Millionen Menschen insgesamt und damit fast ein Viertel der 48 Millionen Sudanesen haben in diesem Krieg laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ihr Zuhause verloren.

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Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im nigrischen Agadez gehen davon aus, dass viele der 500 000 in den Tschad geflohenen Sudanesen sich in den kommenden Monaten durch die Sahara in Richtung Mittelmeer durchschlagen werden, um die riskante Überfahrt nach Italien zu wagen. Lebensgefährlich ist dabei die Reise auch auf den Ladeflächen der Pick-ups von Menschenhändlern in der Sahara. Die Temperaturen liegen im Tschad und Libyen bereits jetzt durchgehend bei über 40 Grad.

Die neuesten Meldungen aus der sudanesischen Provinz Darfur geben nur wenig Hoffnung, dass Geflüchtete bald dorthin zurückkehren können. Die paramilitärischen Milizen »Rapid Support Forces« (RSF) von Hemeti belagern zur Zeit Al-Fascher, die Hauptstadt des Bundesstaats Nord-Darfur (Schamal Darfur). Vor Ausbruch der Kämpfe lebten dort 290 000 Einwohner.

Das Ziel von Hemeti ist die Eroberung der gesamten an der Grenze zum Tschad gelegenen Provinz Schamal Dafur. Die Vertreibung der sudanesischen Armee und der mit ihr verbündeten Dschandschawid-Milizen gäbe Hemeti und den mit ihm kooperierenden russischen Militäreinheiten Zugriff auf große Vorkommen an Gold und anderen Bodenschätzen.

Für einen Sieg ist der RSF-Führung offenbar jedes Mittel recht. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte jüngst, es gebe in den Kampfgebieten kaum noch Nahrung und Medikamente: »Über 70 Prozent der Krankenhäuser von Darfur sind geschlossen, die Versorgung von Müttern, Kindern und unterernährten Menschen droht endgültig zusammenzubrechen.«

Bereits Ende Mai hatten die Vereinten Nationen vor einer Hungersnot gewarnt, die bis zu 18 Millionen Menschen treffen könnte. Sudanesische Journalisten und die Zivilgesellschaft machen das brutale Vorgehen beider Kriegsparteien für die immense Zahl Geflüchteter verantwortlich.

»Ich habe in Al-Dscheneina erlebt, wie die mit Pick-Ups einrückenden Kämpfer ganze Stadtteile unbewohnbar machten.«

Ahmed Gouja Journalist

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt schon seit 2005 im Auftrag des UN-Sicherheitsrats wegen zahlreicher Kriegsverbrechen in Darfur. 2009 wurde gegen den damaligen Präsidenten Omar Al-Baschir ein Haftbefehl wegen Verdachts des Völkermords ausgestellt, weil die mit ihm verbündeten Dschandschawid-Milizen ganze nicht arabische Dörfer niederbrannten. Im jetzigen Krieg dient die Vertreibung der Bevölkerung als Mittel, um eine Teilung des Landes vorzubereiten.

Karim Khan, Chefankläger in Den Haag, forderte vergangene Woche internationale Organisationen und Behörden auf, Beweise und Informationen zu ethnischen Säuberungen zu übergeben. Doch häufig tagelange Unterbrechungen der Strom-und Wasserversorgung sowie Verhaftungen von Journalisten haben zu einem Informations-Blackout geführt. »Dennoch erreichen uns über mutige Aktivisten täglich Beweise für systematischen Angriffe auf die Stadtteile in Al-Fascher«, erklärte Khan, der kürzlich mit dem Antrag für Haftbefehle gegen die Hamas-Führung und Israels Premier Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant für Aufsehen sorgte.

UN-Experten sprechen bereits von einem erneuten Völkermord. »Das Kriegsziel in Darfur ist ein Bevölkerungsaustausch aus wirtschaftlichen Interessen nach dem Ende des Krieges«, glaubt der Journalist Ahmed Gouja. Während die RSF die rohstoffreichen Gegenden Darfurs für sich und ihre Verbündeten ins Visier genommen hat, scheinen Sudans Armee und die Elite in Khartum ägyptische, saudische und russische Interessen im Westen des Landes durchzusetzen. Auf dem Energieforum in St. Petersburg bestätigte jüngst Mail Agar, Vizechef des Übergangsrates, dass in Port Sudan eine russische Marinebasis entstehen soll.

»Wir sind ähnlich wie die Libyer nur Zuschauer in unserem eigenen Land«, kommentiert der Journalist Gouja gegenüber »nd« den Stellvertreterkrieg. Und Karim Khan wird zunehmend ungehaltener. »Es ist empörend, dass wir zulassen, wie sich die Geschichte in Darfur wiederholt. Und niemand könnte behaupten, es habe keine Warnung gegeben«, sagte er kürzlich.

Am 13. Juni forderte der UN-Sicherheitsrat mit einer von Großbritannien eingebrachten Resolution vergeblich das Ende der Kämpfe um Al-Fascher. Ahmed Gouja erinnern die dortigen Vertreibungen durch die RSF an die Massaker in seiner Heimatstadt Al-Dscheneina. Im vergangenen November schockierten Handyaufnahmen von zu Fuß über in den Tschad fliehende Familien die Weltöffentlichkeit. Zehntausende in Kolonnen marschierende Menschen wurden von häufig kaum volljährigen RSF-Milizionären beschossen. »Ich habe in Al-Dscheneina erlebt, wie die mit Pick-Ups einrückenden Kämpfer ganze Stadtteile unbewohnbar machten, zunächst Marktplätze und Krankenhäuser, um sämtliche Angehörige des nicht-arabischen Stammes der Massalit zu vertreiben«, sagt Gouja. Der 33-Jährige musste sich über Wochen verstecken.

Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch interviewten Überlebende der Verbrechen gegen die Massalit. Auch diese Zeugenaussagen liegen nun dem Internationalen Strafgerichtshof vor. In Ardamata, einem Vorort von Al-Dscheneina, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 1000 Männer zusammengetrieben und getötet. RSF-Kämpfer rechtfertigen die Gräueltaten in Al-Dscheneina und Al-Fascher als Rache für Angriffe auf arabische Stadtviertel.

Doch während Bewohner von Al-Dscheneina in wenigen Stunden die rettende Grenze erreichen konnten, stehen die Belagerten von Al-Fascher selbst nach gelungener Flucht aus der Stadt vor unlösbaren Problemen. Auf der 300 Kilometer langen Fluchtroute in den Osten Darfurs gibt es weder Wasser noch ausreichend Lebensmittel.

Mehrere Stadtviertel Al-Faschers sind von der Außenwelt abgeschnitten. »Es ist, als habe sich ein Höllenschlund aufgetan«, sagt die junge Sudanesin Aziza aus Khartum. Die Menschenrechtsaktivistin, die lieber anonym bleiben möchte, versucht, zusammen mit Mitstreitern aus dem ganzen Land Kriegsverbrechen zumindest zu dokumentieren. »Das ist alles, was uns derzeit bleibt.«

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