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Viele Risikofaktoren für Einsamkeit

Auf seiner Jahrestagung diskutierte der Ethikrat eine existenzielle Erfahrung

Gefüllte Stadien und Fanmeilen, in Gruppen jubelnde Menschen an vielen Orten – kaum etwas kontrastiert stärker mit dem Thema Einsamkeit als die aktuelle Fußball-Europameisterschaft. Deren erste Woche fällt zeitlich zusammen mit der nationalen Aktionswoche gegen Einsamkeit. Am Mittwoch fand in Berlin zudem die Jahrestagung des Deutschen Ethikrats statt, der sich ebenfalls und in epischer Breite diesem Thema widmete.

»Man muss allein sein können, damit man ein Gefühl für sich selbst entwickeln kann.«

Heinz Bude Soziologe

Ausgangspunkt der Debatte auch beim Ethikrat ist die sogenannte stille Epidemie der Einsamkeit. Hierzulande fühlt sich etwa ein Viertel der Bevölkerung nach aktuellen Erhebungen sehr einsam. Eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung stellte fest, dass sich unter den 33- bis 53-Jährigen etwa ein Drittel einsam fühlt, bei den 19- bis 29-Jährigen sind es fast 45 Prozent. Befragt wurden bundesweit 30 000 repräsentativ ausgewählte Menschen. In dem Bericht zur Studie wurde unterschieden zwischen emotionaler und sozialer Einsamkeit – erstere meint das Fehlen enger Bezugspersonen und war etwas schwächer ausgeprägt als die zweite, bei der soziale Kontakte und größere Netzwerke vermisst werden.

Die Unterscheidung zeigt schon, dass sich das Thema weit auffächern lässt. Eben das wurde auf der Tagung des Ethikrats auch unternommen. Die zeitdiagnostische Einordnung kam vom Soziologen Heinz Bude. Der emeritierte Professor aus Kassel startete mit einer Typologie der Einsamkeiten, begonnen bei derjenigen der Großstadtmenschen über die der Pubertierenden bis hin zu jener der Sterbenden. Immer sei die Einsamkeit ein »Begriff der Klage über den Verlust von Bindungen«. Sie ist aber etwas anderes als bloßes Alleinsein für bestimmte Zeiträume oder als sozialer Ausschluss. Sie kann sogar gewollt sein. Bude postuliert sogar: »Man muss allein sein können, damit man ein Gefühl für sich selbst entwickeln kann.« Insofern kann man dem Wissenschaftler folgen, wenn er Einsamkeit nicht nur als Folge von entfremdeten Sozialbeziehungen und eine Grundstruktur der kapitalistischen Gesellschaft sieht.

Was könnten jedoch Gegenmittel sein? Neue soziale Treffs oder eine kognitive Therapie?, fragte auf der Veranstaltung der norwegische Philosoph Lars Fredrik Händler Svendsen. Es gebe keine generelle Antwort, jeder hätte auch die Verantwortung, an sich selbst zu arbeiten. Andererseits brachte Svendsen auch das Thema Vertrauen in die Diskussion ein. Das sei schwer herzustellen und schnell zu zerstören. Studien zeigten aber, dass Vertrauen in den Gesellschaften höher ist, in denen es wenig Korruption, mehr Bildung und mehr Gleichheit gibt. Auch andere Beteiligte der Diskussion wiesen darauf hin, dass es im Kampf gegen Einsamkeit viele politische Felder gebe.

Ein schlechter Gesundheitsstatus und niedrige Bildung sind laut Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung wichtige Risikofaktoren für Einsamkeit. Auch Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit verspüren häufiger ein Gefühl von Einsamkeit. Am häufigsten sei dies unter Menschen, die aus afrikanischen Staaten eingewandert seien. Die Auseinandersetzung mit rassistischer Ausgrenzung ist also auch eines der Politikfelder, die es im Kampf gegen die Einsamkeit zu beackern gilt. Spätestens hier sind die wirtschaftlichen Ressourcen zu nennen: Mit mehr Einkommen (mehr Bildung kommt hinzu) gibt es mehr Zugang zu bestimmten Bereichen. Konzerte, Einladungen, gemeinsames Essen auswärts kosten auch. Wer nicht mithalten kann, fühlt sich ausgegrenzt. Besonderer Druck entsteht dadurch, dass ein Zugeben ökonomischer Schwäche mit Scham verbunden ist.

»Die sozialen Aspekte lassen sich nicht mit drei Stellschrauben ändern«, meint Maike Luhmann, Psychologin von der Ruhr-Universität Bochum. Sie nennt Arbeit, Mobilität oder Städtebau als Puzzleteile. Mit Maßnahmen zu unterstützen seien vor allem Gruppen, die mehrere Risikofaktoren gleichzeitig hätten, also etwa chronisch krank und ohne Schulabschluss seien. Bedauert wurde in der Debatte, dass psychische Gesundheit kein Bildungsthema in den Schulen sei – auch weil insbesondere von den Jüngeren, teils als Nachwirkung von Pandemiemaßnahmen, Einsamkeit am häufigsten empfunden werde. Forschern ist zudem aufgefallen, dass sich dieses Gefühl dann häufig im späteren Leben wiederfinde.

Gesundheitliche Folgen von Einsamkeit beleuchtete der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer. Er verwies auf eine Meta-Studie, die untersuchte, welche Faktoren die Sterblichkeit am meisten senken können. Den geringsten Einfluss hatte unter sechs Faktoren saubere Luft, gefolgt von behandeltem Bluthochdruck, Sport, Alkoholverzicht, Nichtrauchen. Den stärksten Einfluss zugunsten einer niedrigen Sterblichkeit hatte jedoch das Gefühl, nicht einsam zu sein. Letzteres helfe sogar gegen Schmerzen, wie Experimente zeigten.

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