Protest gegen Auslagerung von Asylverfahren

Mehr als 300 Verbände und Initiativen fordern die Bundesregierung zur Einhaltung der Menschenrechte Geflüchteter auf

  • Melanie M. Klimmer
  • Lesedauer: 5 Min.
Auch in Deutschland müssen Asylbewerber lange Zeit in Erstaufnahmeeinrichtungen wie dieser im brandenburgischen Eisenhüttenstadt zubringen. Geht es nach den Wünschen etlicher Innenminister der Länder, sollen viele Schutzsuchende gar nicht mehr nach Deutschland kommen, sondern in dafür bezahlten afrikanischen Ländern verbleiben.
Auch in Deutschland müssen Asylbewerber lange Zeit in Erstaufnahmeeinrichtungen wie dieser im brandenburgischen Eisenhüttenstadt zubringen. Geht es nach den Wünschen etlicher Innenminister der Länder, sollen viele Schutzsuchende gar nicht mehr nach Deutschland kommen, sondern in dafür bezahlten afrikanischen Ländern verbleiben.

Diesen Donnerstag will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Prüfbericht ihres Hauses zu Möglichkeiten der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ihren Länderkollegen vorstellen – ausgerechnet am Weltflüchtlingstag. Mehr als 300 Nichtregierungsorganisationen und lokale Gruppen haben sich in einem am Mittwoch veröffentlichten offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz gegen solche Pläne gewandt.

Initiatoren des Schreibens wiesen am Dienstag in einem Pressegespräch auf die fatalen Folgen solcher Maßnahmen hin. »Debatten um eine Auslagerung von Asylverfahren können wir nicht nur mit uns allein führen«, sagte Andreas Grünewald von Brot für die Welt mit Blick auf Stimmen aus der Afrikanischen Union (AU). Ansehen und Glaubwürdigkeit Deutschlands und der EU hätten bei Vertretern der AU bereits stark gelitten – und würden weiteren Schaden nehmen, wenn Menschen »wie Vieh beliebig zwischen Ländern und Kontinenten hin- und hergeschoben« würden.

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Ein solches Vorgehen bringe »tragende Säulen des globalen Flüchtlingsschutzes ins Wanken und fördert autoritäre Strukturen und fremdenfeindliche Stimmungen in den Partnerländern«, mahnte Grünewald. Er kritisierte auch den kürzlich von der EU mit dem Libanon geschlossenen Deal, der vorsieht, insbesondere syrische Geflüchtete an der Weiterreise in die EU über Zypern zu hindern. Der Libanon sei über Jahre »humanitär ausgehungert« worden und habe Jahr für Jahr weniger humanitäre Hilfsgelder erhalten, um die 1,5 Millionen syrischen Kriegsflüchtlinge adäquat zu versorgen. Mit dem Deal verstärke man zwar auch die humanitäre Unterstützung, vor allem aber auch die Aufrüstung der Sicherheitsapparate. Entwicklungspolitische Gelder würden mit solchen Deals zweckentfremdet, mit fatalen Effekten für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit.

Zugleich kritisierte der Fachmann von Brot für die Welt Kürzungspläne der Bunderegierung bei der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe. Damit entziehe man sich der Verantwortung, die man gegenüber den vielen armen Ländern habe, die die weitaus meisten Geflüchteten aufnähmen. »Allein im Sudan leben sieben Millionen Binnenvertriebene, die wir mehr oder weniger sich selbst überlassen«, beklagt Grünewald.

Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, wies darauf hin, dass jedes vierte Verfahren, mit denen sich deutsche Ausländerbehörden befassen, ein Dublin-Verfahren ist. Dabei wird versucht, Geflüchtete in jenen EU-Staat abzuschieben, in dem sie zuerst EU-Territorium betreten haben. Doch nur in neun Prozent der Fälle, in denen die betreffenden Staaten einer Überstellung zugestimmt hätten, komme es tatsächlich dazu. Der Grund: »Deutsche Gerichte untersagen regelmäßig solche Abschiebungen, zum Beispiel, wenn Verelendung droht«, so Judith.

Man müsse sich deshalb fragen, warum es realistischer sein solle, ein solches System in den außereuropäischen Raum auszulagern, gibt Wiebke Judith zu bedenken. Schließlich seien auch Rücküberstellungen von Griechenland in die Türkei als »sicheren Drittstaat« gescheitert: Zwischen 2016 und 2020 habe es nur 404 Überstellungen bei 150 000 Ankünften gegeben. Die Türkei halte durch Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien nicht die Mindestanforderungen des internationalen Flüchtlingsschutzes ein.

»Europäisches Recht und EU-Standards können nicht einfach nach Albanien, Tunesien oder Ruanda ausgelagert werden«, betonte auch Sophie Scheytt von Amnesty International. Es gebe keinen Grund zur Annahme, dass eine Auslagerung der Verfahren menschenrechtskonform umgesetzt werden könne. Zugleich würde sie zu exorbitanten politischen, administrativen und finanziellen Kosten ohne sichtbaren Erfolg führen, so die Expertin für Asylpolitik. Das zeigten auch die Probleme bei der Umsetzung des von Italien mit Albanien geschlossenen Flüchtlingsdeals. »Die Menschen müssten vor Ort Zugang zu EU-Gerichten und Kontrollmechanismen wie Ombudsleuten oder nationalen Stellen zur Verhütung von Folter bekommen«, so die Expertin. Solche Zugangs- und Kontrollrechte seien aber außerhalb der EU nicht vollumfänglich gesichert.

»Das Sichere-Drittstaaten-Konzept stellt im Grundsatz eine völkerrechtliche Abweichung von der Genfer Flüchtlingskonvention dar«, sagt Wiebke Judith. Für Schutz und Verfahren sei vom Grundsatz her der Staat zuständig, in dem der Asylantrag zuerst gestellt wurde. Eine Klausel im EU-Recht verhindere bislang Abschiebungen in Drittstaaten, es sei denn, die Geflüchteten hätten sich dort zuvor eine Weile aufgehalten.

Der Deal zwischen Großbritannien und Ruanda habe eine solche Klausel nicht. »Ob ein ausreichender Schutzstandard gewährt wird oder Kettenabschiebungen drohen, muss weiterhin die EU prüfen, auch wenn der Flüchtlingsschutz dann im Drittstaat festgestellt wird«, so die Pro-Asyl-Expertin. Deshalb seien solche Vorschläge am Ende auch keine administrative Entlastung: Die Verfahren in Großbritannien zögen sich schon jetzt im Vorfeld der Ruanda-Abschiebungen lange hin, die Kosten seien exorbitant.

Felix Braunsdorf, Sprecher von Ärzte ohne Grenzen, ist sicher, dass die Verfahrensauslagerung nicht zur Bewältigung humanitärer Krisen beitragen würde. Vielmehr führe sie zu einer »Entmenschlichung« Geflüchteter und zu einer Normalisierung von Gewalt gegen sie.

Braunsdorf hatte zuvor auch von den Erfahrungen seiner Organisation bei der Betreuung Geflüchteter berichtet, die vom australischen Staat teils jahrelang auf abgelegenen Inseln wie Nauru festgehalten wurden. Die psychischen Schäden durch Perspektivlosigkeit und Unterbringung unter haftähnlichen Bedingungen seien immens. Ein Drittel der Menschen, die die NGO zwischen November 2017 und Oktober 2018 auf Nauru medizinisch betreute, habe versucht, sich das Leben zu nehmen, darunter auch Kinder, deren Zustand besonders dramatisch gewesen sei.

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