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Verschwundenes Boot vor dem Dom: »Wie im echten Leben auch«
Zum Weltflüchtlingstag stellt die Awo ein Kunstprojekt im Berliner Lustgarten aus
Die Szene erinnert an einen Kindergeburtstag. Auf dem Gras liegen haufenweise Origami-Boote, jedes einzelne davon ist bunt bemalt mit Papiermännchen oder Friedenssymbolen. Anders als bei einer Bastelaktion auf einer Geburtstagsparty passen die Boote aber nicht auf die Handfläche eines Kindes. Stattdessen sind die Boote aus Milchkartons etwa zwei Meter lang und stehen im Lustgarten vor dem Berliner Dom auf der Museumsinsel. Insgesamt sind es 110 solcher Objekte, die bei strahlendem Sonnenschein von neugierigen Besucher*innen besichtigt und fotografiert werden, ein weiteres befindet sich noch in einer Kita.
»Eigentlich wären es 112 gewesen«, sagt Ruben Herm, Initiator des Projekts und Mitglied der Arbeiterwohlfahrt (Awo) aus Sachsen-Anhalt. »Aber wie im echten Leben auch ist ein Boot verschwunden. Keine Ahnung, wohin.«
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»Im echten Leben« – damit meint Herm die Boote aus dem Mittelmeer, die immer wieder bei der Flucht nach Europa untergehen und Menschen mit auf den Meeresgrund ziehen. Am Donnerstag, dem 20. Juni, soll angesichts des internationalen Weltflüchtlingstags an Geflüchtete gedacht werden. Neben den Booten hat die Awo auch eine Bühne aufgebaut, auf der Redebeiträge gehalten werden. Das Motto: Solidarität mit Menschen auf der Flucht. Das Hauptanliegen der Ausstellung sei es, Besucher*innen »an die Menschlichkeit zu erinnern«, sagt Herm.
Die ausgestellten Boote seien so individuell und unterschiedlich »wie die Opfer selbst«, erklärt der Initiator. Ob Kindergärten, Altersheime oder Schulen – die in Sachsen-Anhalt gefalteten Boote wurden in ganz Deutschland verteilt, um von den jeweiligen Ortsgruppen und Initiativen bemalt, beschmückt und beschriftet zu werden. Dass der Ursprung in Sachsen-Anhalt liegt, sei ihm sehr wichtig gewesen, betont Herm: »Weil, mal ganz ehrlich: Wie viele Projekte der Solidarität mit Geflüchteten kommen schon aus Sachsen-Anhalt?«
Elmar Valter, Künstler aus Düren in Nordrhein-Westfalen, steht mit seiner Frau Esther Kaschel an seinem Boot und richtet einzelne Figuren, die Menschen darstellen, wieder auf. »Wir hatten Sorge, dass das Papier durch den Transport leidet«, erklärt Valter. Denn je öfter die Boote für den Ortswechsel geknickt werden, desto instabiler werden sie. »Jetzt bin ich aber doch erstaunt, dass das Boot hier so steht.« Ihr Werk habe zuerst in Düren, dann vor dem Kölner Dom gestanden, bevor es nach Berlin kam.
Auf das Projekt wurde Valter durch eine Kommunalpolitikerin der CDU aufmerksam. Daraufhin hätten er und seine Kollegin den Auftrag angenommen und die Figuren an lokale Einrichtungen wie Schulen oder Seniorengruppen zur Gestaltung gegeben.
Ob das Projekt mit all seiner Farbenfreude auch wirklich an das wahre Leid von Geflüchteten erinnert? Auf jeden Fall, sagt Esther Kaschel. »Wie kann man unberührt sein, wenn man hierherkommt?« Das, was hier auf dem Platz zu sehen sei, sei sehr emotional, sagt sie. Sie glaube schon, »dass es niemanden kaltlässt.«
Ist der Weltflüchtlingstag vorbei, müssen auch die Boote ihren Platz räumen. Doch Berlin sei nur ein Zwischenstopp, erklärt Initiator Ruben Herm. Denn im Mai nächsten Jahres werden die Boote in Brüssel stehen.
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