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Demokratievereine in der Zange von AfD und Finanzamt
Engagement gegen rechts gefährdet: Initiativen drängen Bund zu Korrekturen bei Steuerrecht
Initiativen, die den Unterhalt von Friedhöfen fördern oder sich für den Tierschutz einsetzen, können in der Bundesrepublik als gemeinnützig anerkannt werden. Sie genießen Steuervorteile, und Spenden an sie können von der Steuer abgesetzt werden. Gleiches gilt für Organisationen, die sich etwa um die Rettung aus Lebensgefahr kümmern. Die Rettung der Demokratie allerdings gilt im Steuerrecht bislang nicht als gemeinnützig – was viele diesbezüglich Engagierte vor Probleme stellt. Ohne gemeinnützigen Status, heißt es in einem jetzt publik gewordenen Offenen Brief von rund 100 Vereinen und Initiativen überwiegend aus Ostdeutschland, »steht unsere Existenz auf dem Spiel«.
Der Brief richtet sich an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und erinnert an ein Vorhaben der Berliner Ampel-Koalition aus deren 2021 beschlossenem Koalitionsvertrag. Dieser sah auch Korrekturen im Gemeinnützigkeitsrecht vor. Geschehen ist bislang nichts. Auch im Referentenentwurf des Finanzministeriums für das Jahressteuergesetz 2024 findet sich keine entsprechende Regelung. Damit sei die letzte Chance für eine Änderung vor der Bundestagswahl 2025 vertan. Die Unterzeichner erklären, sie würden dem Kanzler gern »in einem persönlichen Gespräch schildern, welche Ängste und Probleme wir haben«.
Welche Folgen die jetzige Rechtslage hat, wird in dem Offenen Brief, der »nd« vorliegt, beispielhaft skizziert. So werde in Schreiben des Finanzamts immer öfter die Gemeinnützigkeit angezweifelt, weil eine Initiative oder ein Verein etwa eine Demonstration organisiert habe. Teils werde man bei der Behörde »von der AfD (...) angezeigt, weil wir ein lokales Bündnis gegen Rechtsextremist*innen aufgebaut« hätten. In anderen Fällen werde gedroht, es werde »uns genauso ergehen wie Attac«. Der globalisierungskritischen Organisation war vom Finanzamt Frankfurt (Main) vor nunmehr zehn Jahren die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Der Bundesfinanzhof hatte die Entscheidung im Jahr 2019 bestätigt und geurteilt, Tätigkeiten, die darauf abzielen, politische Entscheidungen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen, seien nicht gemeinnützig.
»Wenn ein Sportverein für eine Anti-rechts-Demonstration im Ort aufrufen will, soll er nicht um seine Existenz fürchten müssen.«
Aus dem Offenen Brief an den Bundeskanzler
In dem Offenen Brief wird auch auf die Rolle der Landesrechnungshöfe verwiesen, die regelmäßig einen zu »einseitigen« Einsatz von Vereinen oder Initiativen für die Grundrechte monieren. Exemplarisch wird das deutlich an einem im Dezember 2023 vorgelegten Sonderbericht des Landesrechnungshofes in Sachsen, in dem es zwar nicht um steuerliche Fragen ging, der aber die Vergabe von Fördermitteln durch das Sozialministerium im Bereich Integration untersuchte. Auch dort wurde auf strikte »staatliche Neutralität« gepocht und die »Nutzung öffentlicher Mittel für politische Aktivitäten durch Zuwendungsempfänger« kritisiert. Ein Beispiel: eine Konferenz, die sich kritisch mit der Flüchtlingspolitik des Bundes auseinandersetzte. Der Rechnungshof monierte, es liege nicht im staatlichen Interesse, »politische Positionen zum aktuellen Asylsystem zu fördern«.
Das sächsische Ministerium änderte daraufhin die Förderrichtlinie. Zuwendungsempfänger, heißt es jetzt, seien »im Hinblick auf die geförderten Maßnahmen zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet«. Bei betroffenen Vereinen führte das zu Verunsicherung und teils Zurückhaltung. Manche sprachen von einem »Maulkorb«. Die AfD griff den Bericht der Kassenprüfer dankbar auf. Sie setzte im Landtag einen Untersuchungsausschuss ein, der zum einen dazu dienen soll, die zuständige Ministerin unter Druck zu setzen: Ressortchefin Petra Köpping, die vergangene Woche von dem Gremium vernommen wurde, ist auch Spitzenkandidatin der SPD im laufenden Wahlkampf. Zugleich dient der Sonderbericht der AfD aber dazu, gegen zivilgesellschaftliche Initiativen vorzugehen, die sie pauschal als »Asylindustrie« diffamiert.
Als »Maulkorb« empfinden viele Engagierte auch die unklaren Regelungen im Steuerrecht. In dem Offenen Brief heißt es, viele dächten wegen der möglichen Probleme mit Finanzämtern und Rechnungsprüfern »über jedes Engagement zweimal nach – über jede Aktion, jede Demonstration, jeden Offenen Brief«. Deswegen gehe »immer mehr Engagement für unsere Demokratie verloren«. Die Bundesregierung müsse angesichts dessen dringend handeln. So solle rechtlich klargestellt werden, dass der »Einsatz für demokratische Werte, Menschenrechte, Antidiskriminierung und Rechtsstaatlichkeit endlich eindeutig gemeinnützig ist«. Die Auflistung in der Abgabenordnung, die bisher 26 Punkte umfasst, solle entsprechend ergänzt werden. Außerdem solle klargestellt werden, dass Vereine an der »politischen Willensbildung der Gesellschaft und der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken« dürfen. Sie sollten sich »gelegentlich« auch tagespolitisch äußern können: »Wenn ein Sportverein für eine Anti-rechts-Demonstration im Ort aufrufen will, soll er nicht um seine Existenz fürchten müssen.« Die Linke-Bundestagsabgeordnete Clara Anne Bünger sagte dem »nd«, man dürfe es »nicht zulassen, dass wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen aus dem politischen Diskurs entfernt werden, weil die Gemeinnützigkeitsanerkennung vom Wohlwollen der Finanzämter abhängt«.
Der jetzt publik gewordene Offene Brief der zivilgesellschaftlichen Initiativen ist nicht das einzige Schreiben in der Angelegenheit. Bereits im Mai hatten sich acht renommierte Organisationen, darunter Robert-Bosch- und Rudolf-Augstein-Stiftung sowie Stiftung Bertelsmann und Mercator-Stiftung, ebenfalls in einem Offenen Brief an den Kanzler sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gewandt. Auch sie hatten die Bedeutung einer starken Zivilgesellschaft betont, nicht zuletzt angesichts des »Erstarkens von populistischen und extremistischen Kräften sowie der Gefahr einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft«. Die Stiftungen regten an, auch die »Förderung des Schutzes und Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte« sowie den »gemeinnützigen Journalismus« als gemeinnützigen Zweck in die Liste der Abgabenordnung aufzunehmen. Aktuell, konstatieren die großen Stiftungen, gebe es erhebliche »Unsicherheiten« vor allem bei kleineren Organisationen »ohne Rechtsabteilung«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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