Eure EM ist unser Albtraum

Olivier David über die Schattenseiten des laufenden Fußballturniers

Albanische Fußballfans beim EM-Spiel Albanien gegen Spanien mit der Fahne der UCK, der sogenannten Befreiungsarmee des Kosovo. Der UCK werden Verbrechen während der Kriege auf dem Balkan vorgeworfen.
Albanische Fußballfans beim EM-Spiel Albanien gegen Spanien mit der Fahne der UCK, der sogenannten Befreiungsarmee des Kosovo. Der UCK werden Verbrechen während der Kriege auf dem Balkan vorgeworfen.

Ich bin Fußballfan. Und ich halte Großveranstaltungen wie die derzeit in Deutschland ausgetragene Europameisterschaft für die schlechteste aller Möglichkeiten, Fußball und Diversität zu feiern. Fanhilfen warnen schon seit Monaten davor, »dass die Polizei den Ligaalltag nutzt, um nicht nur Fans ganz bewusst einzuschüchtern, sondern auch um Einsatztaktiken und konkrete Aktionen für das Turnier zu erproben«. Und so kommt es nun: Egal, ob in der Hamburger Innenstadt, in der Streetworker*innen im Vorlauf der EM vermehrt beobachten, dass Wohnungslose Platzverweise erhalten, oder in Berlin, wo Sozialarbeiter über Räumungen von Wohnungslosencamps berichten – überall zeigt sich dasselbe Bild: Sicherheitsbehörden nutzen die Heim-EM, um unliebsame Personengruppen zu kriminalisieren und zu verdrängen.

Der Staat nutzt die EM ebenfalls, um Grenzkontrollen durchzuführen. Dazu wird die Partnerschaft der französisch-deutschen Sicherheitsbehörden ausgeweitet. Gerade im Hinblick auf die Olympischen Spiele, die ab Ende Juli in Paris ausgetragen werden, erhoffen sich die beiden Länder, durch das Austauschen der neuesten technischen Hässlichkeiten den autoritären Umbau liberaler Demokratien voranzutreiben. Und Frankreich legt gut vor. Im April räumte die Pariser Polizei ein von Geflüchteten besetztes Haus und verteilte Hunderte Wohnungslose mit Bussen in andere Teile Frankreichs. Hilfsorganisationen sprachen in diesen Kontext von »sozialen Säuberungen«.

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.

Wir brauchen aber nicht allein auf den Nutzen für Sicherheitsfanatiker in den Behörden schauen, um zu verstehen, dass sich das Konzept von miteinander konkurrierenden Nationalstaaten irgendwie nach brauner Sauce anhört. Hier eine lose Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Österreichische Fußballfans, die kurz vor Abpfiff des Spiels gegen Polen ein Banner mit den Worten »Defend Europe« hochhalten; ungarische Fans mit einer Botschaft an die gegnerischen Schotten: »Röcke sind für Frauen«; kroatische und albanische Fans, die zum Töten von Serben aufrufen; türkische Fans, die den faschistischen Wolfsgruß zeigen.

Als Oasen der Gleichberechtigung haben sich Fußballländerspiele bisher ebenfalls nicht erwiesen, im Gegenteil. So steigen einer britischen Studie zur Folge die Zahlen häuslicher Gewalt nach Niederlagen der englischen Nationalmannschaft um 38 Prozent und nach Siegen um 26 Prozent. Egal wie das Spiel ausgeht, geschlagen wird immer.

Man kann die Europameisterschaft gut finden. Es wird einem jedoch einfacher gemacht, wenn man beim vermeintlich unpolitischen Jubel über die Großtaten der eigenen Elf keine Frau, nicht queer, nicht wohnungslos, nicht arm und nicht schwarz ist. Besser man hat keinen ausländischen Pass und ist nicht zur »falschen Zeit« am »falschen Ort«.

Oder man rafft sich auf und legt seinen Fokus auf den Fußball, in dem es etwas zu gewinnen gibt. Zum Beispiel in den unteren Ligen, da gibt es hier und da etwas zu entdecken: regional, antifaschistisch, verbindlich. Bei Vereinen wie Altona 93, SV Linden 07, SV Babelsberg 09, TeBe Berlin oder Roter Stern Leipzig zum Beispiel.

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