- Berlin
- Brandenburg
Grüne mit dem Mut der Verzweiflung
Ökopartei stellt Plakate zur Landtagswahl vor und könnte den Wiedereinzug ins Parlament verpassen
Als eine Windböe zwei Plakate herunterriss, nahm es Brandenburgs Grünen-Fraktionschef Benjamin Raschke sportlich. »Wir stehen zu unseren Werten auch in stürmischen Zeiten«, rief er über den Potsdamer Alten Markt. Dort präsentierte seine Partei am Donnerstag ihre Plakate für die Landtagswahl am 22. September.
»Keine Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete« hatten die Grünen vor dreieinhalb Jahren im Bundestagswahlkampf versprochen. Heute liefert eine von SPD, Grünen und FDP geführte Bundesrepublik Waffen an die Ukraine. Wer sich die elf am Donnerstag vor dem Landtagsschloss vorgestellten Plakate zur Landtagswahl anschaut, findet dort nichts zur Frage von Krieg und Frieden. Aber auf allen Motiven finden sich die Worte »Mehr Mut«.
Es erfordere Mut, »heute zu unseren Werten zu stehen«, sagte Spitzenkandidatin Antje Töpfer. Sie sei die einzige Spitzenkandidatin, merkte sie an. Alle anderen Parteien stellten Männer auf den Listenplatz eins – obwohl Frauen doch 50 Prozent der brandenburgischen Bevölkerung ausmachen, wie Töpfer sagte. »Vor 35 Jahren sind wir auf die Straße gegangen und haben eine Diktatur abgeschafft«, rief die Politikerin, die 1968 in Ludwigsfelde geboren wurde, mit Blick auf das Ende der DDR. Töpfer rief es vor einem Plakat, das ein »nazifreies« Brandenburg fordert.
Auf jedem der Plakate prangt ein großes »Ja«. Denn die Grünen wollen laut Töpfer als positiv gestimmte politische Kraft in den Wahlkampf ziehen. Ihr plakatives Ja gilt demnach der sozialen Gerechtigkeit, dem Klimaschutz und dem Erhalt erreichbarer Krankenhausstandorte. In unterschiedlichen Versionen wendet sich die Partei beim Thema Verkehr an verschiedene Landesteile. Für den ländlichen Raum fordert sie ein »Ja zu Bus und Bahn im Stundentakt«. Die Einwohner großer Städte sowie des Berliner Speckgürtels bekommen dagegen nur das »Ja zu mehr Bus und Bahn« angeboten. Denn dort ist ein Stundentakt das Mindeste und eigentlich viel zu wenig für die zahlreichen Pendler, die in Berlin arbeiten.
Wer sich Solaranlagen aufs Dach schrauben lässt, der wird »unabhängig von hohen Strompreisen«, erklärt Spitzenkandidat Raschke ein weiteres Motto. Auf weiteren Plakaten werben die Grünen für ein »bezahlbares Zuhause«, für »gelebte Integration« und dafür, dass »Kinder an die erste Stelle« gehören. Vor fünf Jahren hatten die Grünen in Brandenburg halb so viele Mitglieder wie heute, informierte Raschke. »Vielleicht schaffen wir es noch vor der Wahl über die Marke von 3000.«
Bei der Landtagswahl 2019 errang die Ökopartei 10,8 Prozent der Stimmen und überholte mit diesem Rekordergebnis erstmals die Linken. Seither glaubten die Grünen, nicht mehr an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern zu können, wie es ihnen bei den Landtagswahlen 1994, 1999 und 2004 widerfahren war. Doch bei der Europawahl am 9. Juni 2024 erreichten sie in Brandenburg magere sechs Prozent. Die jüngste Prognose sieht die Grünen sogar nur noch bei fünf Prozent. Sie müssen doch wieder zittern.
»Wir haben eine andere Situation als 2019, wir sind auf Landes- und Bundesebene in der Regierung«, weiß die Landesvorsitzende Alexandra Pichl. 2019 habe es von der Bundesebene einen starken Rückenwind gegeben. »Heute ist es eher der Gegenwind.« Meinungsumfragen im April und Mai sahen die Grünen noch bei sieben bis acht Prozent – und »wir hoffen, die auch zu holen«, sagte Pichl am Donnerstag. »Obwohl es natürlich schöner wäre, wenn wir wieder zweistellig würden.«
Laut Benjamin Raschke wollen die Grünen in Potsdam den einen Landtagswahlkreis verteidigen, den sie jemals in Brandenburg gewonnen haben, und »vielleicht noch in zwei, drei anderen Wahlkreisen« siegen. Doch es wäre eine dicke Überraschung, wenn ihnen das wirklich gelingen sollte. Im Moment sind sie auf einem absteigenden Ast.
»Vielleicht schaffen wir es noch vor der Wahl über die Marke von 3000 Mitgliedern.«
Benjamin Raschke Grünen-Landtagskandidat
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.