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»Wer von Entscheidungen betroffen ist, muss mitwirken können«

Der Politikwissenschaftler Markus Wissen über die Umgestaltung der Automobilindustrie

  • Interview: Anton Benz
  • Lesedauer: 5 Min.
Das Kettenblatt im Logo des »Collettivo di Fabbrica« steht für die Zukunft: Das Fabrikkollektiv möchte den Standort übernehmen und Lastenräder produzieren.
Das Kettenblatt im Logo des »Collettivo di Fabbrica« steht für die Zukunft: Das Fabrikkollektiv möchte den Standort übernehmen und Lastenräder produzieren.

Herr Wissen, in einer ehemaligen Fabrik des Autozulieferers GKN bei Florenz möchte die Belegschaft die Produktion selbst in die Hand nehmen und statt Achswellen nun Lastenräder und Solarpanele herstellen. Wie schätzen Sie die Erfolgschancen ein?

Der Kampf des Collettivo di Fabbrica ist einer der derzeit wichtigsten sozial-ökologischen Konflikte überhaupt. Er hat eine große Symbolwirkung. Leider ist mit der rechten Regierung die politische Ausgangslage in Italien schlecht. Hinzu kommt, dass die Arbeitenden keine sogenannte strukturelle Macht haben, anders als beispielsweise Lokführer oder die Müllabfuhr. Wenn diese streiken, dann stehen ganz zentrale Bereiche der Gesellschaft still. Das ist bei der Belegschaft in Florenz nicht so.

Immerhin hat Florenz diese Woche mit Sara Funaro eine linke Bürgermeisterin gewählt, die sich für die Belegschaft einsetzt. Welche Aspekte machen die Hoffnung?

Die Arbeiter*innen haben den Mangel an struktureller Macht zum Teil durch soziale Macht kompensiert: Sie sind Bündnisse mit der Klimabewegung und mit Akteuren aus dem Wissenschaftsbereich eingegangen, auch auf internationaler Ebene. Und sie haben sich gefragt: Was können wir der Gesellschaft geben? Welche Produkte sind notwendig für eine sozial-ökologische Transformation?

Da klingen Lastenräder und Solarpanele nach der richtigen Entscheidung.

Ja, es geht dabei um das »Was« der Produktion. Mindestens genauso wichtig ist die Ebene der Eigentumsverhältnisse, also das »Wie« der Produktion. Das ist ja auch in Florenz zentral. Und schließlich gibt es noch die gesamtgesellschaftliche Koordination. Da geht es um die Fragen: »Wie viel oder für welchen Zweck soll produziert werden?« Und: »Wie können die vielen unterschiedlichen Aktivitäten aufeinander abgestimmt werden?«

interview

Markus Wissen ist Professor für Gesellschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt sozial-ökologische Transformationsprozesse an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Von 2018 bis 2020 war er an einem Forschungsprojekt zur sozial-ökologischen Konversion der österreichischen Automobilindustrie beteiligt.

Warum ist es so wichtig, diese Ebenen aufzumachen?

Wenn die Umstellung nur das Produkt betrifft, wenn also nur das »Was« thematisiert wird, liegt die Entscheidung immer noch beim Management: Es kann sich dem entgegenstellen oder die Pläne verändern – und eine Konversion bewirken, die zwar der Profitmaximierung des Unternehmens dient, aber keinen gesellschaftlichen Mehrwert hat. Deshalb ist es entscheidend, über die Eigentumsverhältnisse und die demokratische Koordination nachzudenken.

Beschäftigte aus dem ehemaligen GKN-Werk haben sich in einem Fabrikkollektiv organisiert und eine Genossenschaft gegründet, die den Betrieb übernehmen möchte. Damit stellen sie ja die Eigentumsfrage.

Das ergab sich auch aus der besonderen Situation vor Ort. Anders als bei vorherigen Konversionsversuchen ging es dem ursprünglichen Eigentümer GKN nicht darum, nur einen Teil der Belegschaft zu entlassen; das Unternehmen hat den gesamten Standort geschlossen und die Beschäftigten komplett aufgegeben. Das führte zu der existenziellen Frage, sich mit Ideen von Selbstverwaltung und anderen Eigentumsformen auseinanderzusetzen.

Sie haben vergangene Bemühungen um Konversion angesprochen. Zu den bekanntesten Beispielen dafür zählt Lucas Aerospace. Nachdem Entlassungen verkündet worden waren, legten Beschäftigte des britischen Rüstungsunternehmens in den 70er Jahren einen Plan vor, die Produktion umzustellen. Warum ist dieser Fall auch Jahrzehnte später noch relevant?

Die Arbeiter*innen und Ingenieur*innen haben gesellschaftlich sinnvolle Produkte entwickelt, zum Teil bis zur Marktreife. Das reichte von medizinischen Anwendungen wie tragbaren Dialysegeräten und Defibrillatoren über Wärmepumpen, über die heute die ganze Welt redet, bis hin zu einem Schienen-Straßen-Fahrzeug für die Mobilitätsbedürfnisse in Regionen des globalen Südens, die sich mit Bahntrassen nur schwer erschließen lassen. Das war höchst beeindruckend. Letztlich hat das Management dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht, auch weil es die Pläne als Kampfansage verstanden hat. Nach dem Motto: Wenn die Beschäftigten das selbst in die Hand nehmen, wird die Hierarchie des Unternehmens auf den Kopf gestellt. Die Konversion bei Lucas Aerospace ist letztlich gescheitert, aber der Versuch hat gezeigt, wie es funktionieren könnte.

Nämlich wie?

Viel stärker noch als aktuell in Florenz hat das Ganze in einem gesellschaftlichen Umfeld von sozialen Bewegungen stattgefunden. Da war die Friedens- und Umweltbewegung; und die feministische Bewegung, die gefordert hat, die industrielle Produktion ausgehend von der sozialen Reproduktion und den gesellschaftlichen Bedürfnissen zu denken. Die Arbeiter*innen und Ingenieur*innen haben eng mit den sozialen Bewegungen zusammengearbeitet, nur so konnte das Experiment gedeihen. Letztlich hat aber die Unterstützung von staatlicher und gewerkschaftlicher Seite gefehlt. Hilfen, wie sie in Krisenzeiten an Unternehmen geleistet werden, könnten an Bedingungen geknüpft sein und in Unternehmensanteile umgewandelt werden – so ließe sich auf eine Vergesellschaftung hinwirken.

Konversion als Demokratisierung der Wirtschaft also?

Ja, die demokratische Konversion ist aus meiner Sicht heute nötig, um die vielen Krisenphänomene in den Griff zu bekommen. Diejenigen, die von den Produktionsentscheidungen betroffen sind, müssten an ihnen mitwirken können. Dadurch ließen sich Arbeitsplätze retten und demokratische und sozial-ökologische Potenziale freisetzen.

Die Automobilindustrie gilt als Deutschlands wichtigster Wirtschaftszweig. Was muss passieren, damit hier eine demokratische Konversion denkbar wird?

Es muss deutlich werden, dass die ökologische Frage eine Klassenfrage ist; dass mit der Herstellung von teuren Teslas der völlig falsche Weg einer ökologischen Transformation beschritten wird. Wir brauchen Angebote von links, die strategische Orientierung geben – und zwar in Kooperation mit den Betriebsräten, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Dafür ist es wichtig, den Kampf der Arbeiter*innen in Florenz bekannter zu machen. Kürzlich habe ich mit einem Betriebsrat von BMW gesprochen. Laut ihm gibt es dahingehend ein großes Wissensdefizit bei der Belegschaft. Die Leute wissen auch nichts mehr von vergangenen Konversionserfahrungen. Auch auf internationaler Ebene braucht es einen Austausch. GKN hat an verschiedenen europäischen Standorten Fabriken geschlossen. In Deutschland ist das Werk in Zwickau betroffen. Wir müssen ins Gespräch kommen. Das ist nicht einfach. Aber ich sehe derzeit auch keine Alternative, als in diese Richtung weiterzudenken.

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