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Automatisierte Gondeln: Luftnummer mit Zukunft

Automatisch gesteuerte Gondeln hoch über der Straße sollen den öffentlichen Personennahverkehr revolutionieren

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 5 Min.
So könnte die automatische Schwebebahn nach Vorstellung ihrer Entwickler aussehen.
So könnte die automatische Schwebebahn nach Vorstellung ihrer Entwickler aussehen.

Mehr als 120 Jahre ist es her, dass die Schwebebahn in Wuppertal ihren Betrieb aufgenommen hat. Die Technik hat sich bewährt, die Bahn ist außerdem zur größten Touristenattraktion der Stadt geworden. An diese Tradition will Marc Schindler gerne anknüpfen: »Wir bringen die Wuppertaler Schwebebahn in die Gegenwart«, sagt der Geschäftsführer des Münchner Start-ups Ottobahn. Dabei setzt das bayerische Unternehmen auf das bewährte Rad-Schiene-System, doch anders als in Wuppertal will Schindler eine Hochbahn bauen, deren hängende Mini-Gondeln flexibel unterwegs sind und zum Ein- und Ausstieg sogar bis auf die Straßenebene abgesenkt werden können. Der Clou: Die Bahn soll fahrerlos, also vollautomatisch unterwegs sein. Nutzerinnen und Nutzer sollen dereinst eine Gondel per App an jeden beliebigen Punkt der Strecke bestellen können und die Bahn bis zum gewünschten Ziel nutzen; feste Haltepunkte gibt es nicht. Ein Modul transportiert zwar nur maximal vier Fahrgäste, doch die einzelnen Kabinen können flexibel miteinander gekoppelt werden.

Glaubt man Marc Schindler, wird die Ottobahn – Namensgeber ist neben der Autobahn der bayerische König Otto I. aus dem Hause Wittelsbach – eine Art eierlegende Wollmilchsau: »Die Ottobahn soll ein Verkehrsträger, aber auch ein Energieerzeugungsnetz werden.« Denn die aufgeständerte Schiene, die die Gondeln tragen wird, wird mit Solarpaneelen beplankt sein, die nicht nur die notwendige Energie für den Betrieb der Bahn produzieren, sondern sogar noch zusätzlich Strom ins Netz einspeisen können. Simulationen, so Schindler, hätten bereits gezeigt, dass das ein realistisches Szenario sei.

Wo aber soll das System überhaupt zur Anwendung kommen? »Alle Metropolen dieser Welt haben ein Verkehrsproblem«, sagt der Unternehmer Schindler. Die Ottobahn könne etwa ringförmig um ganze Städte gebaut werden, ähnlich wie man das schon heute aus der Straßenplanung kennt. Gelänge es, ausreichend Kapazität zu installieren, könnte man ausgewählte Straßen in einen Radweg umwidmen oder wieder begrünen. Doch als Allheilmittel für die Verkehrswende will auch Schindler das neue Mobilitätsangebot nicht verstanden wissen: »Wir schaffen ja nur zusätzliche Transportkapazitäten, wo es heute möglicherweise kein Angebot gibt oder wo Strecken überlastet sind«, sagt er.

Spricht man mit Bahnexperten wie Dirk Flege vom Interessenverband Allianz pro Schiene, so hört man differenzierte Töne: »Ich halte nichts davon, mit Daniel-Düsentrieb-Fantasien den öffentlichen Personennahverkehr komplett neu zu denken«, sagt der Bahn-Lobbyist. »Wir haben leistungsfähige U-Bahnen, S-Bahnen, Straßenbahnen und Busse, die auch in Zukunft unsere Massenverkehrsmittel in den großen Städten sein werden. Aber als lokale oder regionale Ergänzung dazu können Projekte wie die Ottobahn sehr interessant sein.«

Marc Schindler wirbt auch mit den aus seiner Sicht günstigen Installationskosten, die deutlich unter den Streckenkosten für den Bau etwa einer Straßenbahn oder S-Bahn blieben. »Wir haben viel kleinere Fahrzeuge mit einer geringeren Masse und damit auch geringere Anforderungen an die Strecke«, sagt Schindler. »Dadurch können wir viel Material und Geld sparen.« Zahlreiche Städte und Kommunen in Deutschland, den USA und Asien hätten bereits Interesse an dem Konzept bekundet, unterschriebene Verträge allerdings gibt es noch nicht.

Im Gegensatz zu Bahn-Lobbyist Flege, der die Ottobahn eher als Nischenfüller sieht, denkt Marc Schindler viel größer: »Nehmen wir einmal an, wir hätten irgendwann einmal eine Strecke von München bis nach Berlin, und da gibt es Menschen, die wollen nur nach Nürnberg fahren, dann würden die sich trotzdem zusammenfinden mit den Berlin-Fahrern. Die Kabinen, die nach Berlin fahren, bilden dann die Spitze des Zuges, dahinter kommen die, deren Strecke schon in Nürnberg endet und dort könnten dann auch wieder neue angehängt werden.« Die Ottobahn würde also ganz ähnlich wie ein Güterzug funktionieren, der einzelne Wagen mit unterschiedlicher Fracht und verschiedenen Zielorten flexibel an- und abkoppelt. »Entscheidend ist, dass unsere Flotten immer entsprechend der jeweiligen Nachfrage gebildet werden«, sagt Schindler. Leerfahrten einzelner Wagen wie etwa bei der S-Bahn am späten Abend würden so der Vergangenheit angehören. Die Ottobahn soll dann mit Geschwindigkeiten von innerorts bis zu 60 km/h und auf Überlandstrecken bis zu 240 km/h durch die Luft rasen.

Doch das alles ist noch Zukunftsmusik. Denn erst einmal muss Schindler beweisen, dass sein Konzept in der Praxis überhaupt funktioniert. Eine Teststrecke im Süden von München konnte bislang aufgrund fehlender Kapitalgeber nicht errichtet werden, der Baubeginn wurde mehrmals verschoben. Aber Schindler ist optimistisch, die fünf Millionen Euro, die er für den Parcours braucht, bald zusammenzuhaben. Ein andere Frage bereitet ihm aber große Sorgen. »Die Genehmigung ist definitiv ein Punkt, mit dem wir uns intensiv auseinandersetzen werden«, sagt Schindler.

Das Problem: Der fahrerlose Bahnbetrieb ist in Deutschland bisher gar nicht erlaubt. So steht es jedenfalls in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung. Schindler will die Hürde überwinden, indem er für die Ottobahn stattdessen eine Zulassung gemäß der BOStrab, also der Bau- und Betriebsordnung für Straßen- und U-Bahnen, beantragt. Dort nämlich ist der vollautomatisierte, fahrerlose Verkehr schon heute möglich; U-Bahnen etwa in Nürnberg oder dem französischen Lille sind seit vielen Jahren ohne Fahrer unterwegs. Schließlich fahren die Fahrzeuge auf eigenen, geschlossenen Gleissystemen, mögliche Kollisionen sind damit deutlich unwahrscheinlicher als im Bahnbetrieb.

Marc Schindler und sein Team wurden 2023 für die Ottobahn mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. »Von vielen Experten, die das technologisch einschätzen können, gab es große Zustimmung«, erzählt Schindler außerdem zufrieden vom Besuch einer Nahverkehrsmesse in Berlin. »Doch was die zu erwartenden Genehmigungsverfahren in den einzelnen Kommunen angeht, war sich niemand sicher, ob Deutschland für so ein Projekt der richtige Ort ist.« Die automatisierte Gondelfahrt im Nahverkehr dürfte also zumindest hierzulande wohl noch etwas auf sich warten lassen.

»Alle Metropolen der Welt haben ein Verkehrsproblem.«

Marc Schindler Ottobahn
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