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BVG: Einschränkungen auf fast allen U-Bahn-Linien
Es könnte noch enger in den Hauptstadtbahnen werden. Es soll an neuen Gleisen liegen
Fahrgäste aller Berliner U-Bahnlinien außer der U5 müssen sich darauf gefasst machen, dass sie noch enger auf Tuchfühlung mit wildfremden Menschen gehen müssen. Das geht aus einer diesen Montagmorgen von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) veröffentlichten Mitteilung hervor. Weil die Serienlieferung neuer Fahrzeuge erst 2025 anlaufe, sei die Lage im Fahrzeugpark »angespannt«, heißt es.
In »Prüfung« seien »gezielte Anpassungen an den Zuglängen sowie punktuell am Fahrplan« bei den Linien U1 bis U4 des sogenannten Kleinprofils, teilt das Landesunternehmen mit. Wegen erhöhten Radsatzverschleißes an Zügen von U6 bis U9 des sogenannten Großprofils mit längeren Werkstattaufenthalten komme es auch dort zu Ausfällen, heißt es weiter in der Mitteilung.
»Wir danken unseren Fahrgästen für ihr Verständnis und die Geduld«, erklärt BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt. Und: »Selbstverständlich versprechen wir, alles daran zu setzen, um auch mit unserer U-Bahn weiterhin für bestmögliche Mobilität in Berlin zu sorgen.«
Auf die Probleme bei den Linien U6 bis U9 deutete bereits vor Tagen eine nur aus einem Satz bestehende Nachricht im Berliner Bahninfo-Forum hin, in dem sich Personennahverkehrs-Enthusiasten online austauschen.
Eine »nennenswerte Anzahl« an Zügen mit »abgefahrenen Radreifen« warte auf eine »Neubesohlung«, heißt es dort. Das Profil der Räder soll also so verschlissen sein, dass die Fahrzeuge nicht mehr eingesetzt werden können. Angesichts der schon seit vielen Jahren sehr angespannten Lage bei der U-Bahnflotte schlagen solche Dinge inzwischen schnell auf das Angebot durch.
Derzeit häufen sich in dem Forum bereits Berichte über größere Taktlücken auf der U7. Bis zu einer Viertelstunde hätten Fahrgäste warten müssen, obwohl eigentlich alle fünf Minuten ein Zug fahren sollte. Ob das an Fahrzeugmangel liegt oder an üblichen Störungen, ist allerdings unklar.
Ein BVG-Insider bestätigt »nd«, dass »ein Haufen Fahrzeuge aus dem Rennen genommen« worden ist. Grund sei »erhöhter Radverschleiß«. Die Räder nutzen sich also schneller ab als üblich. Die Ursache dafür ist betriebsintern umstritten. Möglicherweise hänge das mit dem Einbau vergleichsweise vieler neuer Schienen auf der U7 zusammen, erklärt der Informant. Vielleicht sei das Problem eher auf der U6 entstanden, so eine andere Vermutung.
Im Ergebnis reichten die Kapazitäten zur Bearbeitung der Radreifen in der Betriebswerkstatt Britz, die für U6 bis U9 zuständig ist, nicht aus, um die ungewöhnlich hohe Anzahl an schadhaften Zügen schnell genug abzuarbeiten. Kapazitäten gäbe es noch in der Werkstatt Friedrichsfelde an der U5. Es gibt zwar theoretisch mit dem sogenannten Waisentunnel eine direkte Verbindung zwischen U5 und U8 im Bereich des Alexanderplatzes. Diese ist allerdings seit vielen Jahren wegen einer komplett maroden Spreeunterquerung gesperrt.
Der Wagentausch zwischen U5 und dem Rest des sogenannten Großprofilnetzes von U6 bis U9 erfolgt seitdem per Tieflader über die Straße. In den letzten Wochen waren einige dieser Transporte tagsüber zu sehen.
Was wegen dieser neuen Fahrzeugprobleme auf die Berlinerinnen und Berliner zukommt, wollte die BVG am Freitag »nd« auf Anfrage noch nicht mitteilen – mit Verweis auf die nun veröffentlichte Pressemitteilung. Die U-Bahn stehe »aktuell vor betrieblichen Herausforderungen«, bestätigte ein Unternehmenssprecher jedoch am Freitag. Das »umfangreiche Verkehrskonzept« zur Fußball-EM, bei dem »die U-Bahn klar im Mittelpunkt« stehe, laufe »bisher wirklich gut«, hieß es weiter.
Ähnliche Probleme gibt es bei der Straßenbahn. Auch hier stehen mehr Bahnen als gewöhnlich wegen verschlissenen Radreifen in den Betriebshöfen. Hier sind vor allem die 40 Meter langen Flexity-Wagen betroffen, die auf vielen fahrgaststarken Linien im Einsatz sind. Darunter M1, M2, M5, M6, M8, M10 und 50.
Auch hier gibt es die Vermutung, dass neue Schienen in drei engen Kurven der M8 in der Allee der Kosmonauten in Biesdorf Schuld sein könnten. Dort wurde das Tempo der Bahnen kürzlich auf 20 Kilometer pro Stunde beschränkt, vermutlich »wegen erhöhter Abnutzung der Radsätze«, wie es in einem »nd« vorliegenden Informationsbrief der Gewerkschaft Verdi für das Tram-Fahrpersonal heißt.
Doch ein Insider erklärt, das Problem werde schon seit 2022 beobachtet, lange vor dem Schienentausch dort. Es liege wohl eher an der »unzureichenden Schmierung« der Räder. In den Flexity-Bahnen sind Anlagen eingebaut, die Schmiermittel abgeben. Seitdem konnte das lästige Quietschen der Fahrzeuge in Kurven deutlich reduziert werden. Allerdings dosiere die Schmierungsanlage zu gering und sei erst im zweiten Radsatz angeordnet, sodass die vordersten zwei Räder nahezu ungeschmiert in Kurven laufen.
Die BVG versucht das Manko auszugleichen, indem zusätzliche Schmieranlagen vor engen Kurven in die Gleise eingebaut werden. Doch weder an der Allee der Kosmonauten noch bei der im Vorjahr eröffneten Verlängerung der M10 zum U-Bahnhof Turmstraße habe die zuständige Technische Aufsichtsbehörde bisher die Freigabe erteilt, berichten Insider.
Die Auswirkungen bei der Straßenbahn halten sich noch in Grenzen, so die BVG auf nd-Anfrage. »Bei der Straßenbahn läuft der Betrieb stabil und es kommt für unsere Fahrgäste nicht zu vermehrten Ausfällen«, heißt es. Allerdings würden zur Zeit »tatsächlich etwas kürzere Züge als gewohnt eingesetzt«. Statt 40-Meter-Bahnen kommen also nur 30 oder 27 Meter lange Fahrzeuge zum Einsatz. In Einzelfällen profitieren Fahrgäste jedoch. Auf der M6 wurden auch schon deutlich längere 54-Meter-Züge gesehen.
Die BVG macht Hoffnung, dass der Werkstattstau bald behoben sein könnte: »Wir gehen aktuell davon aus, dass diese Arbeiten spätestens Ende der Sommerferien abgeschlossen sind.«
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