- Politik
- Afghanische Geflüchtete
Kein Platz mehr im Iran für Schutzsuchende aus dem Nachbarland
Iranische Regierung will afghanische Geflüchtete ohne reguläre Aufenthaltspapiere nach Afghanistan abschieben
Niemand weiß genau, wie viele Afghaninnen und Afghanen seit 1979 in den Iran eingewandert sind. Regierungsvertreter der Islamischen Republik werfen Zahlen von fünf bis acht Millionen in den Raum. Fakt ist, dass sich zunehmend eine feindliche Stimmung gegenüber den afghanischen Geflüchteten breitmacht, obwohl diese zum Teil bereits seit Jahrzehnten im Iran leben. Die offizielle Politik schlachtet diese Ressentiments aus und gießt Öl ins Feuer.
Die iranischen Behörden sind entschlossen, Afghanen, die sich illegal in ihrem Land aufhalten, abzuschieben. So warnte der stellvertretende Gouverneur von Teheran, Mahdi Babolhawaedschi, vor der »bedrohlichen« Präsenz von afghanischen Einwanderern ohne Papiere und verglich ihre Abschiebung mit der Mobilisierung für einen Krieg, berichtete kürzlich der oppositionelle iranische Auslandssender Iran International: »Im Umgang mit den illegalen Einwanderern sind wir wie unsere Jugend, die zu den Waffen griff, in den Krieg zog und zu Märtyrern wurde«, zitierten staatliche Medien Mahdi Babolhavaeji.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Die Einwanderung von Afghanen hat im vergangenen Jahr stark zugenommen, genaue Zahlen sind aber nicht bekannt. Manche behaupten, dass täglich bis zu 10 000 Afghanen in den Iran einreisen würden. Die regimenahe iranische Nachrichtenagentur Tasnim verbreitete im März die Nachricht, dass die Polizei plane, nicht autorisierte Einwanderer in der Provinz Teheran aufzusammeln und abzuschieben. Im Mai wurde Iran International zufolge bekannt gegeben, dass in einer Stadt südlich von Teheran eine »Sonderpatrouille« eingerichtet wurde, die illegale Ausländer aufspüren und einsammeln soll.
Anfang Dezember haben die Behörden Millionen von afghanischen Flüchtlingen und Migranten verboten, in etwas mehr als der Hälfte der 31 Provinzen des Landes zu leben, dorthin zu reisen oder Arbeit zu suchen. Im Oktober bekräftigte der iranische Innenminister Ahmad Wahidi, dass Teheran alle »illegalen« Migranten abschieben werde; die meisten sind afghanische Staatsangehörige, geflohen vor Krieg, Verfolgung und Armut. Mehr als 70 Prozent der 3,6 Millionen Afghanen, die ihr Land nach der Rückeroberung der Macht durch die militanten Taliban im August 2021 verlassen haben, seien in den Iran geflohen, berichtet die Nachrichtenwebseite »Radio Free Europe/Radio Liberty«.
Die Regierung in Teheran schätzt, dass derzeit mehr als fünf Millionen Afghanen im Land leben, mindestens die Hälfte davon will sie ausweisen, weil sie nicht über die erforderlichen Dokumente verfügen. In den letzten Monaten hat die Zahl der aus dem Iran abgeschobenen Afghanen stetig zugenommen, obwohl die Taliban darauf gedrängt haben, den Afghanen mehr Zeit zu geben, bevor es wie in Pakistan zu einer Massenausweisung kommt.
Nach Angaben der afghanischen Behörden hat der Iran im vergangenen Jahr über 20 000 afghanische Kinder abgeschoben, viele von ihnen ohne Begleitung und ohne Vormund. Im Dezember vergangenen Jahres erklärte der Taliban-Minister für Flüchtlinge und Repatriierung, Abdul Rahman Raschid, gegenüber dem afghanischen Nachrichtensender Tolo News, dass Iran seit Ende September 2023 »etwa 345 000« Afghanen abgeschoben habe.
Angesichts der Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und einer Inflationsrate von über 40 Prozent findet die iranische Regierung in den afghanischen Einwanderern einen geeigneten Sündenbock für das eigene wirtschaftspolitische Versagen. Nun ist geplant, die Grenze zu Afghanistan wasserdicht zu machen: Für drei Milliarden Euro sollen Zäune und Mauern installiert und intelligente Grenzkontrollsysteme eingerichtet werden, kündigte der stellvertretende iranische Innenminister Madschid Mirahmadi an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.