Neukölln: Wegen Sparvorgaben sollen Schüler weniger Platz haben

Um ein Defizit auszugleichen, sollen Neuköllner Grundschulen Räume an die Jugendkunstschule abgeben

Demokratiebildung braucht Räume – Kundgebung vor dem Rathaus Neukölln
Demokratiebildung braucht Räume – Kundgebung vor dem Rathaus Neukölln

»Ein Haushaltsloch ist das Gleiche wie ein schwarzes Loch. Das entsteht einfach plötzlich und da kann keiner was dafür.« Tim Tonndorf, Elternvertreter an der Rixdorfer Grundschule, hat für eine Kundgebung vor dem Neuköllner Rathaus am Montagnachmittag eine Performance vorbereitet. Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen demonstrieren gemeinsam gegen Pläne des Bezirks, an verschiedenen Schulen Räume an die bezirkseigene Jugendkunstschule (JKS) abzugeben. Am Ende von Tonndorfs Vorführung sind mehrere Kinder eingewickelt und eingezwängt in Absperrband.

Was für die Kinder am Montagnachmittag ein großer Spaß ist, ist eine Metapher für das, was die Demonstrant*innen für die nahe Zukunft befürchten. Nachdem der Mietvertrag der JKS in der Donaustraße vom Privateigentümer nicht verlängert worden war, stand der Bezirk vor großen Problemen. »Die Senatsverwaltung erlaubt nicht die Anmietung von neuen Räumen, sofern Räume da sind. Und das ist bei uns der Fall«, so Bezirksstadträtin Karin Korte (SPD) im Gespräch mit »nd«.

Wie der Leiter des Schul- und Sportamts Neukölln, Peter Gebert, in der im Rathaus stattfindenden Sitzung des bezirklichen Haushaltsausschusses ausführt, hat Neukölln rechnerisch Überkapazitäten an den Grundschulen. Im bezirklichen Vergleich habe Neukölln mehr Quadratmeter pro Schüler, sagt Gebert. »Wir sind mehrfach dazu aufgefordert worden, etwas dafür zu tun, das zu ändern.« Denn unter anderem diese rechnerischen Überkapazitäten führen dazu, dass Neukölln im Jahr 2023 für die Schulen 17 Millionen Euro mehr ausgibt, als der Bezirk vom Senat erhält.

Um einerseits der JKS den Weiterbetrieb zu ermöglichen, andererseits das Defizit anzugehen, hat sich der Bezirk dazu entschieden, der Eduard-Mörike-Grundschule an der Sonnenallee und der Rixdorfer Grundschule an der Donaustraße Räume abzuzwacken und diese der JKS zur Verfügung zu stellen. »Ich musste im Haushaltsausschuss erklären, warum wir so teuer sind. Wenn ich die Erlaubnis bekommen hätte, hätte ich für die Jugendkunstschule andere Räume angemietet«, erklärt Bezirksstadträtin Korte dazu.

Für die Schulen führt das zu erheblichen Problemen. Insbesondere die Eduard-Mörike-Grundschule steht vor großen Herausforderungen. Denn sie wurde erst am 29. Mai konkret darüber informiert, dass sie zum 1. September Räume abgeben soll. »Wir haben keine freien Räume, wo sich Spinnweben sammeln und die wir einfach abgeben können. Alle Räume werden genutzt«, erklärt Christian Jessen, der an der Schule unterrichtet, »nd«. Wäre die Schule ein Neubau, hätte sie sogar 500 Quadratmeter zu wenig.

Für den Einzug der JKS soll auch die preisgekrönte und frisch renovierte Bibliothek der Schule geräumt werden. Unklar ist, wie lange sie eingelagert werden soll. Im laufenden Betrieb sei der Umzug sowieso nicht möglich, so Jessen. »So etwas braucht Zeit«, erklärt er. Genauso wie die Erstellung eines pädagogischen Raumkonzepts, das sowohl die Belange der Grundschüler*innen als auch die der Nutzer*innen der JKS mitdenke. Jessen schätzt die JKS, sie sei ein »tolles Projekt«, mit dem man gerne kooperiere. Aber die Art und Weise der geplanten Raumnutzung bringe das Kollegium an die Belastungsgrenze: »Das ist ein stinkender Fisch, der uns vor die Füße geworfen wird.«

Die zusätzliche Arbeit und das Chaos, das durch die bezirklichen Pläne ausgelöst wurde, haben schon Konsequenzen für den pädagogischen Betrieb. »Wir konnten wegen dieser Blutgrätsche nicht angemessen für das nächste Schuljahr planen«, so Jessen. Wenn die Grundsituation entspannter wäre, wäre das alles anders, erklärt der Lehrer. Aber man habe nicht besetzte Stellen und einen hohen Krankenstand. Im Rahmen einer Studie der Universität Göttingen erfasst Jessen seine Arbeitszeit zurzeit sehr genau. Mit einer nominellen 75-Prozent-Stelle übersteigt seine reale Arbeitszeit regelmäßig 50 Wochenstunden. Nur so kann die herausfordernde Arbeit mit den Kindern aus Neukölln, die oft aus beengten Verhältnissen kommen und finanziell benachteiligt sind, pädagogisch gut gestaltet werden.

Dass es zwischen den Rechenmodellen für Platz und dem tatsächlichen Bedarf an Schulen Unterschiede gibt, ist dem Bezirk eigentlich bekannt. »Wir waren im Februar mit dem Bildungsausschuss in der Eduard-Mörike-Grundschule«, berichtet Philipp Dehne, bildungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bezirk »nd«. Der Schulleiter habe gesagt, dass der Raum gerade so reiche. »Räumliche Enge produziert pädagogische Konflikte.« Was man an diesem Vorgang sehen könne, sei, dass die Austeritätslogik, also die Sparpolitik der öffentlichen Hand, immer dazu führe, dass an der Daseinsfürsorge gespart werde, so Dehne. »Und das kann eigentlich nicht sein.«

»Wir konnten wegen dieser Blutgrätsche nicht angemessen für das nächste Schuljahr planen.«

Christian Jessen
Lehrer Eduard-Mörike-Grundschule
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