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Kommunale Rettungsdienste: »Es findet ein stiller Streik statt«

Gewerkschafter Norbert Wunder über Personalmangel und Überlastung in den kommunalen Rettungsdiensten

Die Arbeitsbelastung im kommunalen Rettungsdienst führt zu akutem Personalmangel.
Die Arbeitsbelastung im kommunalen Rettungsdienst führt zu akutem Personalmangel.

Die Tarifverhandlungen für die etwa 15 000 Beschäftigten im kommunalen Rettungsdienst wurden durch Verdi abgebrochen. Warum?

Wir wollen die Arbeitszeit schrittweise bis 2028 auf 42 Stunden senken. In den Tarifverhandlungen haben wir angeboten, ab nächstes Jahr 45 und ab 2026 dann 44 Stunden zu arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen. Das war dem Arbeitgeber nicht recht. Der hat uns vorgeschlagen, dass wir nächstes Jahr 47 und erst ab 2028 auf 44 Stunden runtergehen. Da machen wir nicht mit. Die Differenz zu anderen Rettungsdiensten, die jetzt schon nur noch 44 Stunden in der Woche arbeiten, ist zu groß.

Das klingt nach einer hohen Belastung.

Ja, wir müssen tagsüber und nachts, am Wochenende und an Feiertagen da sein. Und weil sich 48 Stunden durch 12 gut teilen lässt, arbeiten wir an vier zwölfstündigen Tagen pro Woche. Im Vergleich zur Regelarbeitszeit sind das jährlich etwa 468 Stunden mehr. Wenn ich das auf meine Lebensarbeitszeit hochrechne, arbeite ich weit über zehn Jahre mehr als andere Beschäftigte ohne jeglichen Ausgleich.

Woran liegt das?

Das Gesundheitswesen hat sich stark verändert. Im Krankenhaus versucht man den Patienten möglichst früh rauszubekommen. Das führt dazu, dass Leute entlassen werden, obwohl sie oftmals noch nicht fit sind und auf die Hilfe des Rettungsdienstes angewiesen sind. Sie müssen wieder nach Hause oder ins Pflegeheim gebracht werden. Auch fahren wir weite Strecken, um Patienten zu Spezialisten zu bringen. Denn nicht jedes Krankenhaus hat etwa eine Urologie, vor allem im ländlichen Raum. Hinzu kommt, dass die kassenärztlichen Vereinigungen es nicht schaffen, ihre Patienten ausreichend zu versorgen. Das muss man so konstatieren. Und natürlich suchen sich die Menschen die Hilfe, die sie kriegen. Und die 112 erreichen sie immer. Insofern wäre es gut, wenn die kassenärztliche Versorgung wieder besser organisiert werden würde.

Interview


Norbert Wunder arbeitet seit 40 Jahren im kommunalen Rettungsdienst im Kreis Pinneberg. Er ist bei Verdi in der Bundesfachkommission für die Rettungsdienste zuständig und Mitglied der Tarifverhandlungskommission.

Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Die Einsätze nehmen zu, aber das Personal nicht – im Gegenteil. Das führt immer wieder auch zu Überstunden. Das lässt sich gar nicht vermeiden, etwa weil auf dem Rückweg von einem Krankenhaus zur Rettungswache noch ein Einsatz hereinkommt. Der muss bei lebensbedrohlichen Situationen wahrgenommen werden. Und die Arbeit ist ohnehin körperlich sehr belastend. Viele Patienten müssen aus ihren Wohnungen geholt werden, und die sind selten barrierefrei. Das heißt, sie müssen vielfach getragen werden – und die wiegen nicht immer wenig. Wir haben zwar schon Elektrotragen, die uns unterstützen. Aber oft haben wir es auch nicht mit normalen Treppenhäusern, sondern mit Wendeltreppen oder Ähnlichem zu tun. Da jemanden in einem schwierigen klinischen Zustand runterzutragen, ist nicht einfach. Normalerweise ist man zu zweit. Wenn man Glück hat, ist ein Azubi dabei. Aber es ist hoch anstrengend und viele gehen in Teilzeit, weil sie es nicht aushalten. Sie arbeiten an der Belastungsgrenze und wechseln den Job. Es gibt Umfragen auch von Verdi, wonach die Menschen im Schnitt nicht mehr als zehn Jahre im Rettungsdienst verbleiben. Es ist eine unglaubliche Herausforderung, neue Leute zu finden, gerade unter den Bedingungen.

Warum blockiert der Kommunale Arbeitgeberverband dann?

Mir leuchtet das auch nicht ein. Es besteht ja noch nicht einmal ein haushalterisches Risiko, denn die Refinanzierung ist klar geregelt: Wenn es einen Tarifvertrag gibt, zahlt die Krankenkasse. Das heißt, die Haushalte der Länder oder der Kommunen würden nicht belastet. Interessant ist, dass einzelne kommunale Arbeitgeber gesagt haben, dass die Arbeitszeit reduziert wird. Aber der Spitzenverband sperrt sich. Und das ist zutiefst irritierend.

Wie geht es jetzt weiter?

Derzeit haben wir eine Friedenspflicht, aber im Frühjahr 2023 haben wir mitgestreikt und haben da auch deutlich gemacht, dass die Bereitschaft hoch war.

Wie hoch ist der Organisationsgrad?

Der ist wie überall im Sozial- und Gesundheitswesen. Die Mehrheit ist nicht in der Gewerkschaft. Das bedauere ich sehr. Ich denke mal, wenn wir ähnliche Zahlen wie bei Volkswagen oder Mercedes hätten, könnten die Beschäftigten hier auch mehr Druck aufbauen. Dann wäre das eine andere Geschichte.

Und welche Mittel haben Sie dann?

Im Moment organisieren wir vor allem Demonstrationen und Unterschriftenaktionen. Wir haben die Kommunen und die Landräte in den Landkreisen angeschrieben und auch Nicht-Mitglieder gebeten, mitzumachen. Damit wollten wir entsprechend Druck aufbauen, damit die in ihrem kommunalen Arbeitgeberverband jeweils sagen, ›Pass auf, wir müssen etwas tun an der Arbeitszeit, damit hier gleiche Verhältnisse hergestellt werden und die Belastung der Kolleginnen und Kollegen im Rettungsdienst runtergeht.‹ Das müssen die jetzt klären. Aber das darf nicht zu lange dauern. Denn sie werden natürlich in Schwierigkeiten kommen, wenn Fahrzeuge regelmäßig stillstehen, weil nicht genug Personal da ist. Es findet eine Art stiller Streik statt. Die Leute können einfach nicht mehr arbeiten und verlassen den Rettungsdienst.

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