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Kürzungen in Sachen Nächstenliebe
Ampel-Regierung bricht jahrzehntelangen überparteilichen Konsens zu starker Entwicklungspolitik
Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt, nutzt die Jahres-Pressekonferenz, um mit dem Bundeshaushalt der Ampel-Regierung und insbesondere mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) abzurechnen. Dieser hatte in den vergangenen Monaten wiederholt Kürzungen des Entwicklungsetats zugunsten der Bundeswehr gefordert.
»Die Politik lässt sich von populistischen Stimmen jagen, das macht mir Sorge«, sagt sie am Donnerstag. Lindners Argument, die Unterstützung der Ukraine müsse für die deutsche Sicherheit Priorität haben und deswegen bei Geld für andere Teile der Welt über Zielgenauigkeit und Umfang gesprochen werden, lässt sie nicht gelten. »Entwicklungspolitik und Sicherheit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.«
Deutschland würde es ohnehin nur dann gut gehen, wenn die gesamte Welt sicher sei, führt Pruin weiter aus. Das sei auch eine Lehre aus der Geschichte des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg, das ohne internationale Unterstützung keinen Wiederaufbau geschafft hätte. Die Einsicht habe zu einem jahrzehntelangen überparteilichem Konsens über den Wert der Entwicklungsarbeit geführt. Die Kürzungspläne würden dem widersprechen. Was Pruin nicht erwähnt: Deutschland sicherte sich durch seine ausgeprägte Entwicklungszusammenarbeit auch seinen internationalen Einfluss. Ein weiteres Argument, das historisch zur parteiübergreifenden Einigkeit über die Förderungen führte.
»Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Regierung das Entwicklungsbudget so drastisch gekürzt.«
Dagmar Pruin Brot für die Welt
Noch ist der Bundeshaushalt nicht in Stein gemeißelt, aktuell stehen aber Kürzungen des Budgets des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) von einer Milliarde Euro im Raum. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) hatte ursprünglich zwei Milliarden mehr gefordert – auch, weil die Ampel ihren Etat bisher jedes Jahr zurückgestuft hatte. Eine Sprecherin aus dem FDP-geführten Finanzministerium erklärt auf »nd«-Nachfrage dazu, der Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2025 und der Finanzplan bis 2028 würde nun erarbeitet, Überlegungen dazu könne das Finanzministerium nicht vorgreifen.
»Seit dem Zweiten Weltkrieg hat keine Regierung das Entwicklungsbudget so drastisch gekürzt«, stellt Pruin fest. Das zeuge nicht nur von einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein, sondern sei auch kurzsichtig, denn »Isolation und Abschottung können wir uns nicht erlauben«. Entwicklung sei ein Schlüssel, um der weltweiten Erosion der Demokratie entgegenzuwirken. Stattdessen lege die Regierung die Mentalität eines »nationalen Schneckenhauses« an den Tag.
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Darüber hinaus würden sich Investitionen in Entwicklungspolitik auch finanziell auszahlen. Pruin stützt sich hierbei auf Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Deren Zahlen entsprechend spart jeder in Entwicklungszusammenarbeit investierte Euro vier Euro für die humanitäre Hilfe. Entwicklungszusammenarbeit ist die langfristige Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung einer Region. Humanitäre Hilfe setzt dagegen kurzfristig und bei unmittelbaren Krisensituationen an.
So kooperiert Brot für die Welt in dreijährigen Projektzyklen mit Initiativen in Bangladesch, die salzresistentes Saatgut als Reaktion auf den steigenden Meeresspiegel entwickeln, oder Initiativen in Guatemala, die kleine Betriebe erstmals mit Strom durch Wasserkraft versorgen.
Für andere Projekte geriet die Organisation im vergangenen Jahr wiederholt in Kritik. Darunter eine Initiative zu »Positiver Maskulinität«, die laut Brot für die Welt Gewalt gegen Frauen mindern, Kritiker*innen vor Ort zufolge aber Teenagerschwangerschaften reduzieren soll. Oder aufgrund von Partnerorganisationen in Palästina. Lindner forderte im Mai eine allgemeine Inventur der Entwicklungshilfe.
Pruin sagt dazu: »Kritik an Projekten der Entwicklungszusammenarbeit muss nicht nur erlaubt sein, sie ist unbedingt nötig.« Die Organisation sei sich aber ihrer Verantwortung bewusst, und es gebe kaum ein Politikfeld, das so rigoros untersucht würde, wie die Entwicklungspolitik. Die aktuelle Kritik komme aus einer anderen Richtung. Hier würde es darum gehen, den Neid-Diskurs anzustacheln. »Aber es ist genug Geld, genug Nahrung für alle da. Daran müssen wir erinnern«, befindet Pruin die Aufgabe der Hilfsorganisationen. Ein weiterer Auftrag sei es, sich zu überlegen, wie man die allgemeine Krisensituation verbessern könne. Als spannenden Ansatz nennt Pruin die globale Milliardärssteuer. Brasilien hatte diese im Rahmen der G20 vorgeschlagen.
Im Jahresbericht von Brot für die Welt zeigt sich: Während die staatlichen Mittel für die Organisation bereits 2023 um zehn Millionen gekürzt wurden, stiegen die Spendenzahlen. Das nimmt Brot für die Welt als Zeichen dafür, dass die Kürzungspolitk der Ampel nicht im Sinne der Bevölkerung ist. Beschließt die Bundesregierung Mitte Juli weitere Kürzungen, hat das für Brot für die Welt zur Folge, dass auslaufende Projekte nicht verlängert und keine neuen begonnen werden können.
Gegenüber »nd« wollte sich das BMZ vor dem endgültigem Beschluss des Bundeshaushalts nicht dazu äußern. Zur »Frankfurter Rundschau« sagte Entwicklungsministerin Schulze, man müsse im Haushalt eigentlich noch viel mehr tun. Immerhin sei es aber gelungen, handlungsfähig zu bleiben.
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