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  • Präsidentschaftswahl im Iran

Gedämpfte Hoffnung auf Wandel

Irans neuer Präsident muss das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen

  • Arne Bänsch und Anne Pollmann, Teheran
  • Lesedauer: 4 Min.
Massud Peseschkian versprach im Wahlkampf Veränderung. Viele Iranerinnen und Iran zweifeln, dass der von ihm ausgehen kann.
Massud Peseschkian versprach im Wahlkampf Veränderung. Viele Iranerinnen und Iran zweifeln, dass der von ihm ausgehen kann.

Nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Iran steht der vergleichsweise moderate Kandidat Massud Peseschkian vor großen Herausforderungen. Viele seiner Wähler dürften einen Politikwechsel von ihm erwarten. Ob der gelingen kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Der ehemalige iranische Präsident Hassan Ruhani sieht mit Peseschkians Wahl zugleich die Gelegenheit zur Wiederaufnahme der Atomverhandlungen gekommen, zitierte die Zeitung »Shargh« den Ex-Regierungschef.

Peseschkian hatte sich in einer Stichwahl am Freitag mit offiziell 53,7 Prozent der Stimmen gegen seinen ultrakonservativen Herausforderer Said Dschalili durchgesetzt. Der Politiker gehört zum Lager der sogenannten Reformbewegung. Deren Anhänger wollen die Islamische Republik von innen reformieren, ohne dabei die grundsätzlichen Machtverhältnisse anzutasten – etwa die absolute Autorität des Religionsführers im Staat. Manche Beobachter sehen den Sieg als Schlag für die konservative Führungselite und Erfolg für das relativ gemäßigte reformistische Lager, das in den vergangenen Jahren von der Politik abgeschottet war.

Peseschkian sagte am Samstag, es gelte nun, »die diversen Herausforderungen und Krisen zu bewältigen«. Derer gibt es einige: Der Iran ist wegen seines umstrittenen Atomprogramms mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in Milliardenhöhe, Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit sind hoch. Die Gesellschaft ist nicht erst seit der jüngsten Protestwelle, die 2022 durch den gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini in Händen der Sittenpolizei ausgelöst worden war, stark gespalten. Außenpolitisch schwelt zudem der Konflikt mit Israel und dem Westen.

Religionsführer Khamenei will Kooperation der Lager

Peseschkian hat eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen angekündigt und im Wahlkampf die Kopftuchpolitik im Land kritisiert. Angesichts der komplexen politischen Gemengelage und mächtigen Interessengruppen im Iran ist jedoch unklar, inwiefern vom Stichwahlsieger Peseschkian tatsächlich ein signifikanter Kurswechsel zu erwarten ist. Beobachter gehen davon aus, dass er versuchen wird, sowohl die Innen- als auch Außenpolitik neu zu gestalten und so auch die angeschlagene Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Wie viel Einfluss Peseschkian haben wird, hängt zugleich maßgeblich von Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei ab, dem mächtigsten Mann im Staat. Hinzu kommen einflussreiche Interessengruppen wie etwa die Revolutionsgarden – Irans Elitestreitmacht, die auch eine maßgebliche Wirtschaftsmacht im Land ist. Ob es zu erkennbaren Kursänderungen kommt, werden die Revolutionsgarden mitentscheiden.

Wie viel Einfluss Peseschkian haben wird, hängt zugleich maßgeblich von Religionsführer Ajatollah Ali Khamenei ab, dem mächtigsten Mann im Staat.

Wie die Zeitung »Shargh« unter Berufung auf Parlamentsabgeordnete berichtete, soll Peseschkian am 4. oder 5. August vereidigt werden. Danach habe der Präsident 15 Tage, um sein Kabinett vorzustellen. Ab dem 22. August soll dieses durch das Parlament bestätigt werden. Dort haben die Hardliner die Mehrheit. Religionsführer Khamenei rief nach der Wahl Peseschkians und der Niederlage des Hardliner-Kandidaten dazu auf, »die politische Rivalität nun in Freundschaft« umzuwandeln. Dass die Erzkonservativen mit dem verfeindeten Lager der Moderaten kooperieren werden, gilt dennoch als unwahrscheinlich.

Mehrheit der wahlberechtigten Iraner hat nicht gewählt

An einen Wandel im Land glauben die wenigsten Iraner und Iranerinnen. Reformen des politischen Systems seien nicht möglich, heißt es oft resigniert. Wie bereits bei der diesjährigen Parlamentswahl waren die Wochen vor der Abstimmung von auffälliger Gleichgültigkeit geprägt. In der ersten Runde schlug sich das in einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von rund 40 Prozent nieder. In der Stichwahl erreichte die Beteiligung laut offiziellen Angaben 49,8 Prozent.

Die vorgezogene Wahl folgte auf den Tod von Amtsinhaber Ebrahim Raisi, der im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war. Seine knapp dreijährige Amtszeit war von politischer Repression, Protestwellen und einer Verschlechterung der Wirtschaftslage geprägt.

Neuer Präsident will Vertrauen des Volkes zurückgewinnen

Auch vor diesem Hintergrund warb Peseschkian im Wahlkampf für ein neues Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Volk. Politische Erfahrung bringt er mit. Während der zweiten Präsidentschaft von Mohammad Khatami (2001-2005) war Peseschkian Gesundheitsminister. Trotz seiner gemäßigten Rhetorik stellte er sich hinter die mächtigen Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf den Erzfeind Israel im April. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der jedoch Reformen für notwendig hält. dpa/nd

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