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»elPeriódico«: Die Renaissance einer investigativen Tageszeitung
Die Zeitung »elPeriódico« war in Guatemala das einflussreichste kritische Medium. Die Redaktion musste schließen, kämpft sich jetzt aber wieder zurück
Die beiden Buchstaben eP, eingefasst von einem roten, abgerundeten Rechteck, bilden das Logo von »elPeriódico«, Guatemalas investigativer, kritischer Tageszeitung. Das 1996 gegründete Blatt feiert derzeit Wiederauferstehung als »eP Investiga«, und Gersón Ortiz zieht die Fäden.
Ortiz, versierter Journalist und Schriftsteller, war ein Gesicht vom »elPeriódico«, zählte zu den leitenden Redakteuren und arbeitete dem damaligen Direktor José Rubén Zamora zu. Das ist Geschichte. Am 15. Mai 2023 musste »elPeriódico« schließen, nachdem die erzkonservative und korrupte Regierung des damaligen Präsidenten Alejandro Giammattei der unbequemen Tageszeitung den Stecker gezogen hatte: Am 29. Juli 2022 wurde José Rubén Zamora von einem Spezialkommando der Polizei wegen angeblicher Geldwäsche wie ein Schwerkrimineller abgeführt.
Parallel dazu wurden alle Konten der auf Aufdeckung von Korruption spezialisierten Tageszeitung eingefroren. 287 Tage später erschien die letzte Ausgabe von »elPeriódico«, die ökonomisch stranguliert wurde: »Das Einfrieren der Konten, der Druck der Regierung auf potenzielle Anzeigenkunden, auf Sponsoren und Spender haben uns das Genick gebrochen«, erklärte Julia Corado damals.
Heute ist die Journalistin wieder dabei, trägt als Ressortleiterin Verantwortung und hat bei der Konzeption von »eP Investiga« mitgearbeitet. Direkte Folge ist, das der Sitz der Finanzverwaltung nicht in Guatemala Stadt, sondern in Mexiko Stadt angesiedelt ist. »Wir wollen uns vor einem weiteren Zugriff der guatemaltekischen Behörden schützen«, sagt Gersón Ortiz, der derzeit noch aus dem US-amerikanischen Exil arbeitet.
»Vorerst wünsche ich uns in jedem Ressort, Kultur, Investigatives und Politik, einen oder eine weitere Kollegin. Das istdas Ziel für die kommenden Monate.«
Gersón Ortiz Journalist
Der Grund liegt auf der Hand, denn Ortiz ist genauso wie sein Freund und Mentor José Rubén Zamora ein Unbequemer. Er tritt für einen Journalismus ein, der sich nicht an die Kette legen lässt, der den Mächtigen auf die Finger schaut und nachprüft, wo die öffentlichen Gelder hingehen. »Fiscalisación« heißt das auf Spanisch, so viel wie Rechnungsprüfung.
Doch der spanische Begriff geht über das deutsche Pendant hinaus, beinhaltet die Überprüfung der öffentlichen Ausgaben, um Veruntreuung aufzudecken. Das ist in Guatemala alles andere als gern gesehen und hat wiederholt dazu geführt, dass gegen unbequeme Journalist*innen unter fingierten Vorwürfen ermittelt wird. Ortiz, Zamora und viele andere sind dafür Beispiele.
Pläne und Positive Resonanz
Das Aufdecken ist auch bei »eP Investiga« Teil der journalistischen DNA, genauso wie bei »elPeriódico«, aber das Portal, das im April sein Debüt feierte, kommt in frischerem Design und mit neuer Belegschaft daher. Alten Hasen wie Ortiz und Corado stehen junge Reporter*innen wie Jovanna García und Shirlie Rodríguez gegenüber, die zum derzeit zwölfköpfigen Team gehören. Für das erste halbe Jahr ist das Erscheinen dank Spenden aus Guatemala, aber auch aus dem Ausland, gewährleistet. Peu à peu soll sich das Portal dann selber tragen. Dazu sind Abonnements nötig, von denen es bisher, so Ortiz, erst ein paar Dutzend gibt. »Mit 10 000 Abonnent*innen wären wir finanziell lebensfähig«, schätzt er.
Parallel dazu würde er die Redaktion erweitern, ob auf die Zahl von 129 Redakteur*innen, die »elPeriódico« bis zum November 2022 hatte, ist realistisch vollkommen offen. »Vorerst wünsche ich uns in jedem Ressort, Kultur, Investigatives und Politik, einen oder eine weitere Kollegin. Das ist das Ziel für die kommenden Monate« so Ortiz, ein kräftiger Mann mit zurückgebundenem Haarschopf und grau melierten Bart.
Bei den Kolleg*innen in Guatemala kommt der neue, alte Player gut an, so Diego España. Der 23-jährige Journalist arbeitet bei »La Hora«, einer nur noch online erscheinenden Tageszeitung, und freut sich über die Renaissance von »elPeriódico«. Einigen Kolleg*innen ist er bereits auf der einen oder anderen Pressekonferenz begegnet. »Uns fehlt in Guatemala mediale Vielfalt. Wir sind ein kleines Land, unabhängige, kritische Medien haben es hier überproportional schwer«, meint der Absolvent der öffentlichen Universität San Marcos.
Mit Jovanna García und Gersón Ortiz kennt er mindestens zwei aus der Equipe von »eP Investiga«, und es gefällt ihm, dass kontinuierlich über José Rubén Zamora, der seit dem 29. Juli 2022 auf der Marical-Zavala-Militärbasis in Isolationshaft sitzt, berichtet wird.
Gleichwohl ist die Familie Zamora bei »eP Investiga« nicht mit an Bord, zu ausgepowert sind alle Beteiligten. Das weiß auch España, der den Fall en détail kennt, von Beginn an berichtete und sich sicher ist, dass die Vorwürfe gegen Guatemalas Ikone des investigativen Journalismus fabriziert sind. »Mit einer Verschleppungstaktik, der kurzfristigen Absage von Anhörungen, Prozesstagen usw. wird Zamora in Haft gehalten«, kritisiert er die zuständigen Richter und Staatsanwälte.
Dahinter stecke Strategie meint er. Auch ein anderer unabhängiger Kollege ist dieser Meinung: Carlos Choc. Der 42-jährige indigene Journalist ist Mitglied der Rechercheplattform »Forbidden Stories« und hat zwei Prozesse hinter sich, in denen er vorsätzlich vom Staat beziehungsweise der Generalstaatsanwaltschaft kriminalisiert wurde. Typisch für deren Umgang mit kritischen Medien in Guatemala. »Staatsanwalt Rafael Currichiche hat die gesamte kritische Presse des Landes erst vor zwei Wochen als Aktivisten und Influencer bezeichnet. Dass wir einen Informationsauftrag haben, interessiert ihn nicht«, kritisiert Choc. Er kann sich erst seit ein paar Monaten wieder frei bewegen, und auch die Ausreise ist heute kein Problem mehr.
Kriminalisierung und Stigmatisierung
Darauf muss José Rubén Zamora, Jahrgang 1956, noch warten. Immerhin ist der hagere Mann mit der mittellangen silbrig-weißen Mähne auch nach fast zwei Jahren Haft nicht kleinzukriegen. Er machte, so seine Anwältin Wendy López, bei der letzten Verhandlung einen guten, gefestigten Eindruck. Zudem hätten sich die Haftbedingungen gebessert. Das freut auch Julia Corado, Ressortleiterin von »eP Investiga«, die aus dem Exil den Kollegen vor Ort zuarbeitet. Zu riskant wäre ihre Rückkehr aus einem der Nachbarländer nach Guatemala, wo derzeit der Konflikt zwischen der progressiven Regierung von Präsident Bernardo Arévalo und der Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras den politischen Alltag prägt.
Porras hält an ihrer Strategie der Kriminalisierung aller Unbequemen fest, und dazu gehören nicht nur Journalist*inen, sondern auch Umweltaktivist*innen oder Justizangestellte. José Rubén Zamora ist nur ein besonders bekanntes Beispiel, und darauf haben zahlreiche Medienorganisationen, darunter Reporter ohne Grenzen oder die mexikanische Artículo 19 am 15. Mai 2024 nach einer erneuten Gerichtsverhandlung gegen Zamora hingewiesen und seine Freilassung gefordert. Ohne Erfolg.
Der Grund dafür liegt auf der Hand, so »eP Investiga«-Direktor Ortiz: »Die Justiz ist weiterhin unter ihrer Kontrolle – die Regierung hat Fehler gemacht«, meint der »eP Investiga«-Direktor. Große Erwartungen, dass es möglich sei, Generalstaatsanwältin Porras abzusetzen, habe sie geweckt, kritisiert Ortiz. »Heute zeigt sich, dass Porras fest im Sattel sitzt, weil sie vom Verfassungsgericht gedeckt ist und die Regierung keine sichere Mehrheit im Parlament hat«, kritisiert der Mann Anfang 40, und ihm ist durchaus die Enttäuschung anzumerken.
Die Regierung Arévalo agiere ohne Strategie, improvisiere, und das sei kein gutes Rezept, kritisiert Ortiz. Dessen Einschätzung ist in Guatemala recht verbreitet, und die Regierung steht vor der Herausforderung, sich neu zu orientieren. Dabei sind kritische Medien wie »eP Investiga« durchaus eine Option, wo Expert*innen aus Justiz und Wissenschaft zu Wort kommen, die aktuelle Situation diskutieren und analysieren.
Jüngstes Beispiel sind die Beiträge zu den Neubesetzungen von Richterposten in verschiedenen hohen Gerichten – auch eine Option, die Justiz zu reformieren. Allerdings kostet das viel Zeit und erfordert viel Arbeit in den Kommissionen, die über die Bewerbungen der angehenden Richter entscheiden und traditionell immer wieder von Korruptionsfällen geprägt sind. Allerdings derzeit deutlich weniger, und das ist ein kleiner Erfolg der Regierung Arévalo.
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