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Berlin: Judenhass von allen Seiten
Verfassungsschutzbericht: Nahost dominierte 2023 verfassungsfeindliche Bestrebungen
Der 7. Oktober 2023 wirft weiter seinen Schatten auf Berlin: Die Debatte um den Nahost-Konflikt »war das dominierende Thema in allen Spektren« des Extremismus, sagte Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das vergangene Jahr. »Antisemitismus zeigte sich so offen wie selten zuvor«, so Spranger.
Seit dem Hamas-Terroranschlag in Israel würden immer wieder Veranstaltungen gestört und Gebäude besetzt. Bei Demonstrationen insbesondere in Neukölln sei es häufig zu Ausschreitungen gekommen. Auf eine Synagoge in Mitte sei ein Brandanschlag verübt worden. Dazu kommen »tägliche Beleidigungen gegen Juden«, so Spranger.
Dominiert wurde die antiisraelische Agitation demnach von Gruppen des sogenannten auslandsbezogenen Extremismus. Unter diesem Begriff werden unabhängig von der Gesinnung Gruppen gefasst, die mit politisch radikalen Organisationen im Ausland verbunden sind. Diese seien die »zentralen Treiber« der Proteste gewesen, so Spranger.
Zu den beteiligten Gruppen gehöre etwa das Samidoun-Netzwerk, das inzwischen im vergangenen November vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Die in Berlin etwa 30 Personen starke Gruppe wurde vor allem dafür bekannt, dass sie noch am 7. Oktober selbst zur »Feier des Sieges des palästinensichen Widerstands« Süßigkeiten auf der Sonnenallee in Neukölln verteilte.
Beteiligt seien aber auch islamistische Gruppen gewesen. Dazu gehörten etwa lokale Anhänger von Hamas und Hisbollah, aber auch salafistische Gruppen. So forderte der Berliner Prediger »Abul Baraa« in einem öffentlich verbreiteten Bittgebet kurz nach den Terrorangriffen, dass die Zionisten »bis auf den letzten« getötet werden sollten. Zudem sollen sich auch türkische Nationalisten an der Mobilisierung beteiligt haben.
Das Thema führte zu ungewohnten Kooperationen: So sollen eigentlich verfeindete Gruppen bei dem Thema zusammenarbeiten. Die islamistische Hamas und das sakuläre Samidoun-Netzwerk sollen beispielsweise jeweils über ihnen nahestehende öffentliche Kanäle zu Veranstaltungen des »Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitees« aufgerufen haben.
Auch unter Rechtsextremisten hatte der Nahost-Konflikt Hochkonjunktur. »Die Szene nutzte das Thema für antisemitische Propaganda«, sagte Spranger. Insbesondere der Teil der Szene, der explizit auf den Nationalsozialismus rekurriert, habe den Nahost-Konflikt aufgegriffen. Weniger eindeutig sei die Position bei der sogenannten Neuen Rechten, die etwa die Identitäre Bewegung umfasse. »Manche sympathisieren mit dem Staat Israel, bei anderen dominiert der Judenhass«, sagte Michael Fischer, Leiter des Berliner Verfassungsschutzes. Feindlichkeit gegenüber Muslimen liege auf einem »gleichbleibend hohen Niveau«. Auch hier sei der Nahost-Konflikt »Treiber« der Entwicklung.
Insgesamt könne man beobachten, dass die Kleinstpartei Dritter Weg der dominierende Akteur im Berliner Rechtsextremismus sei. Sie profitiere von der Schwäche der NPD, die seit vergangenem Jahr unter dem neuen Namen »Die Heimat« firmiert. Über die Jugendorganisation des Dritten Wegs würden Jugendliche »an Gewalt herangeführt«, so Fischer. Die Partei konzentriere sich auf Ausbildung im Kampfsport. »Für Berlin ist das eine neue Qualität.«
Bedeckt hielt sich Spranger dagegen zu einem anderen rechten Akteur: »Dazu können und wollen wir nichts sagen«, antwortete Spranger auf die Frage, ob auch die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern darf der Verfassungsschutz in Berlin nicht über Verdachtsfälle berichten. Laut Verfassungsschutzchef Michael Fischer bereite man aktuell ein Gesetz vor, das dies ändern soll.
Für »bemerkenswert« hält Innensenatorin Spranger, wie die Nahost-Debatte unter Linken geführt werde. Zahlreiche Gruppen hätten sich von dem Terrorangriff der Hamas bestürzt gezeigt, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Insbesondere im orthodox-marxistisch und antiimperialistisch orientierten Spektrum habe es aber auch Unterstützung gegeben. »Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Antisemitismus auch in Teilen der linken Szene salonfähig ist«, so Spranger.
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