- Sport
- Schwimmen im Freibad
Albtraum Schwimmkurs
Unsere nd-Kolumnistin will ihren Kraulstil verfeinern, doch ihr graut es vor dem Training
»Mit der flachen Hand tief einstechen! Unterarm nach hinten drücken!« Mit geschlossenen Augen ziehe ich den rechten Daumen an der Hüfte beginnend nach oben, schlage die linke Hand ab, drehe mich nach links, steche die linke Hand ein. Eine strenge Stimme in meinem Kopf befiehlt: »Den Rücken gerade halten. Nicht durchhängen, mehr Druck auf die Unterarme und atmen dabei!« Etwas Stachliges greift nach meiner Hand, ich schlage um mich.
Charlottenburg, ein Dienstagnachmittag im Juni. Ein Schwanenpaar segelt mit drei Jungen im Schlepptau an mir vorbei. Ich hänge am modrigen Steg, der die 50-Meter-Bahnen rahmt und beruhige meine Atmung. Schon wieder! Seit ich mit dem Gedanken spiele, einen Kraulschwimmkurs an der Volkshochschule zu belegen, habe ich diesen Albtraum, der auch am Tage auftaucht: eine Schwimmhalle, zwei Handvoll Leute, die sich am Beckenrand knäulen und zu einem Mann hochschauen, der Anweisungen gibt: »Jetzt mal sechs Bahnen tauchen und vier Schmetterling rückwärts. Vielleicht klappt’s dann mit der Haltung. Ab!« Er klatscht in die Hände, die anderen schwimmen munter los wie Fische, während ich quälend langsam hinterherhechle, mich verschlucke, verzweifle.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Ich stoße mich vom Steg ab und ziehe einen großen Bogen durch den dunkelgrün schimmernden See. Mein Fuß streift einen Arm des Ährigen Tausendblatts, es wogt gelbgrünlich unter mir, harte Spitzen kitzeln meinen Bauch. Die Schwäne haben den Park außerhalb des Strandbades Jungfernheide erreicht und watscheln nun an Land. Ein Pärchen schreckt auf, weicht zurück. Die Schwäne schütteln ihr Gefieder, schaukeln einmal über die Wiese und gleiten dann wieder ins Wasser. Die Kleinen bilden eine hübsche grauflauschige Kette hinter ihren Eltern.
Der Jungfernheidenteich ist gut 100 Jahre alt und maximal vier Meter tief. Sein Wasser gelangt aus dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal durch den Nonnengraben in den See und fließt in die im Süden gelegene Spree wieder ab. Bis Ende vergangenen Jahres setzte der Bezirk im Rahmen eines Projekts für die ökologische Aufwertung der hiesigen Natur Wasserpflanzen wie das Ährige Tausendblatt zur Algenbekämpfung ein.
Das Freibad ist privat verpachtet, für acht Euro Eintritt gelangt man wochentags über die Restaurantterrasse an den Strand, zu WCs, Wiese, Volleyballfeld. Ich bin der einzige Mensch im See. Nach dem Regen hat sich auch die Rentnergruppe auf der Terrasse verzogen. Ein Neoprenanzug baumelt in einem der alten Bäume auf dem gemauerten Rondell. Am langen Sandstrand liegt ein älteres Pärchen in Liegestühlen, drei junge Leute picknicken, ein arabisches Paar lässt sich ein Stück weiter mit drei kleinen Kindern nieder. Als die Sonne kurz auftaucht, spannt die Frau einen Schirm auf und setzt sich drunter, der Mann spielt mit dem größten Kind am Ufersaum.
Jetzt einen Kaffee holen, denke ich und drehe mich vom Rücken auf den Bauch. Als ich gen Strand schwimme, schimpft wieder die Stimme in meinem Kopf: »Die Zeit ist noch nicht um! 200 Meter einseitiges Kraulen rechts, dann 400 links, ohne Beine! Ab!«
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