Fairer Handel unter Druck

Der Umsatz steigt, aber Preissprünge und Pläne der Bundesregierung trüben die Aussichten

Ernteausfälle im Kakaoanbau sorgten für enorme Preisschwankungen, die insbesondere Fair-Trade-Kooperativen schwer zusetzen.
Ernteausfälle im Kakaoanbau sorgten für enorme Preisschwankungen, die insbesondere Fair-Trade-Kooperativen schwer zusetzen.

Matthias Fiedler ist sichtlich um einen optimistischen Blick auf die Entwicklungen bemüht, als er die Jahreszahlen des fairen Handels in Deutschland vorstellt. »Er hat sich solide entwickelt und einmal mehr seine Resilienz im Einsatz für globale Gerechtigkeit bewiesen«, sagt er am Mittwoch in Berlin. Fiedler ist Geschäftsführer des Forums Fairer Handel (FFH), des Hauptverbands der fairen Handelsorganisationen, dem Unternehmen wie Gepa mit einem Umsatz von etwa 76 Millionen Euro angehören. 2,34 Milliarden Euro hat die Branche im vergangenen Jahr umgesetzt, 7,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter fällt etwa der Handel mit zertifizierten Produkten wie Kaffee, Südfrüchten, Textilien und Schokolade.

Auf den ersten Blick sieht es tatsächlich nach einem Wachstumsmarkt aus. Doch inflationsbereinigt sind die Zahlen weniger rosig. Im Vergleich zum Vorjahr bleibt lediglich ein kleines Plus von etwa einem Prozent. Und noch trüber sieht es bei den Umsätzen der sogenannten Fair-Handels-Unternehmen aus, die ausschließlich fair gehandelte Produkte verkaufen. Sie lägen mit 242 Millionen Euro bei einem preisbereinigten Minus von 0,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, räumt Fiedler auf nd-Nachfrage ein. Gepa etwa musste im vergangenen Jahr ein Umsatzminus von 2,2 Prozent hinnehmen. Insgesamt betrachtet sei das Umfeld herausfordernd, sagt der FFH-Geschäftsführer.

Kopfzerbrechen bereiten dem Verband derzeit Verwerfungen im Kakaomarkt. Der macht 6,4 Prozent des Handelsvolumens in der Branche aus. Zwar stieg der Absatz von fair gehandelter Schokolade im Jahr 2023 um 9,5 Prozent. Doch Ernteausfälle in den Hauptproduktionsländern Elfenbeinküste und Ghana sorgten zuletzt für massive Preissteigerungen. An den Börsen legten die Preise eine regelrechte Achterbahnfahrt hin: Sie verdreifachten sich innerhalb weniger Monate fast auf knapp 12 000 Euro pro Tonne. Preisunterschiede von mehreren hundert Euro innerhalb weniger Tage sind nicht ungewöhnlich.

Eine Hauptursache für die heftigen Kursschwankungen ist laut FFH-Vorstandsvorsitzender Andrea Fütterer der Klimawandel. »Das Wetter verändert sich, Regen- und Trockenzeiten verschieben sich. Die Produzenten können sich nicht mehr darauf verlassen«, berichtet sie. Monokulturen und zu viel Niederschlag zur falschen Zeit hätten etwa im Kakaoanbau zu einer Pilzkrankheit geführt, die große Teile der Ernte vernichtete. Die einsetzenden Preisschwankungen riefen Börsenhändler auf den Plan, die auf steigende Kurse und Spekulationsgewinne hofften. Ähnliche, aber bislang nicht annähernd so dramatische Entwicklungen lassen sich im Kaffeemarkt beobachten, der 2023 mehr als ein Drittel der fair gehandelten Produkte ausmacht.

Während die lokalen Produzent*innen kurzfristig von der Entwicklung profitieren, weil sie ihre Ware entsprechend teurer verkaufen können, wird die Luft laut FFH für die Zwischenhändler, meist kleine genossenschaftliche Kooperativen, dünner. Derzeit drängten Händler auf den Markt, die den Kleinbäuerinnen und -bauern ihre Produkte direkt abkaufen, »häufig zu besseren Preisen«, sagt Fütterer. Die Kooperativen hätten schlicht nicht genug liquide Mittel, um bei den hohen Preisen mithalten zu können. »Sie stehen enorm unter Druck«, warnt sie. Profitieren würden dagegen die großen Konzerne.

Und obwohl trotz multipler Krisen bislang keine Partnerschaften mit Produzent*innen im Globalen Süden gekündigt wurden, wie Geschäftsführer Fiedler berichtet, dürften die Verwerfungen den Markt künftig unter Druck setzen. Zwar haben die Konsument*innen von fair gehandelten Produkten in der Regel ein höheres Einkommen. Doch schon jetzt führten die Inflation und damit verbundene Reallohnverluste zu sinkenden Umsätzen in der Branche. »Die Kundinnen und Kunden sind sehr preissensibel«, gibt Fütterer zu bedenken.

Vor dem Hintergrund sieht der Verband die Bundesregierung in der Pflicht. Sie solle sich verstärkt für die Einhaltung der Klimaziele einsetzen sowie mehr Geld in die Klimafinanzierung und in die Entwicklungshilfe investieren. Nur so könnten sich die Produzent*innen gut auf die neuen Bedingungen einstellen.

Da scheint die Bundesregierung derzeit einen anderen Kurs einzuschlagen. Im Haushalt für das kommende Jahr sind massive Kürzungen bei der Entwicklungshilfe eingeplant, voraussichtlich eine knappe Milliarde Euro. Das würde nicht nur den vom Entwicklungsministerium geförderten Verband selbst treffen, sondern auch dessen Kooperationspartner. »Das ist der falsche Weg«, kritisiert Fiedler.

Ebenso wie die Ankündigung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen oder zu verwässern, bis eine entsprechende EU-Richtlinie umgesetzt ist. Das derzeit geltende Gesetz verpflichtet Unternehmen dazu, Klimavorgaben und Menschenrechte in ihren Lieferketten einzuhalten. »Mit Verweis auf schwierige Zeiten werden gute Entwicklungen gestoppt, zurückgedreht und wieder verworfen. Das ist bitter, kurzsichtig und strategisch verrückt«, kritisiert Fiedler.

Einen Lichtblick gab es am Mittwoch aber dann doch: Vor allem jüngere Konsument*innen halten trotz steigender Preise an fair gehandelten Produkten fest. »Es zeichnet sich eine neue überzeugte Käuferschicht ab«, freute sich Verbandssprecherin Frank.

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