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Abschiebung wegen Likes im Netz: »Das ist längst gängige Praxis«
Ein geplantes Ampel-Gesetz sorgt für Aufregung. Die Juristin Christine Graebsch ordnet ein, was die Neuregelung für Betroffene bedeuten würde
Abschiebungen wegen eines Kommentars im Internet? Genau das will die Ampel-Regierung mit einer Änderung des Aufenthaltsgesetzes ermöglichen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Bundeskabinett bereits vor einigen Wochen beschlossen. Demnach soll in Zukunft die Billigung einer einzelnen »terroristischen Straftat« etwa in Form eines Kommentars oder eines Likes im Internet zu einer Ausweisung führen können – und zwar ohne Gerichtsurteil. Die Rechtswissenschaftlerin Christine Graebsch erklärt, was genau in diesem Entwurf steht und was er in der Praxis bedeuten würde.
Gilt ein Like schon als Billigung einer Straftat?
Grundsätzlich ist die Billigung von Straftaten schon jetzt im Aufenthaltsrecht als Ausweisungsgrund verankert. Wer »Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt« oder eine »terroristische Vereinigung« unterstützt, erfüllt demnach ein »besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse«.
»Was viele aufgrund der medialen Aufregung um das Gesetz nicht begreifen, ist, dass längst Posts in den sozialen Medien herangezogen werden, um Menschen auszuweisen«, so Graebsch. Die Sicherheitsbehörden suchten aktiv nach Facebook-Posts und sendeten diese an die Ausländerbehörde, um damit eine Ausweisungsverfügung zu bewirken.
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Ein Beispiel: Ein Mandant von Graebsch veröffentlichte zur Beerdigung eines Freundes auf Facebook ein Trauergedicht. »In einem anderen Post, mit dem mein Mandant überhaupt nichts zu tun hatte, wird dieser Freund mit Hamas in Verbindung gebracht.« Und das reiche den Behörden als Beweis für Terrorunterstützung. »Die Sachen, die herangezogen werden, sind alle von dieser Art.«
Dass nun schon ein Like eines Beitrags als Billigung von Straftaten gelten soll, sorgte medial für besonders große Aufregung. Laut der Formulierungshilfe der Bundesregierung geht aus der Verbreitung eines terrorverherrlichenden »Inhalts« eine Billigung hervor. »Unter Verbreitung eines Inhalts kann daher nunmehr etwa auch das Markieren eines Beitrags durch ›Gefällt mir‹ auf den sozialen Medien fallen«, heißt es im Kabinettsentwurf.
Später sagte das BMI allerdings mehrfach gegenüber der Presse, ein einzelner Like würde noch nicht ausreichen – wohl als Reaktion auf die laute Kritik durch Juristen an dem neuen Vorhaben der Ampel. In der Praxis, so Christine Graebsch, würden Likes schon längst als Grundlage für Ausweisungsbescheide herangezogen.
Worin genau liegt dann eigentlich die Verschärfung? Ist das neue Gesetz vielleicht mehr Schein als Sein – reine Symbolpolitik?
Eine neue Definition von Terror
Die eigentliche Verschärfung liegt woanders, und hier wird es interessant: Die Ampel nimmt nämlich ein neues Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Terrorbekämpfung zum Anlass, um den Begriff »terroristische Straftat« neu zu definieren. Also den Paragrafen 89a, der oben genannten Ausweisungsregelungen zugrunde liegt.
Demnach soll künftig neben Taten wie »Mord und Totschlag«, »Kriegsverbrechen« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« auch schon eine gefährliche Körperverletzung als terroristische Straftat gelten. Deren Voraussetzungen, so Graebsch sind sehr schnell erfüllt, etwa wenn mehrere Personen in die Körperverletzung verwickelt sind, oder »gefährlicher Werkzeuge« eingesetzt werden. Das könne alles Mögliche sein, erklärt die Juristin. Klassische Beispiele: ein Hammer, ein Bleistift gegen empfindliche Körperteile oder der »beschuhte Fuß«, mit dem zugetreten wird.
Zudem soll schon die Androhung der genannten Taten als terroristische Straftat gelten, wenn »die Tat bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern« oder durch »die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann«.
Dazu kommt eine kleine, aber feine Änderung im Aufenthaltsgesetz: Im Satz »Wer Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt« fällt das »von vergleichbarem Gewicht« künftig weg. Das bedeutet: Die terroristische Tat muss nicht mehr ähnlich gravierend sein, wie ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern einfach nur noch eine terroristische Straftat nach der neuen, ausgeweiteten Definition.
Aus Sicht von Graebsch soll das bewirken, dass es für die Behörden noch einfacher wird, Kleinigkeiten als Grundlage für eine Ausweisung heranzuziehen. »Bisher läuft es meistens so, dass die Behörden mehrere Posts, Kommentare, oder Likes als Begründung für eine Ausweisung heranziehen. Wir können vor Gericht gegen einen Großteil der Fälle argumentieren.« Dann blieben am Ende oft nur noch ein oder zwei Vorwürfe übrig, und das Gericht entscheide, diese reichten im Sinne der Verhältnismäßigkeit nicht für eine Ausweisung aus, so Graebsch. Je mehr Fälle die Behörden als Billigung einer Straftat heranziehen und verteidigen können, desto wahrscheinlicher ist es also, dass ein Gericht am Ende für die Ausweisung entscheidet.
Selektive Anwendung mit Ansage
Müsste nach dieser Terrordefinition nicht auch die Verherrlichung von israelischen oder US-amerikanischen Kriegsverbrechen als Abschiebegrund dienen? Eigentlich ja, denn selbstverständlich wird im Gesetz nicht spezifiziert, welche Gruppe die terroristische Straftat begangen haben muss, um als solche zu gelten – rechtlich wäre das auch nicht möglich.
Gleichzeitig machte die Bundesregierung jedoch vielfach deutlich, dass das neue Gesetz in eine ganz bestimmte Richtung zielt. Bei der Ankündigung des Gesetzes sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD): »Wir gehen hart gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz vor.« Auch in Deutschland seien die Terrorangriffe der Hamas auf Israel auf widerwärtigste Weise in sozialen Medien gefeiert worden. Von Terror durch andere Gruppen ist nicht die Rede. Also selektive Umsetzung mit Ansage?
Eine selektive Anwendung der Ausweisungsregelungen sei ohnehin längst Praxis, erklärt Christine Graebsch. Die meisten Fälle, die der Anwältin bekannt sind, laufen so ab: Das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet eine Person, weil diese etwa mit einer Gruppe in Zusammenhang gebracht wird, die im Verfassungsschutzbericht vorkommt. Dabei wird gezielt auch nach auffälligen Posts in den sozialen Medien gesucht, die dann an die Ausländerbehörden weitergegeben werden.
Ein breitflächiges Monitoring, also ein Abgrasen des Internets auf potenzielle Terrorverherrlichung scheint es demgegenüber eher nicht zu geben. Möglich ist aber, dass die Behörden durch Hinweise von Privatpersonen auf relevante Posts aufmerksam werden. Solche Fälle von Anschwärzung sind auch Graebsch bekannt.
Im nächsten Schritt entscheiden Mitarbeitende der Ausländerbehörden, ob die Posts, Likes oder Kommentare für einen Ausweisungsbescheid ausreichen. Das Problem: Diese Mitarbeitenden haben keine juristische Ausbildung und seien, wenn überhaupt, nur »rudimentär« rechtlich geschult, bemängelt Graebsch. »Noch viel gravierender ist, dass diese Menschen oft inhaltlich überhaupt keine Ahnung von den Themen haben, um die es hier geht«, etwa über Islamismus in Palästina und die Gruppen, die in diesem Bereich relevant sind. Zur Erinnerung: Für den Ausweisungsbescheid braucht es in Fällen wie diesem kein gerichtliches Urteil.
»Wir leben in einem Rechtsstaat«
Das Bundesinnenministerium argumentiert: Jeder in Deutschland könne vor Gericht gegen eine solche Entscheidung klagen – »schließlich leben wir in einem Rechtsstaat«, wie ein Sprecher vergangene Woche auf Nachfrage des »nd« sagte. Ganz so einfach ist es allerdings nicht.
Die Berliner Migrationsanwältin Myrsini Laaser kritisiert gegenüber »nd«: »Ja, jeder kann gegen die Entscheidung klagen, dazu braucht es auch keinen Anwalt. Aber die Bearbeitung dieser Fälle ist derart komplex auf tatsächlicher und rechtlicher Ebene, dass ich die Erfolgschancen ohne Rechtsanwalt für sehr gering halte«. Und das ist in der Regel mit hohen Kosten verbunden, so die Anwältin.
»Es gibt zwar die Möglichkeit Prozesskostenhilfe zu beantragen, diese wird aber nur selten gewährt.« Diese Verfahren seien jedoch für Anwälte weder mit der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühr und noch weniger mit Prozesskostenhilfe ansatzweise ordnungsgemäß zu bearbeiten, so Laaser – »sondern nur mit einer Vergütungsvereinbarung über eine höhere Gebühr, die sich wenige Leute leisten können«.
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