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Nahrungsergänzungsmittel für Bienen

Ein neues Präparat könnte die Insekten vor Gehirnschäden durch Neonikotinoide bewahren

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Neurobiologe Andre Josafat Riveros testet, welche Präparate die Gehirne von Bienen am besten schützen.
Der Neurobiologe Andre Josafat Riveros testet, welche Präparate die Gehirne von Bienen am besten schützen.

Insektizide verursachen ein Massensterben von Bienen, auch in Lateinamerika. Nun hat in Kolumbien die Universität del Rosario ein Präparat entwickelt, das die bestäubenden Insekten resistenter gegen die Gifte aus der Gruppe der Neonikotinoide macht. Die in London patentierte Formel ist für Imker ein Hoffnungsschimmer.

Der kolumbianische Imker Abdón Salazar zeigt sich angetan von den Forschungsergebnissen der Universidad Del Rosario, betont jedoch: »An unserem Ziel alle noch legal in Kolumbien angebotenen Neonikotinoide wie Imidacloprid zu verbieten, ändert das nichts.«

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Abdón Salazar ist so etwas wie das Gesicht der Menschen, die sich in Kolumbien für die Bienen und deren Schutz einsetzen. Er kämpft seit 2016 für ein Verbot aller hochtoxischen Insektizide, die für das Bienensterben verantwortlich sind. Studien zufolge sind Fipronil und Imidacloprid, die seit Mitte der 1990er Jahre weltweit eingesetzt werden, die beiden tödlichsten. Fipronil wird unter anderem unter dem Handelsnamen Regent, Imidacloprid unter Gaucho oder Admire auf dem lateinamerikanischen Markt angeboten. Die beiden Insektizide werden von BASF beziehungsweise Bayer Crop Science vertrieben und in Kolumbien auch produziert. In Europa wurden sie weitgehend verboten und der Einsatz streng reguliert. Mit deren schädigender Wirkung für Bienen beschäftigt sich der kolumbianische Neurobiologe Andrés Josafat Riveros. Der Professor lehrt und forscht an der Universidad del Rosario in Bogotá.

Bienen brauchen Orientierung, um den Weg von den Blüten zurück in den Bienenstock zu finden. »Genau die verlieren sie, wenn sie in Kontakt mit hochtoxischen Insektiziden kommen. Es sind vor allem die neurotoxischen Wirkstoffe Fipronil und Imidacloprid, die seit Mitte der 1990er Jahre weltweit eingesetzt werden, die negative Effekte auf die Bienenpopulation weltweit haben«, erklärt Andre Josafat Riveros.

Der 44-jährige Biologe beschäftigt sich seit rund zehn Jahren mit den Effekten dieser Insektizide auf das Hirn der Bienen. Diese seien verheerend: »Was die Insektizide bei den Bienen auslösen, gleicht einer Mischung aus Alzheimer und Parkinson. Motorische Probleme, Defizite bei der Informationsverarbeitung, aber auch bei der Orientierung sind direkte Folgen, die wir festgestellt haben«, so der Experte. Die Bienen finden den Weg zurück in ihren Bienenstock nicht mehr, verhungern und scheiden daher als Bestäuber für Obst, Gemüse und Co aus – mit langfristig fatalen Folgen für die Land- und Forstwirtschaft.

Rund 35 Prozent der weltweit vorkommenden Insekten sind laut einer 2023 erschienenen Studie der UN-Organisation für Ernährung (FAO) als gefährdet einzustufen – darunter auch die Bienen. Auf 235 bis 577 Milliarden US-Dollar taxiert die FAO den Wert der weltweiten Bestäubungsleistung durch Bienen, die vor allem durch die agroindustrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz bedroht sind. In Kolumbien fallen laut Regierungsangaben jedes Jahr rund 3000 Bienenstöcke mit jeweils 50 bis 80 000 Bienen dem Insektensterben zum Opfer. Eine Schätzung, die laut Riveros deutlich zu niedrig taxiert sein könnte. Er meint, dass bis zu einem Drittel der Bienenvölker pro Jahr sterben, etwa zehnmal so viele wie in der offiziellen Schätzung.

Riveros hat mit seinem Team nach rund fünfjähriger Forschung ein Präparat entwickelt, in dem er einen künftigen Meilenstein für den Schutz der Bienen sieht. »Unser Präparat reduziert die Orientierungslosigkeit der Bienen und anderer Bestäuber nach dem Kontakt mit Insektiziden«, so der Bienenforscher. Riveros hat die Forschungsergebnisse 2022 erstmals im »Journal of Experimental Biology« veröffentlicht. Gemeinsam mit seinem Team und den beiden beteiligten Universitäten von Atlanta in den USA und der kolumbianischen Javeriana Universität, an denen er zuvor forschte, wurde die Formel für das Präparat Ende Januar 2024 beim britischen Büro für Patente registriert.

Für Imker und Bienenschützer weltweit ist das eine positive Nachricht. In den Forschungsreihen zeigte sich, dass das Präparat das Gehirn der Bestäuber vor den negativen Effekten der Insektizide schützt. »Dabei haben wir nicht nur Erfolge bei den beiden genannten Insektiziden vorzuweisen, sondern auch gegen etliche auf dem Markt gängige Kombinationen«, erklärt Riveros. Die sind in Kolumbien weit verbreitet, denn die Bauern mixen oft mehrere Präparate zu einem hochtoxischen Cocktail, den sie »die Bombe« nennen.

Der Bienenforscher arbeitet mit seinem Team in ersten Freilandversuchen in der Nähe von Bogotá an der Verbesserung der Formel, die auf der positiven antioxidativen Wirkung der Flavonoide basiert. Zu denen gehört das Gros der Blütenfarbstoffe. Etliche davon sind in dem flüssigen Präparat, das sich problemlos mit Zuckerwasser oder auch mit Pollen mischen lässt und so den Bienen verabreicht wird, enthalten. Das Präparat, für das es noch keinen Handelsnamen gibt, ist ein klassisches Nahrungsergänzungsmittel. Laut Riveros ist es billig in der Herstellung und soll perspektivisch von einem oder mehreren Herstellern in Lizenz produziert werden.

Bis dahin wird es noch dauern. Für Imker wie Abdón Salazar und den Juristen und Umweltschützer Luis Domingo Gómez sind für die Beurteilung des Mittels die Ergebnisse der ersten Freilandstudien entscheidend. »Allerdings werden wir unsere Strategie nicht ändern und auf ein Mittel gegen die negativen Effekte von Insektiziden setzen, statt diese selbst zu verbieten«, meint Gómez.

Mit einer Klage hatte der Jurist in Kolumbien bereits Erfolg. Nach einer Übergangsphase von 12 Monaten ist Fipronil auf Weisung der Behörden seit dem Februar 2024 offiziell verboten. Nun visiert Gómez die Ächtung der immer noch legal in Kolumbien angebotenen Neonikotinoide wie Imidacloprid an. Parallel dazu verfolgen kritische Imker wie Abdón Salazar, die sich 2016 in der Interessensorganisation »Abejas Vivas«, zu Deutsch »lebende Bienen«, zusammengeschlossen haben, wie Bienenforscher Riveros vorankommt. »Wir begrüßen es, dass in Kolumbien überhaupt zum Bienensterben und zu Präparaten, die die Bienen stärken, geforscht wird«, sagt der 58-jährige Imker. Er hofft, dass das Präparat der Universidad del Rosario dazu beitragen kann, die Erträge der Imker zu steigern.

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