Springende Gene im Dienst der Forschung

Noch gezieltere Veränderungen am Genom sollen möglich werden

  • Isabelle Bartram
  • Lesedauer: 4 Min.
Mittels Brücken-RNA werden neue Abschnitte ins Erbgut eingefügt.
Mittels Brücken-RNA werden neue Abschnitte ins Erbgut eingefügt.

Vor über zehn Jahren wurde die »Genschere« Crispr-Cas entdeckt, für die 2020 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde. Im Gegensatz zu Methoden der »klassischen Gentechnik«, die an einer relativ willkürlichen Stelle des Genoms einer Zelle fremde DNA einführen, kann Crispr-Cas eine ganz bestimmte DNA-Sequenz gezielt verändern. Man spricht hier von »Genome Editing«. Obwohl diese Möglichkeit für Grundlagenforschung und Technologieentwicklung einen riesigen Vorteil bot, war sie fehleranfällig und das Einfügen von fremden DNA-Sequenzen herausfordernd.

Ende Juni wurde im Fachjournal »Nature« von zwei verschiedenen Forscher*innengruppen eine neue Methode vorgestellt, mit der es leichter sein soll, auch lange DNA-Sequenzen neu ins Genom einzufügen, bestehende Sequenzen zu drehen oder ganz herauszuschneiden. Ein Vorteil der neuen Methode soll zudem sein, dass sie, anders als beim herkömmlichen Genome Editing, nicht über Brüche in der DNA funktioniert. Bei Crispr-Cas sowie bei der noch älteren Talen- sowie der Zinkfinger-Methode werden diese von zelleigenen Reparaturmechanismen gekittet, wobei es zu ungewollten Veränderungen des Genoms kommen kann.

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Sich selbst ausschneidende Gene

In einem der Fachartikel beschreibt Patrick Hsu von der University of California Berkeley zusammen mit Kolleg*innen eine Technik zur Herstellung sogenannter programmierbarer Rekombinasen. Dabei handelt es sich um Enzyme, die die Neuanordnung von genetischem Material katalysieren.

Die von Hsu verwendeten Rekombinasen sind Teil aus Bakterien stammender Transposons – sogenannter springender Gene, die sich selber aus der DNA ausschneiden und an einer anderen Stelle wieder einzufügen können. Sie wurden in den 40er und 50er Jahren von der US-Amerikanerin Barbara McClintock in Maispflanzen entdeckt. Da ihre Entdeckung von der Wissenschaftscommunity nicht ernst genommen wurde, hörte sie 1953 auf, ihre Ergebnisse zu publizieren. Erst Jahrzehnte später wurde ihre Entdeckung von anderen bestätigt, und 1983 erhielt McClintock als bisher einzige Frau den Nobelpreis für Medizin.

Mit RNA Brücken bauen

Das in der aktuellen Studie verwendete Transposon IS110 bildet nach dem Sich-selbst-Ausschneiden aus der DNA eine »Bridge RNA«, die das Enzym zu seinem Wirkungsort leitet. Diese RNA-Brücke enthält einen Bereich, der die DNA, die eingefügt werden soll, erkennt. Ein zweiter Bereich bindet an die Stelle im Genom, in die das fremde Erbgut eingefügt werden soll.

Programmierbar ist die Rekombinase, weil RNA im Labor leicht verändert werden kann – so auch die Bridge RNA – und somit auch die Funktion und Zielsequenzen des Enzyms verändert werden können. Ein begleitender Artikel von der Arbeitsgruppe von Hiroshi Nishimasu von der Universität Tokio beleuchtet die Strukturen der Rekombinase mithilfe von Kryoelektronenmikroskopie und gibt einen detaillierten Überblick über den Wirkungsmechanismus. Die Forschenden zeigen, wie genau die DNA-Stränge der zelleigenen DNA und der fremden DNA, die eingefügt werden soll, geschnitten und wieder zusammengefügt werden.

Bisher nur Versuche mit Bakterien

Ein News-Artikel in »Nature« bezeichnet die Entdeckung als »aufregenden Fortschritt« und verweist auf die Möglichkeit, weitere programmierbare Funktionen zu finden, die in Transposons verborgen sind. Ob die neue Methode den Schritt aus der Grundlagenforschung schafft, ist aber noch unklar.

Für die Anwendung außerhalb von Bakterien bestehen zwei Hürden: Zum einen ist fraglich, ob das bakterielle System auf eukaryotische Zellen (also die von Pflanzen und Tieren) übertragbar ist. Zum anderen ist die Länge der Erkennungssequenz in der Bridge RNA nicht lang genug. Da menschliche und pflanzliche Genome sehr viel größer als bakterielle sind, gibt es hier rein statistisch mehrere mögliche Zielsequenzen. Die Forschung beschäftigt sich bereits damit, diese Erkennungssequenz zu verlängern, um die Gefahr ungewollter Veränderungen an anderen Orten im Genom zu minimieren.

Ungewollte Veränderungen, sogenannte Off-Target-Effekte, sind auch von Crispr-Cas bekannt, das zwar präziser als vorherige Gentechniken ist, aber nicht so perfekt, wie es manchmal dargestellt wird. Da sich das Genom von Lebewesen aus Kopien und Veränderungen von Abschnitten entwickelt hat, ähneln sich viele genetische Abschnitte und erschweren zielgerichtete Veränderungen.

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