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Nordafrika übernimmt gegen Flüchtlinge
Die libysche Übergangsregierung richtet einen Gipfel gegen Migration aus
Beim Anti-Migrationsgipfel in Libyens Hauptstadt Tripolis wollte Italiens Premier Giorgia Meloni nicht fehlen. Gleich mehrfach war sie nach Amtsantritt nach Nordafrika gereist. Sie gilt als treibende Kraft hinter den Migrationsabkommen zwischen der EU-Kommission und Ägypten, Tunesien, Libyen sowie Mauretanien.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren das rigorose Vorgehen der Sicherheitskräfte am südlichen Mittelmeer. In Libyen werden tausende Migranten in privaten und staatlichen Gefängnissen festgehalten, in Tunesien leben mehrere zehntausend Migranten und Flüchtlinge auf Olivenhainen nahe der Hafenstadt Sfax. Hilfsorganisationen haben nur begrenzten Zugang zu den Hungernden, die nach Europa wollen.
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Doch migrationsfeindliche Kreise feiern den Rückgang der in Italien ankommenden Flüchtlingsboote als Erfolg der neuen Allianzen Melonis. Genau 30 348 Menschen erreichten bis Anfang Juli Lampedusa, Sizilien und das italienische Festland – 61 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Auch wenn kein offizielles Abschlussdokument beschlossen wurde, markiert das Forum aus Sicht vieler Teilnehmer einen Wendepunkt in Sachen Migration im Mittelmeerraum und in der Sahel-Region. Die durch einen Militärputsch an die Macht gekommene Regierung Malis blieb wie andere einer zeitgleich in Berlin stattfindenden Sahel-Konferenz fern. In Tripolis diskutierten Delegationen aus Nordafrika und anderer Länder die Migrationsrouten nach Europa.
In den Vorjahren waren europäische Initiativen in Sachen Migration tonangebend; in Nordafrika gilt das Thema bisher als Tabu. Die Kritik europäischer Menschenrechtsorganisationen an den Menschenrechtsverletzungen und Rassismus gegenüber dunkelhäutigen Migranten aus Subsahara-Afrika wird häufig als Fortsetzung kolonialer Politik gewertet.
Aber Milizen und Sicherheitskräfte verdienen an dem Transport der Menschen gleich mehrfach mit: An Kontrollpunkten in der Sahara zahlen die Schmuggler an Armeesoldaten, die Passagiere zahlen Fischern, Lastwagen- und Taxifahrern horrende Preise. Zuletzt sorgten Berichte von aus Tunesien deportierten Migranten für Entsetzen. Die aus der Elfenbeinküste, Gambia oder dem Sudan kommenden Geflüchteten wurden nahe dem Grenzübergang Ras Jadir über Mittelsmänner an libysche Milizen übergeben. Aus bewachten Lagerhallen mussten sie Videos von ihren eigenen Folterungen an Verwandte in der Heimat schicken, um Lösegeld zu erpressen.
Doch der Umsatz der Migrations-Mafias schwindet wegen verstärkter Patrouillen im südlichen Mittelmeer. »Weniger Abfahrten sind aus Sicht europäischer rechter Parteien ein Erfolg«, sagt Tarek Lamloum, ein Aktivist aus Tripolis. »Doch für Libyen, Tunesien oder Städte wie Agadez im Niger bedeutet dies soziale Spannungen, die den Regierungen gefährlich werden können.«
»Weniger Abfahrten ist aus Sicht europäischer rechter Parteien ein Erfolg. Doch für Libyen, Tunesien oder Städte wie Agadez bedeutet dies soziale Spannungen.«
Tarek Lamloum Aktivist aus Tripolis
Die libyschen Gastgeber scheinen mithilfe des Themas Migration die von westlichen Diplomaten immer wieder geforderten Neuwahlen im Keim ersticken zu wollen. Obwohl sein Mandat Ende 2022 abgelaufen ist, hat sich Abdelhamid Dbaiba, Premier der international anerkannten Einheitsregierung, ebenso wie sein Konkurrent, der in Ostlibyen herrschende Feldmarschall Khalifa Haftar, zu einem Hauptverbündeten Europas gegen Migration gemausert.
In seiner Eröffnungsrede schlug Dbaiba am Mittwoch neue Töne an. Alle Länder entlang der Migrationsrouten nach Europa hätten eine moralische Verantwortung gegenüber den Menschen, »die auf ihrer gefährlichen Reise durch die Wüste und über das Meer ihr Leben aufs Spiel setzen«.
Intern sagen die Organisatoren ganz offen, das Thema Migration selber in die Hand nehmen zu wollen. »Seit dem Krieg im Sudan, der massiven Jugendarbeitslosigkeit zwischen Ägypten, Mali und Marokko und der seit Jahren anhaltenden Trockenheit gerät die Lage außer Kontrolle«, so ein Berater von Dbaiba gegenüber dem »nd«. Innenminister Emad Al-Trabelsi und Tunesiens Premier Ahmed Hachani brachten auf den Punkt, was das neue Selbstbewusstsein Nordafrikas beim Thema Migration für Europa bedeutet: »Wir benötigen Ressourcen und Geld«, sagte Hachani, »Städte wie Sfax sind jenseits ihrer Belastungsgrenze.«
Giorgia Meloni forderte in Tripolis, illegale Schmugglernetzwerke stärker zu bekämpfen. Dafür war der Konferenzort gut gewählt. Saßen ihr doch einige Milizenkommandeure gegenüber, die UN-Experten als Drahtzieher des Menschenhandels am südlichen Mittelmeer bezeichnen.
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