Sun Ra lebt

Für den legendären Erfinder des Afrofuturismus-Jazz gibt es ein neues Tribute-Album

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Ist beim Tribute für Sun Ra auch dabei: der Saxophonist Marshall Allen, mittlerweile 100 Jahre alt (hier auf dem Moers-Festival, 2003)
Ist beim Tribute für Sun Ra auch dabei: der Saxophonist Marshall Allen, mittlerweile 100 Jahre alt (hier auf dem Moers-Festival, 2003)

Dass die Musik des Sun Ra Arkestra auch über 30 Jahre nach dem Tod von Herman »Sonny« Poole Blount, der als Sun Ra bekannt wurde, noch so ausdauernd präsent ist, man hätte es damals nicht gedacht. Der sehr freie Jazz, den das Arkestra zu Lebzeiten seines Gründers fabrizierte, ist das eine. Blount hat sich darüber hinaus als einer der Begründer und Schlüsselfigur des Afrofuturismus in die Musikgeschichte eingeschrieben. Der Afrofutrismus übertrug Geschichten über Diskriminierung, rassistische Gewalt und die Geschichte der Sklaverei wie generell der Gegenwart der People of Color in den USA in ein Science-Fiction-Setting. In der Musik des Sun Ra Arkestra wurde all das in ein mythologisches System gefasst, in dem der Bandleader nicht aus unserer Welt, sondern vom Planeten Saturn auf die Erde gekommen sein soll.

Dementsprechend eigengesetzlich wurde musikalisch verfahren, gerade in den 60ern, als die Alben des Sun Ra Arkestra von den Beatniks und von Psychedelic-Fans gehört wurden. »When Sun Comes Out« und »Other Planes of There« sind damals wie heute sehr schwer hörbar. Später wurde es dann zugänglicher. Für den Erstkontakt eignet sich zum Beispiel das songlastige »Space is the Place«.

Beim Free Jazz entscheidet sich vieles an der Frage der Zugänglichkeit: Sind noch geläufige Strukturen in den Stücken spürbar oder löst sich tendenziell alles auf? Gibt es so etwas wie Songs oder dominieren Fiepen, Kratzen und Noise? Sun Ras Musik ist, was das angeht, schon ziemlich weit draußen im All unterwegs, um mal im Bild zu bleiben. Und wird vom Kronos Quartet gleichsam wieder auf die Erde geholt.

Plattenbau

Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau

Das Streicherensemble hat für das Tribute-Album »Outer Spaceways Incorporated – Kronos Quartet & Friends Meet Sun Ra«, das vierte in einer Reihe von Sun-Ra-Tributes, die auf dem Label der NGO Red Hot Org erschienen sind, eine ganze Reihe an Kollaborator*innen mobilisiert. Aufgenommen wurden Sun-Ra-Stücke und eigene Kompositionen, die sich auf den Afrofuturismus der 60er und 70er Jahre beziehen. Die Streicher wirken strukturbildend, gerade die erste Hälfte des Albums ist für alle interessierten Ohren sehr offen. Das mit Jlin aufgenommene »Maji« verbindet polyrhythmische Percussion-Sample-Schichtungen und Streicherschläge. »Daddy’s Gonna Tell You No Lie« ist ein geradezu melancholisches Stück Lounge-Jazz. Laurie Anderson hat mit »Images Suite (Images / Horoscope / Ancient Aiethopia / Interstellar Low Ways)« einen Text über Sun Ra eingesprochen, dazu spielen die Geigen und das inzwischen 100-jährige Arkestra-Urgestein Marshall Allen eine Suite.

In der zweiten Hälfte des Album verschwindet der Jazz-Fokus dann graduell. Armand Hammer rappt über nebenher stolpernde Lo-Fi-Trash-Beats des Chicago-Footwork-Künstlers RP Boo (»Blood Running High«), 700 Bliss und DJ Haram produzieren zusammen mit dem Kronos Quartet eine immer wieder wegdiffundierende Soundfläche, über die Moor Mother eine Meditation über die Lehren Sun Ras rezitiert. Und »Love Is Outer Space« überträgt das sich seiner selbst bewusste Chaos der Konzerte des Arkestra in eine Avant-Rock-Cut-up-Ästhetik. Um mal sechs der 13 Stücke aufzuführen.

»Outer Spaceways Incorporated« ist nicht so zermürbend, wie es die Musik von Sun Ra ehrlicherweise immer wieder war. Aber das Album ist von einem ähnlichen musikalischen Geist beseelt. Fordernd, mit Spaß an unwahrscheinlichen Sounds und sich fröhlich auflösenden Strukturen.

V. A.: »Outer Spaceways Incorporated – Kronos Quartet & Friends Meet Sun Ra« (Red Hot Org)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.