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Sun Ra lebt
Für den legendären Erfinder des Afrofuturismus-Jazz gibt es ein neues Tribute-Album
Dass die Musik des Sun Ra Arkestra auch über 30 Jahre nach dem Tod von Herman »Sonny« Poole Blount, der als Sun Ra bekannt wurde, noch so ausdauernd präsent ist, man hätte es damals nicht gedacht. Der sehr freie Jazz, den das Arkestra zu Lebzeiten seines Gründers fabrizierte, ist das eine. Blount hat sich darüber hinaus als einer der Begründer und Schlüsselfigur des Afrofuturismus in die Musikgeschichte eingeschrieben. Der Afrofutrismus übertrug Geschichten über Diskriminierung, rassistische Gewalt und die Geschichte der Sklaverei wie generell der Gegenwart der People of Color in den USA in ein Science-Fiction-Setting. In der Musik des Sun Ra Arkestra wurde all das in ein mythologisches System gefasst, in dem der Bandleader nicht aus unserer Welt, sondern vom Planeten Saturn auf die Erde gekommen sein soll.
Dementsprechend eigengesetzlich wurde musikalisch verfahren, gerade in den 60ern, als die Alben des Sun Ra Arkestra von den Beatniks und von Psychedelic-Fans gehört wurden. »When Sun Comes Out« und »Other Planes of There« sind damals wie heute sehr schwer hörbar. Später wurde es dann zugänglicher. Für den Erstkontakt eignet sich zum Beispiel das songlastige »Space is the Place«.
Beim Free Jazz entscheidet sich vieles an der Frage der Zugänglichkeit: Sind noch geläufige Strukturen in den Stücken spürbar oder löst sich tendenziell alles auf? Gibt es so etwas wie Songs oder dominieren Fiepen, Kratzen und Noise? Sun Ras Musik ist, was das angeht, schon ziemlich weit draußen im All unterwegs, um mal im Bild zu bleiben. Und wird vom Kronos Quartet gleichsam wieder auf die Erde geholt.
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasnd.de/plattenbau
Das Streicherensemble hat für das Tribute-Album »Outer Spaceways Incorporated – Kronos Quartet & Friends Meet Sun Ra«, das vierte in einer Reihe von Sun-Ra-Tributes, die auf dem Label der NGO Red Hot Org erschienen sind, eine ganze Reihe an Kollaborator*innen mobilisiert. Aufgenommen wurden Sun-Ra-Stücke und eigene Kompositionen, die sich auf den Afrofuturismus der 60er und 70er Jahre beziehen. Die Streicher wirken strukturbildend, gerade die erste Hälfte des Albums ist für alle interessierten Ohren sehr offen. Das mit Jlin aufgenommene »Maji« verbindet polyrhythmische Percussion-Sample-Schichtungen und Streicherschläge. »Daddy’s Gonna Tell You No Lie« ist ein geradezu melancholisches Stück Lounge-Jazz. Laurie Anderson hat mit »Images Suite (Images / Horoscope / Ancient Aiethopia / Interstellar Low Ways)« einen Text über Sun Ra eingesprochen, dazu spielen die Geigen und das inzwischen 100-jährige Arkestra-Urgestein Marshall Allen eine Suite.
In der zweiten Hälfte des Album verschwindet der Jazz-Fokus dann graduell. Armand Hammer rappt über nebenher stolpernde Lo-Fi-Trash-Beats des Chicago-Footwork-Künstlers RP Boo (»Blood Running High«), 700 Bliss und DJ Haram produzieren zusammen mit dem Kronos Quartet eine immer wieder wegdiffundierende Soundfläche, über die Moor Mother eine Meditation über die Lehren Sun Ras rezitiert. Und »Love Is Outer Space« überträgt das sich seiner selbst bewusste Chaos der Konzerte des Arkestra in eine Avant-Rock-Cut-up-Ästhetik. Um mal sechs der 13 Stücke aufzuführen.
»Outer Spaceways Incorporated« ist nicht so zermürbend, wie es die Musik von Sun Ra ehrlicherweise immer wieder war. Aber das Album ist von einem ähnlichen musikalischen Geist beseelt. Fordernd, mit Spaß an unwahrscheinlichen Sounds und sich fröhlich auflösenden Strukturen.
V. A.: »Outer Spaceways Incorporated – Kronos Quartet & Friends Meet Sun Ra« (Red Hot Org)
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