- Wirtschaft und Umwelt
- Treibstoff HVO
Des Biodiesels angeblich reine Klimaseele
Lobbyismus-Verdacht wirft Schatten auf neuen Treibstoff HVO
Bilder sagen mehr als tausend Worte. Daran dachten sicher die Leute, die Ende Mai zur Freigabe sogenannter Dieselreinkraftstoffe für die passenden Symbolfotos sorgten. Auf vielen Illustrationen sind zwei bauchige Flaschen zu sehen: Eine ist mit gelbem, fossilem Diesel gefüllt, die andere mit einer klaren Flüssigkeit, dem neuen HVO-100-Diesel. Weil HVO (Abkürzung für: hydrotreated vegetable oil) aus Altspeiseölen oder Fettresten hergestellt werden kann, wurde das Foto mit der Schlagzeile garniert: »Tanken mit Frittenfett«.
Wirklich neu ist der »Bio«-Diesel aus Speiseöl und -fett nicht. Seit Jahren kann HVO herkömmlichem Diesel beigemischt werden – bis zu einem Anteil von 26 Prozent. Real lag der Anteil im Schnitt aber nur bei zwei Prozent. Neu ist seit Mai lediglich, dass HVO 100 auch in Reinform getankt werden kann.
Es dauerte keinen Monat, bis das Marketing-Bild vom klaren und »reinen« Biodiesel erschüttert wurde. Das Emissions-Kontroll-Institut der Deutschen Umwelthilfe hatte den Schadstoffausstoß eines Diesel-Pkw mit der gängigen Euro-5-Abgasnorm gemessen, der HVO 100 verbrannte. Das Resultat: Die Stickoxid-Emissionen waren 20 Prozent höher als die von konventionellem Diesel, der Kraftstoff ist also noch gesundheitsschädlicher.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Für besonders problematisch hält Institutsleiter Axel Friedrich: Mit HVO 100 steigt auch der Ausstoß ultrafeiner Partikel an. »Diese sind besonders schädlich für die Gesundheit, weil sie tief in den Körper bis in die Blutbahnen eindringen«, erklärte der Chemiker.
Dagegen verweist der Autoclub ADAC auf eigene Messungen, laut denen die geltenden Grenzwerte sowohl bei Rußpartikeln als auch bei Stickoxiden eingehalten werden – sie würden sogar um bis zu 97 beziehungsweise 78 Prozent unterschritten. Im Vergleich zum konventionellen Diesel seien dies lediglich leicht erhöhte Werte. Mit ihrer Kritik zerrede die Umwelthilfe die Chancen für einen klimafreundlichen Verkehr, kritisiert der Autoclub.
Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lobte: »Aus Abfall- und Reststoffen produziertes HVO kann die CO2-Emissionen gegenüber fossilem Diesel um bis zu 90 Prozent reduzieren.« Er verwies auf Berechnungen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) von 2022, wonach das CO2-Minus von HVO gegenüber fossilem Diesel bei etwa 87 Prozent liegen soll. Die Umwelthilfe klagte jetzt auf Einsicht in die entsprechenden Dokumente.
»Auch mit Laboranalysen kann nicht mehr festgestellt werden, ob zum Beispiel Palmöl oder altes Frittierfett als Rohstoff verwendet wurde.«
Lukas Höhne Umweltbundesamt
Im Zusammenhang mit der Markteinführung des neuen Biodiesels steht Wissings Haus jetzt allerdings unter dem Verdacht eines unzulässigen Lobbyismus. Das ZDF‑Magazin »Frontal« deckte vor einigen Tagen auf, dass der Münchner Autoclub »Mobil in Deutschland« in einer internen Präsentation seiner Kampagne »HVO100 goes Germany« Vertretern aus Industrie und Verbänden die Möglichkeit anbot, »sich bei einem exklusiven VIP-Meeting mit Minister oder Staatssekretär vorzustellen und auszutauschen«.
Die CO2-Angaben sind irreführend, denn in Deutschland gibt es zudem eine Obergrenze für die Anrechenbarkeit von abfallbasierten Biokraftstoffen. Diese liegt seit 2022 bei maximal 1,9 Prozentpunkten der jeweils geltenden Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote). Die Obergrenze soll auch verhindern, dass eine künstliche Nachfrage nach Frittenfett – oder was dafür gehalten wird – erzeugt wird.
Das Problem ist nicht aus der Luft gegriffen. Laut der BLE sind die 2022 in Deutschland eingesetzten HVO-Mengen zwar »hauptsächlich« aus Abfällen und Reststoffen hergestellt worden, für etwa ein Fünftel wurde aber auch Palmöl genutzt. Dieses darf seit 2023 generell nicht mehr zur Erfüllung der THG-Quote angerechnet werden, da »der Anbau von Ölpalmen einer der Haupttreiber für die Rodung von Regenwald ist«, wie es das Umweltbundesamt (UBA) ausdrückt. Dieses vermutet, dass daher der Einsatz von Altspeiseölen in den HVO weiter zunehmen wird. Zugleich verweist das UBA auf Angaben der BLE, wonach mehr als 99 Prozent der Ausgangsstoffe des für die TGH-Quote angerechneten HVO-Kraftstoffs nicht aus Deutschland stammen.
Anders gesagt: Der reine Biodiesel HVO ist offenbar ein nahezu reines Importprodukt – mit dem entsprechenden Transportaufwand. Der verschlechtert die CO2-Bilanz, geht aber nicht in die nationale Klimarechnung ein.
Auch lässt sich das in Deutschland geltende Einsatzverbot für Palmöl nur schwer kontrollieren. Wo die Ausgangsstoffe für HVO wirklich herkommen und ob der Kraftstoff tatsächlich nur aus Altspeiseöl hergestellt wird, lässt sich nicht zweifelsfrei nachverfolgen. »Auch mit Laboranalysen kann nicht mehr festgestellt werden, ob zum Beispiel Palmöl oder altes Frittierfett als Rohstoff verwendet wurde«, benennt UBA-Mitarbeiter Lukas Höhne das Nachweisproblem.
In jüngster Zeit sind sogar laut Marktbeobachtern die international gehandelten Mengen an Biokraftstoffen aus Altspeiseölen stark gestiegen. Entsprechend wachsen die Zweifel an der Herkunft des angeblichen Frittenfett-Diesels. In der Biokraftstoff-Branche halten sich in dem Zusammenhang hartnäckig Spekulationen, dass ursprünglich in Indonesien aus Palmöl hergestellter Biodiesel durch in China ansässige Lieferanten an europäische Importformate angepasst wird. Die Umdeklarierung soll sich dabei allerdings vor allem auf sogenannte fortschrittliche Biokraftstoffe richten, die offiziell aus Quellen wie Biomasse in Siedlungsabfällen, Algen, Stroh oder zellulosehaltigen Materialien stammen. Die »Fortschrittlichen« haben gegenüber dem Frittenfett-Diesel den klimapolitischen Vorteil, dass die erzielte CO2-Einsparung unter bestimmten Umständen doppelt auf die THG-Quote angerechnet werden kann.
Die deutsche Biokraftstoffindustrie fordert denn auch seit Monaten, dass die entsprechenden Schiffe sehr regelmäßig und engmaschig kontrolliert werden. Auch die Zertifizierung dieser Biokraftstoffe und die Kontrolle der Letztlieferanten sowie der Nachhaltigkeitsnachweise seien zu verbessern, so der Branchenverband VDB.
Hinter all den Dieselreinkraftstoffen können am Ende doch ziemlich schmutzige Geschäfte auch mit fragwürdigen Lobbyisten stecken. Um den reinen Klimaschutz geht es da nicht.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!