Atomkriegsfilm im Aufwind

Der Weltraum-Thriller »I.S.S.« erzählt davon, wie Astronauten einen Atomkrieg auf der Erde erleben und aufeinander losgehen – und liegt damit im Trend

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch Kollegen oder schon Feinde? Drei Crewmitglieder in »I.S.S.«
Noch Kollegen oder schon Feinde? Drei Crewmitglieder in »I.S.S.«

Gerade mal gut 500 Menschen überhaupt haben bisher diesen Ausblick gehabt«, sagt der russische Kosmonaut Alexey Pulov (Pilou Asbæk) zur amerikanischen Astronautin Kira Foster (Ariana DeBose), als alle Crewmitglieder zusammen staunend in der Kuppel der Raumstation ISS stehen. Sie schauen in Richtung Erde und freuen sich über die Schönheit des »Blauen Planeten«. Nur ein paar Stunden später entdecken die sechs Besatzungsmitglieder der internationalen Raumstation in dem Film »I.S.S.«, wie helle Bitze über die Erdoberfläche zucken. Es blitzt immer mehr, bis ein sich ausweitender, aus dem Weltraum sichtbarer Flächenbrand und ein Funkspruch Gewissheit bringen: Auf der Erde wütet ein Atomkrieg zwischen den USA und Russland. Die drei russischen Kosmonauten erhalten ebenso wie ihre amerikanischen Kolleginnen umgehend den Auftrag, die ISS in ihre Gewalt zu bringen – koste es, was es wolle. Das 90-minütige psychologische Kammerspiel zeigt daraufhin, wie die Crewmitglieder immer misstrauischer werden, bald einander wie Raubtiere umkreisen und sich gegenseitig sabotieren, bis die mörderische Logik des Krieges auf der Erde auch das Geschehen auf der Raumstation bestimmt. Eskalierende Gewalt inklusive.

Die ISS boomt gerade im Film und wird gerne als Schauplatz für das derzeit so beliebte Science-Fiction-Subgenre genutzt, das relativ realistisch die Raumfahrt in naher Zukunft inszeniert. Drei Serien, die auf der ISS spielen, sind schon in diesem Jahr herausgekommen: von der gut gemachten Apple TV+-Serie »Constellation« mit einem Schuss Horror über »Infiniti« auf Arte bis hin zur enttäuschend platten Netflix-Serie »Das Signal«. 2022 wurde auf der ISS sogar der russische Spielfilm »The Challenge« gedreht.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

In »I.S.S.« wird die Enge der Raumstation ästhetisch überzeugend inszeniert, wenn sich die Kamera mitunter ihren Weg regelrecht unter der Achselhöhle der Schauspieler hindurchsucht. Erst herrscht dabei auf der ISS eine fast heimelige Atmosphäre. Die Raumstation erinnert an eine unaufgeräumte Wohngemeinschaft: Fortwährend läuft Rockmusik, abends räsonieren die Crewmitglieder beim gemeinsamen Schnaps über das Ende des Staatssozialismus und schmettern beschwipst »Winds of Change« von den Scorpions. Aber bald, nach Ausbruch des Krieges auf der Erde, wird dieser Ort zum reinen Albtraum. Dabei zeigt der Film, wie schwer es einzelnen Crewmitgliedern fällt, ihre Skrupel zu überwinden – bis die gerade noch gefeierte Gemeinschaftlichkeit von Befehlsgehorsam, Paranoia und blanker Gewalt außer Kraft gesetzt wird.

»I.S.S.« wurde noch vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine gedreht und produziert. Durch die politischen Entwicklungen der letzten zwei Jahre samt einem erneuten Wettrüsten hat der Film brisante Aktualität erhalten. Erst im Juni 2024 meldete das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri, dass es derzeit auf der Erde so viele einsatzbereite atomare Sprengköpfe gibt wie nie zuvor. Wobei der nukleare Krieg auf der Erde im Film gar nicht zu sehen ist. Vielmehr wissen die Crewmitglieder nicht genau, was wirklich dort passiert. Lediglich beim Blick aus der Luke auf den rot lodernden Planeten wird ihnen klar, dass möglicherweise das Ende der Menschheit naht. Diese bildliche Inszenierung erinnert ein wenig an George Clooneys Film »The Midnight Sky« (2020), in dem die Erde vom Weltraum aus wie eine zerstörte, schwärende Wunde aussieht. Aus dem wunderschönen, faszinierenden Blick auf die »Blaue Erde«, wie sie Juri Gagarin 1961 als erster Mensch im Weltraum bezeichnete und damit einen heute noch gängigen Begriff prägte, wird ein höllischer Albtraum. »I.S.S.« reiht sich damit in die unzähligen filmischen Darstellungen eines drohenden Weltuntergangs ein, von denen in letzter Zeit beunruhigend viele einen Atomkrieg inszenieren.

Handwerklich ist der Film über weite Strecken ein durchaus gut gemachter Thriller, der die Raumstation und das Faszinosum Erde vom Weltraum aus bildmächtig umsetzt. Überdies lotet der Film kleinteilig die psychologischen Abgründe in dieser Extremsituation aus und inszeniert sie als spannungsgeladenes Drama. Nur driftet die Erzählung am Ende doch allzu sehr ins Melodramatische ab und mündet, wie in Hollywood üblich, in einen Hobbes’schen Kampf aller gegen alle. Das ist dann zwar etwas platt, der Film trifft aber dennoch einen Nerv – weil er den Krieg nicht als etwas Historisches, sondern als eine aktuell drohende Gefahr in Szene setzt. Das ist unangenehm und dürfte viele Zuschauer mit einem eigenartig verstörenden Gefühl zurücklassen. Nicht unwahrscheinlich, dass das Genre des Atomkriegsfilms in den nächsten Jahren noch weiteren Aufwind bekommen wird. Schon Christopher Nolans Historienfilm »Oppenheimer«, der die Geschichte des »Vaters der Atombombe« J. Robert Oppenheimer erzählt, war im letzten Jahr ja ein Kassenschlager.

»I.S.S.«, USA 2023. Regie: Gabriela Cowperthwaite; Buch: Nick Shafir. Mit: Chris Messina, Ariana DeBose, Pilou Asbæk, John Gallagher Jr., Costa Ronin, Masha Mashkova. 96 Min. Jetzt im Kino.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.