Kampf um die Vorherrschaft

Die religiöse Rechte hat sich ins Zentrum der Macht vorgearbeitet

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 3 Min.
Washington, Anfang des Jahres: Protest gegen Abtreibungen
Washington, Anfang des Jahres: Protest gegen Abtreibungen

Die Zahl der US-Amerikaner*innen, die sich als Christen bezeichnen, hat in den letzten drei Jahrzehnten drastisch abgenommen – von 90 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf 63 Prozent heute. Parallel dazu hat sich eine christliche Rechte ins Zentrum der politischen Macht vorgearbeitet. Christlicher Nationalismus gehört in der Grand Old Party zum guten Ton.

Kreuze als Ohrschmuck von Rednerinnen, T-Shirts mit »Jesus is my saviour, Trump is my president« (Jesus ist mein Retter, Trump ist mein Präsident), »Jesus saves« (Jesus errettet) in rot-weiß-blau auf Bildschirmen – auf dem Republikanerparteitag in Milwaukee ist christliche Symbolik omnipräsent. Jeder und jede der Dutzenden von Redner*innen bemüht religiöse Rhetorik oder bezieht sich direkt auf die Bibel. Schon beim Sturm auf das Kapitolsgebäude am 6. Januar 2021 war deutlich geworden, dass sich religiöse Rechte und Rechtsextreme als Bündnispartner verstehen. Männer mit »Jesus Saves«-Mützen feuerten uniformierte Neonazis beim Einschlagen der Fensterscheiben des Parlaments an. Umgekehrt waren »Proud Boys« davor innig in Gebetsrunden vertieft.

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Christlicher Nationalismus ist die Vorstellung, dass die USA eine christliche Nation seien, und dass die Gesetze des Landes auf christlichen »Werten« beruhen sollten. Neu ist diese Haltung nicht. Seit Jahrzehnten herrscht sie als Leitgedanke vor in weißen, evangelikalen Kreisen. Als evangelikal eingestellt gelten etwa 20 Prozent der US-Wahlbevölkerung. Sie stellen den größten konservativ beziehungsweise rechtsextrem wählenden Block dar. Als Trump 2016 mit ihrer Hilfe zum Präsidenten gewählt wurde, verbreitete sich der christliche Nationalismus weiter innerhalb der Partei. Heute gehört die Verbeugung davor, wie auf dem Parteitag zu beobachten, zum guten Ton.

Bis dahin galt christlicher Nationalismus sowohl als unscharfer Begriff wie auch als Randerscheinung in der rechts-konservativen Politik. Als Marginalie kann er aber heute selbst gesamtgesellschaftlich nicht mehr gesehen werden. Laut einer Umfrage des in Washington beheimateten Public Religion Research Institute vom Februar dieses Jahres bezeichnen sich zehn Prozent der Wahlbevölkerung als Anhänger des christlichen Nationalismus. 19 Prozent sympathisieren damit. Religionswissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass die Vorstellung vom »christlichen Amerika« seit jeher weit verbreitet war, aber erst seit den 1970er Jahren mit dem Aufstieg der christlichen Rechten als Reaktion »auf die 1968er« politisch Fuß fasste. Mit der demographischen Verringerung der Zahl von Weißen und Christen im Land geht das Bedürfnis nach dem Festhalten an kultureller und politischer Macht einher. Die Hälfte der Anhänger dieses christlichen Nationalismus und vier von zehn seiner Sympathisanten halten der Umfrage zufolge einen autoritären Führer für notwendig. Er soll die alte Ordnung wieder herstellen.

Trump hielt in seiner Amtszeit 2016 bis 2020 das Versprechen, das er der christlichen Rechten für den Fall einer Wahlunterstützung und eines Wahlsiegs gegeben hatte: Er sorgte im Obersten Gericht mit der Ernennung von drei ultrakonservativen Richtern für eine entsprechende Mehrheit, die das Hauptanliegen der christlichen Nationalisten, die Abschaffung des bundesweiten Abtreibungsrechts, umsetzten.

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