- Politik
- US-Wahlkampf
Kampf um die Vorherrschaft
Die religiöse Rechte hat sich ins Zentrum der Macht vorgearbeitet
Die Zahl der US-Amerikaner*innen, die sich als Christen bezeichnen, hat in den letzten drei Jahrzehnten drastisch abgenommen – von 90 Prozent Mitte der 1990er Jahre auf 63 Prozent heute. Parallel dazu hat sich eine christliche Rechte ins Zentrum der politischen Macht vorgearbeitet. Christlicher Nationalismus gehört in der Grand Old Party zum guten Ton.
Kreuze als Ohrschmuck von Rednerinnen, T-Shirts mit »Jesus is my saviour, Trump is my president« (Jesus ist mein Retter, Trump ist mein Präsident), »Jesus saves« (Jesus errettet) in rot-weiß-blau auf Bildschirmen – auf dem Republikanerparteitag in Milwaukee ist christliche Symbolik omnipräsent. Jeder und jede der Dutzenden von Redner*innen bemüht religiöse Rhetorik oder bezieht sich direkt auf die Bibel. Schon beim Sturm auf das Kapitolsgebäude am 6. Januar 2021 war deutlich geworden, dass sich religiöse Rechte und Rechtsextreme als Bündnispartner verstehen. Männer mit »Jesus Saves«-Mützen feuerten uniformierte Neonazis beim Einschlagen der Fensterscheiben des Parlaments an. Umgekehrt waren »Proud Boys« davor innig in Gebetsrunden vertieft.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Christlicher Nationalismus ist die Vorstellung, dass die USA eine christliche Nation seien, und dass die Gesetze des Landes auf christlichen »Werten« beruhen sollten. Neu ist diese Haltung nicht. Seit Jahrzehnten herrscht sie als Leitgedanke vor in weißen, evangelikalen Kreisen. Als evangelikal eingestellt gelten etwa 20 Prozent der US-Wahlbevölkerung. Sie stellen den größten konservativ beziehungsweise rechtsextrem wählenden Block dar. Als Trump 2016 mit ihrer Hilfe zum Präsidenten gewählt wurde, verbreitete sich der christliche Nationalismus weiter innerhalb der Partei. Heute gehört die Verbeugung davor, wie auf dem Parteitag zu beobachten, zum guten Ton.
Bis dahin galt christlicher Nationalismus sowohl als unscharfer Begriff wie auch als Randerscheinung in der rechts-konservativen Politik. Als Marginalie kann er aber heute selbst gesamtgesellschaftlich nicht mehr gesehen werden. Laut einer Umfrage des in Washington beheimateten Public Religion Research Institute vom Februar dieses Jahres bezeichnen sich zehn Prozent der Wahlbevölkerung als Anhänger des christlichen Nationalismus. 19 Prozent sympathisieren damit. Religionswissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass die Vorstellung vom »christlichen Amerika« seit jeher weit verbreitet war, aber erst seit den 1970er Jahren mit dem Aufstieg der christlichen Rechten als Reaktion »auf die 1968er« politisch Fuß fasste. Mit der demographischen Verringerung der Zahl von Weißen und Christen im Land geht das Bedürfnis nach dem Festhalten an kultureller und politischer Macht einher. Die Hälfte der Anhänger dieses christlichen Nationalismus und vier von zehn seiner Sympathisanten halten der Umfrage zufolge einen autoritären Führer für notwendig. Er soll die alte Ordnung wieder herstellen.
Trump hielt in seiner Amtszeit 2016 bis 2020 das Versprechen, das er der christlichen Rechten für den Fall einer Wahlunterstützung und eines Wahlsiegs gegeben hatte: Er sorgte im Obersten Gericht mit der Ernennung von drei ultrakonservativen Richtern für eine entsprechende Mehrheit, die das Hauptanliegen der christlichen Nationalisten, die Abschaffung des bundesweiten Abtreibungsrechts, umsetzten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.