Schleichende Machtballung in den USA

Über Tendenzen in der US-Demokratie und in der Republikanischen Partei

  • Julian Alexander Hitschler
  • Lesedauer: 6 Min.
Nach dem Anschlag auf ihn mit Verband am Ohr: US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump.
Nach dem Anschlag auf ihn mit Verband am Ohr: US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump.

Wochen wie diese hat die US-Politik seit langem nicht mehr erlebt: Nach der für den Amtsinhaber Joe Biden desaströsen TV-Debatte mehren sich die Anzeichen, dass ein Rückzug des Präsidenten aus dem Wahlkampf kurz bevorstehen könnte. Doch die Debatte um Bidens Gesundheitszustand war zwischenzeitlich fast verstummt: Das Attentat auf Ex-Präsident Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania am 13. Juli stellte eine weitere Zäsur in diesem plötzlich sehr ereignisreichen Wahlkampf dar. Mordanschläge auf Spitzenpolitiker sind in der Geschichte der USA nichts Neues, doch die Attentate, die das öffentliche Gedächtnis prägen – etwa auf Martin Luther King Jr. oder die Kennedy-Brüder –, liegen Jahrzehnte zurück.

Nun scheint diese Form der politischen Gewalt im Amerika des 21. Jahrhunderts angekommen zu sein, auch wenn Donald Trump dem Tod in Butler, Pennsylvania, um wenige Zentimeter entging. Viele Fragen im Zusammenhang mit der Tat sind bisher ungeklärt. Dennoch drängt sich der Verdacht auf, dass sich das Sicherheitspersonal schwere Fehler geleistet hat. Der Schütze blieb offenbar minutenlang vollkommen ungestört, möglicherweise wurden die Beamten des Secret Service sogar auf ihn aufmerksam gemacht, bevor Trump die Bühne betrat. Man darf davon ausgehen, dass die Tat ein politisches und juristisches Nachspiel haben wird.

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In jedem Fall untermauert sie Trumps Nimbus und sein Narrativ als Retter der Nation und Kämpfer gegen die Interessen der Eliten, der sich mächtige Feinde gemacht hat – selbst dann, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass der Schütze nicht aus politischen Motiven gehandelt hat. Sollte Trump im November gewählt werden, wird der Attentatsversuch ihm weitere Legitimation verschaffen, den Staatsapparat zu säubern und sich als Anwalt der kleinen Leute gegen den »tiefen Staat« aufzuspielen.

Dazu passt auch seine Entscheidung, dass J.D. Vance Vizepräsidentschaftskandidat wird. Erst kurz vor Beginn des Parteitags der Republikaner in Mikwaukee, Wisconsin, hatte Trump dies angekündigt. Vance ist Senator für Ohio, Kulturkämpfer, strammer Antifeminist und Zögling des rechten Milliardärs Peter Thiel. Politisch steht er für eine Art sozialchauvinistisches Rebranding der Republikaner: Weg von Neoliberalismus und der Ideologie des schlanken Staats, hin zu einer Sozialpolitik, die sich an den Interessen »des amerikanisches Arbeiters« orientiert. Es ist beispielsweise für eine Beschränkung der Einwanderung und für den Erhalt des bestehenden Sozialsystems.

Zu diesen politischen Positionen ist Vance erst über Umwege gelangt. Der Senator stammt aus einfachen Verhältnissen, aus den verarmten Appalachen, und wuchs aufgrund der Drogensucht seiner Mutter bei seinen Großeltern auf. Als Soldat diente er im Pressekorps der Marineinfanterie, nach dem Jurastudium arbeitete er sich unter anderem zum Mitarbeiter von Thiels Investmentfonds hoch. Nach Trumps Wahlsieg 2016 wurde er durch sein Buch »Hillbilly-Elegie« zu einer Art Arbeiter-Flüsterer des liberalen Amerikas, der zur Erklärung von Trumps Beliebtheit in den abgehängten Gebieten des Landes herangezogen wurde. Vance spart in seinem Buch nicht mit Kritik an der Klasse, aus der er stammt, seine Erklärung für die Armut des ländlichen Amerikas orientiert sich in erster Linie an einer Erzählung des kulturellen Verfalls.

Auch gehörte Vance anfangs zu den schärfsten Kritikern von Trump innerhalb des konservativen Lagers, warnte vor dessen autoritärem Größenwahn und geißelte seinen vulgären Populismus als Verrat an klassischen amerikanischen Werten. Doch noch vor seinem eigenen Einsteig in der Parteipolitik wechselte er die Seiten und wurde vom Warner zum Bekehrten. Wohl auch deshalb, weil ihm klar wurde, dass er es sonst innerhalb der Republikaner nicht mehr weit bringen würde. Vom kulturellen Ankläger der ländlichen, mehrheitlich weißen Arbeiterklasse wandelte er sich zu deren politischem Verfechter.

Zum neuen Image der Republikaner sollte auch der Chef der Logistikgewerkschaft Teamsters, Sean O’Brien (nicht zu verwechseln mit Shawn Fain, Chef der Automobilgewerkschaft UAW) mit seinem Auftritt auf dem Parteitag sorgen. O’Brien geißelte die Großunternehmen und Eliten, die die Interessen der Arbeiterklasse mit Füßen getreten hätten – mit parteiübergreifender Unterstützung. »Als Teamsters sind wir heute hier, um zu zeigen, dass wir von niemandem abhängig sind, auch keiner Partei«, so O’Brien. Während die meisten Gewerkschaftsfunktionäre in den USA den Demokraten die Treue halten, verfolgt O’Brien damit mindestens eine Strategie der parteipolitischen Äquidistanz, indem er sich dem neuen Nationalkorporatismus der Republikaner andient. US-Arbeiter haben keine Partei, aber sehr wohl ein Vaterland, so die intendierte Botschaft.

Die US-Demokratie priorisiert seit ihrem Bestehen die Interessen von Eliten.

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Die Republikanische Partei unter Trump mag faschistoide Züge haben. Um den Ex-Präsidenten hat sich eine Art Führerkult entwickelt. Nachdem Trumps Ohr beim Attentatsversuch verletzt wurden, traten einige Delegierte mit Ohrverband auf. Doch die Partei insgesamt als faschistisch aufzufassen, schießt übers Ziel hinaus. Die Pläne republikanischer Thinktanks wie der Heritage Foundation, aber auch Trumps eigene Aussage, die auf eine Delegitimation demokratischer Verfahren und der Justiz abzielen, lassen folgenden Schluss zu: Die Republikaner, die sich als Partei Trump inzwischen praktisch vollständig untergeordnet haben, wollen so etwas wie eine »gelenkte Demokratie« nach ungarischem oder russischem Vorbild etablieren – vermutlich irgendwo dazwischen, was die Intensität der Repression angeht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die US-amerikanische Demokratie seit ihrem Bestehen die Interessen von Eliten vor denen der Mehrheit klar priorisiert, und dass die Machtkonzentration im Weißen Haus eine Entwicklung über Jahrzehnte darstellt, die nicht erst seit der Präsidentschaft von Trump eingesetzt hat.

Viele linke Strateginnen und Kommentatoren in den USA bezweifeln, dass sich die rhetorische Begeisterung der Republikaner für die Arbeiterklasse und die kleinen Leute in eine Politik übersetzen wird, die diesen Menschen tatsächlich zugute kommt: Der Läuterung von Vance und dem Auftritt von O’Brien zum Trotz ist die Basis der Partei weiterhin von Kleinunternehmern aus den Vorstädten und Provinzmagnaten geprägt, die gewerkschaftliche Organisierung und Umverteilung durch Steuern und Sozialsysteme eindeutig ablehnen.

Die neue republikanischen Koalition ist nicht ohne innere Widersprüche. Allein: Dasselbe kann man über die Demokraten sagen. Auch innerhalb ihres Bündnisses muss die organisierte Arbeiterklasse und der linke Parteiflügel im jede noch so kleine soziale Errungenschaft betteln, während die Interessen der Sponsoren überwiegen. Die Demokraten gleichen diese Widersprüche seit Jahrzehnten intern aus, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Warum sollte es den Republikanern also wesentlich schwerer fallen, eine klassenübergreifende Koalition langfristig zusammenzuhalten?

Die Umfragewerte zur Präsidentschaftswahl haben sich seit dem Attentatsversuch erstaunlich wenig bewegt: Die parteipolitischen Lager sind verfestigt, und Biden kann wahrscheinlich nicht noch sehr viel weiter fallen. Er liegt derzeit landesweit in den meisten Erhebungen um wenige Prozentpunkte zurück, in wichtigen Swing States wie Arizona, Pennsylvania oder Wisconsin ist sein Rückstand allerdings deutlicher. Dies könnte sich zwar noch ändern, sollten sich die Republikaner nun in Sicherheit wiegen und unter Trump und Vance noch radikalere Töne anschlagen, etwa, was ihre Position zu Abtreibungsrechten oder gleichgeschlechtlichen Ehen angeht, mit denen sie gesellschaftlich klar in der Minderheit sind. Doch ein Sieg von Biden scheint weiter unwahrscheinlich, und seine Partei wird immer nervöser. Immer mehr demokratischen Senatoren und Abgeordnete wagen sich aus der Deckung und fordern seinen Rückzug. Zu allem Überfluss ist der Präsent auch noch an Corona erkrankt. Seine Kandidatur könnte sich ihrem Ende zuneigen.

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