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Joe Bidens Rückzug: Fünf nach zwölf

Wolfgang Hübner über den Rückzug von US-Präsident Biden aus dem Wahlkampf

Und tschüss: US-Präsident Joe Biden beendet auch angesichts des wachsenden Drucks aus den eigenen Reihen seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit.
Und tschüss: US-Präsident Joe Biden beendet auch angesichts des wachsenden Drucks aus den eigenen Reihen seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit.

Am Ende war es nur noch eine Frage der Zeit: Dass US-Präsident Joe Biden den Wahlkampf bis November durchzieht, und das auch noch erfolgreich, konnten sich immer weniger Menschen vorstellen. Sponsoren sprangen ab, und auch im eigenen Lager mehrten sich die Stimmen, die an Bidens gesundheitlicher und mentaler Eignung zweifelten, und eine der gewichtigsten dürfte die von Barack Obama gewesen sein. Dass er, der einst äußerst populäre Präsident, dessen Vize und Vertrauter Biden war, an dessen Fähigkeit zweifelte, den Belastungen des restlichen Wahlkampfs und vor allem der nächsten Amtszeit gerecht zu werden, dürfte in der öffentlichen Meinungsbildung der Demokraten wie auch im Selbstbild von Joe Biden ein empfindlicher Rückschlag gewesen sein.

Die entscheidende Frage für die Demokraten ist aber zunächst nicht, wie die kommende Amtsperiode aussehen soll, sondern wie sie einen Sieg von Donald Trump verhindern können. Jenes Mannes, der wie ein Bulldozer die Republikaner überrollt hat und der sich nach dem Attentat in eine Art Heiligenstatus hineinsteigert. Der Mann polarisiert nach einer kurzen Schrecksekunde wie eh und je, und von einer zweiten Amtszeit kann man eigentlich nur Düsteres erwarten. Denn erstens hat er sich, seinen Kurs und seine Rhetorik weiter radikalisiert. Zweitens träfe er als erneuter US-Präsident mittlerweile auf eine ganze Reihe von gleichgesinnten egomanischen, nationalistischen, autokratischen und demokratieverachtenden Staats- und Regierungschefs, von denen einige seine gelehrigen Schüler sind. Und drittens muss man damit rechnen, dass eine zweite Präsidentschaft Trumps nicht wie die erste stark von Chaos und Wurstigkeit geprägt sein würde, sondern inzwischen ein vergleichsweise professionelles Team um ihn herum am Start ist.

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Die Demokraten müssen nun schnell eine Entscheidung treffen: Wer tritt an Bidens Stelle? Ihr bisheriger Wahlkampf war voll auf den Noch-Präsidenten zugeschnitten, der sich selbst als den einzigen möglichen Trump-Bezwinger inszenierte. Vieles läuft auf seine Vizepräsidentin Kamala Harris zu. Die hat allerdings den schweren Nachteil, dass sie im Wahlkampf bisher kaum eine Rolle spielte. Vor allem aber: Sie hat auch nach vier Jahren an Bidens Seite kaum ein eigenständiges politisches Profil. Schon gar nicht eines, mit dem die vielen empörten und krisengeplagten Leute aus der Unter- und Mittelschicht zu überzeugen wären, die massenweise Trumps Make-America-great-again-Parole folgen.

Nicht zufällig hatte Senator Bernie Sanders, die Ikone der demokratischen Linken, erst dieser Tage noch auf Biden gesetzt – weil der seiner Ansicht nach eher die traditionellen, aber bröckelnden Wählerschichten der Demokraten erreichen könnte. Da wird Kamala Harris, die aus einer Akademikerfamilie stammt, Probleme haben, sich in den verbleibenden Wochen eine gewisse Glaubwürdigkeit zu erarbeiten. Erst recht, da Trump in einem cleveren Schachzug mit J. D. Vance eine Vizekandidaten an seine Seite holte, der selbst aus der umworbenen Unterschicht kommt, das in einem Bestseller vermarktete und mit seiner Karriere bis zum millionenschweren Unternehmer und erfolgreichen Politiker den amerikanischen Traum vom Aufstieg aus eigener Kraft bilderbuchartig verkörpert.

Die Chance dagegenzuhalten haben die Demokraten noch. Sie wäre allerdings größer, hätten sie rechtzeitig die personellen Weichen in Richtung Zukunft gestellt. Und hätten sie sich vor allem in den letzten vier Jahren stärker um eine überzeugende Alternative nicht nur zu der bizarren Medienfigur Trump, sondern auch zu seinem nationalistischen, reaktionären politischen System bemüht. Insofern ist Bidens verspäteter Rückzug nur ein Symptom der Demokraten-Misere. Womöglich ist es für sie schon fünf nach zwölf.

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