USA: Kamala Harris in der Pole-Position

US-amerikanische Vizepräsidentin bekommt viel Unterstützung aus der Demokratischen Partei und sozialen Bewegungen

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 5 Min.
Kamala Harris (M.) auf dem Sprung ins Präsidentenamt der USA? Nach dem Rückzug von Joe Biden rückt das in den Bereich des Möglichen.
Kamala Harris (M.) auf dem Sprung ins Präsidentenamt der USA? Nach dem Rückzug von Joe Biden rückt das in den Bereich des Möglichen.

»Ich fühle mich durch die Unterstützung des Präsidenten geehrt und meine Absicht ist, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen.« Wie CNN mitteilt, hat Kamala Harris nach Joe Bidens Rückzug insgesamt mehr als zehn Stunden mit Telefonaten verbracht. Bei jedem dieser Telefonate soll Harris klargemacht haben, dass sie für die Unterstützung des Präsidenten äußerst dankbar sei, aber hart dafür arbeiten wolle, die Nominierung der Demokraten aus eigener Kraft zu erlangen.

Rückenwind für Kamala Harris

Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris geht mit viel Rückenwind ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei. Bidens Ankündigung, er würde sich aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückziehen und Vizepräsidentin Kamala Harris seine volle Unterstützung geben, folgten im Minutentakt Statements prominenter Demokraten, aber auch progressiver Organisationen, die sich ebenfalls für Harris aussprachen. So waren es neben den Clintons und zahlreichen Abgeordneten und Senatoren und Senatorinnen auch Nichtregierungsorganisationen und »Grassroots«-Gruppierungen, die der 59-Jährigen ihre Unterstützung zusagten. Landesweite Organisationen, die sich im vergangenen Jahrzehnt im Umfeld des demokratischen Sozialisten Bernie Sanders zusammengefunden hatten und eine progressive politische Infrastruktur aufrechterhalten, gaben für Harris vorläufige Unterstützungserklärungen ab, etwa »Indivisible«, »MoveOn« und »Our Revolution«. Die Leitung der American Teachers Federation, der mit 1,7 Millionen Mitgliedern zweitgrößten US-Lehrergewerkschaft, beschloss noch am Nachmittag einstimmig die Unterstützung für Harris, ebenso die kleine und militante kalifornische Gewerkschaft »United Farm Workers«. Aus den Reihen der linken »Squad« im Kongress stellten sich Ilhan Omar (Minnesota) und Alexandria Ocasio-Cortez (New York) hinter Harris. Auf X, ehemals Twitter, forderte Letztere, »die Partei und das Land umgehend zu vereinen, um Donald Trump und die Bedrohung der amerikanischen Demokratie niederzuringen«. Zahlreiche Bürgerrechtsgruppierungen wie auch feministische und LGBTQ-Organisationen schlossen sich an.

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Komplett ist die Rückendeckung für Kamala Harris noch nicht. Die beiden Granden der Partei übten bisher Zurückhaltung: Ex-Präsident Barack Obama und die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Obama drückte aus, er sei »außergewöhnlich zuversichtlich, dass unsere Parteiführer einen Prozess in die Wege leiten können, aus dem sich ein vorzüglicher Nominierungskandidat ergibt«. Dass die »Sphinx der Partei«, wie Obama auch genannt wird, Harris nicht nannte, könnte auf anstehende Richtungskämpfen hinweisen. Als Gegenkandidaten, die progressive Vorstellungen ablehnen und sich als Kandidaten gegen Harris aufstellen lassen könnten, wurde beispielsweise der konservative Senator Joe Manchin aus dem Bundesstaat West Virginia genannt.

Alle vereint gegen Trump

Die Demokratische Partei ist keine fest strukturierte, nationale Partei, deren Existenzgrund und Hauptaufgabe darin bestünde, gegen Republikaner-Kandidaten zu gewinnen. So eine Organisation existiert nicht. Stattdessen sind die Demokraten eine Summe aus mehr oder weniger talentierten Berufspolitiker*innen unterschiedlicher Couleur, die jeweils, unterstützt von Büromitarbeiter*innen, einflußreichen Spender*innen und Beraterfirmen, die meiste Zeit intern um Macht und Einfluss kämpfen oder ihre nächste Karrieremöglichkeit planen. Ein Parteileben, etwa regelmäßige Treffen von Parteigruppen, gibt es nicht. Manchmal aber, wie jetzt, überschneiden sich die Interessen dieser losen Gruppe mit dem Ziel, in allgemeinen Wahlen den Republikanern den Schneid abzukaufen. Dabei ist immer zu unterscheiden zwischen diesen Parteieliten und der Basis. Millionen von Menschen sind als Demokraten registriert, aber darin erschöpft sich ihr Organisationsgrad. Sie wollen unbedingt Trump schlagen, damit beispielsweise Abtreibungs- und Bürgerrechte sowie das Klima geschützt werden. Doch über eine Partei westeuropäischen Zuschnitts, die sich als politische und soziale Interessensvertretung versteht, verfügen die Demokratennicht.

Im progressiven Lager der Demokraten, das sich bis zu Bidens Rückzug vom Wahlkampf hinter ihn gestellt hatte, darunter auch Bernie Sanders, tauchten immer wieder Warnungen vor Parteieliten auf, denen die Wirtschafts- und Sozialpolitik Bidens ein Dorn im Auge sei und die gegen wirtschaftliche Regulierungsmaßnahmen opponieren. Tatsächlich waren die »Bidenomics« genannten Initiativen eine Abkehr vom neoliberalen Dogma. Dazu zählen nicht nur die von der Biden-Regierung durchgesetzten Milliardensummen für Infrastruktur und sozialpolitische Auffangmaßnahmen, sondern auch Bidens offene Unterstützung für Gewerkschaften. Sanders nannte Biden jüngst »einen der arbeiterfreundlichsten Präsidenten« in der Geschichte der USA.

Kamala Harris war im parteiinternen Vorwahlkampf 2019 sang- und klanglos untergegangen. Als Vizepräsidentin stand sie im Schatten von Biden. Doch auf ihr ruht jetzt die Hoffnung vieler progressiver Organisationen, den Wahlkampf gegen Trump und die Republikaner mit »Brot-und-Butter«-Themen zu führen. Sie hatte Bidens »American Rescue Plan« von 2021 und den »Inflation Reduction Act« ein Jahr darauf offensiv verteidigt. Als Innenministerin von Kalifornien und als Senatorin war sie nach Auffassung progressiver Organisationen sogar noch über »Bidenomics« hinausgegangen. So forderte sie beispielsweise eine allgemeine Krankenversicherung und weitreichendere Steuererhöhungen als Biden. In ihrer kalifornischen Amtszeit von 2011 bis 2017 setzte sie sich für einen starken Verbraucherschutz ein.

Kamala Harris hat gute Karten, Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu werden. Und die ersten Umfragen räumen ihr sogar gute Chancen ein, mit dem Republikaner Donald Trump wetteifern zu können. So lagen Harris und Trump in einer Reuters/Ipsos-Umfrage vom 15. und 16. Juli landesweit mit jeweils 44 Prozent Unterstützung gleichauf. Aber abgerechnet wird erst am 5. November bei den Präsidentschaftswahlen und davor beim Parteitag der Demokraten ab dem 19. August. Es ist angerichtet.

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