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Gaza-Krieg: Huthi-Miliz demonstriert Machtposition
Drohnenangriff auf Israel dient vor allem innenpolitischen Zielen im jemenitischen Bürgerkrieg
Es war wohl nur ein kleiner, schwacher Punkt auf einem Radarschirm, leicht zu übersehen. Und genau das sei passiert, teilte das israelische Militär am Sonntag mit. Ein Mitarbeiter der militärischen Luftraumüberwachung sei nur wenige Sekunden abgelenkt gewesen; die Katastrophe nahm ihren Lauf: Mitten in Tel Aviv schlug am Freitagmorgen eine weniger als 20 Kilo schwere Drohne iranischer Bauart ein. Ein Mensch wurde getötet, Läden verwüstet.
Weltweit horchten Sicherheitspolitiker und Behörden auf. Denn gestartet worden war die Drohne von der Huthi-Miliz im Nord-Jemen; ihre Reise führte das unbemannte Fluggerät rund 2600 Kilometer weit über den Sudan und Ägypten nach Israel. Dabei habe sie mehrfach die Flughöhe geändert, sei teilweise so tief geflogen, dass sie auch mit modernster Technik kaum zu bemerken gewesen sei, und das nicht nur in Israel, sondern auch von den US-Kriegsschiffen im Roten Meer.
Israel konnte frühere Angriffe abwehren
Noch Mitte April hatte man einen iranischen Raketen- und Drohnenangriff auf Israel bequem abwehren können, bevor die meisten Geschosse überhaupt den israelischen Luftraum erreichten. Vor allem in Saudi-Arabien und den Emiraten (VAE) hatten sich Politiker und Medien über die Revolutionsgarden lustig gemacht. Nun zeigt sich: Der Iran verfügt über sehr viel größere militärische Fähigkeiten. Und die Technologie befindet sich auch in Händen von Gruppen wie der Huthi-Miliz.
Zuletzt war der Jemen international in den Hintergrund geraten, weil der Krieg im Land seit 2022 durch einen Waffenstillstand zwischen den Huthi, die Nord-Jemen kontrollieren, und der von Saudi-Arabien und dem Westen unterstützten Regierung stark abflaute. Schon zuvor hatten die Huthi im Norden rund um die Hauptstadt Sanaa eigene staatliche Strukturen errichtet.
Jemen in Vergessenheit geraten
Doch der dem Krieg zugrunde liegende Konflikt blieb bestehen: Die Huthi streben eine Dezentralisierung und Machtteilung mit anderen gesellschaftlichen Kräften im gesamten Jemen an. Die Regierung und die saudische Führung hingegen lehnen das ab. Seit Jahren streitet man in den Friedensgesprächen im Oman über die Verteilung der Staatseinnahmen und Ämter, darüber, wie der Wiederaufbau gestaltet werden soll.
Vor allem bei der Uno geht man deshalb davon aus, dass es beim Eintritt der Huthi in den Gaza-Krieg weniger um Unterstützung der Hamas geht, vielmehr um die Festigung der eigenen Stellung im Jemen. Doch das Schicksal der Menschen im Gazastreifen bewegt auch im Jemen die Gemüter. Nachdem die Huthi erstmals Schiffe im Roten Meer angegriffen hatten, gingen Zehntausende jubelnd auf die Straße – nicht nur im Norden, wo die Huthi ihre gesellschaftliche Basis haben, sondern auch vielerorts im Süden, wo die politische Ausrichtung der Huthi den Menschen eigentlich fremd ist. Am Freitag, nach Bekanntwerden des Drohnenangriffs auf Tel Aviv, demonstrierten ausgerechnet in der südjemenitischen Hafenstadt Aden Tausende: Dort sitzt die Regierung, deren Mitglieder sich aber großteils in Saudi-Arabien aufhalten.
Angriff auch auf die jemenitische Regierung
Am Wochenende griffen israelische Kampfflugzeuge die Hafenstadt Al-Hudeida am Roten Meer an. Bilder zeigen eine Feuersbrunst. Anwohner berichten, eine Ölanlage sei getroffen worden. »Das Feuer, das zurzeit in Al-Hudeida brennt, ist im gesamten Nahen Osten zu sehen, und seine Bedeutung ist klar«, sagte Israels Verteidigungsminister Joaw Galant. Rund 300-mal hätten die Huthi Israel bereits angegriffen.
Doch Israels Vergeltung dürfte die Lage weiter anfachen – und den Huthi noch mehr Unterstützung einbringen. Am Sonntag gingen erneut Zehntausende auf die Straße. Anwohner berichten, die Stimmung sei noch aufgeheizter als vor einigen Tagen. Dazu dürften auch die Berichte der von den Huthi kontrollierten TV- und Radio-Sender beitragen, die nach iranischem Vorbild Israel als größten Feind darstellen.
Westen setzt weiter auf offizielle jemenitische Regierung
Allerdings deutet trotzdem wenig darauf hin, dass im Nord-Jemen ein zweiter Iran entsteht. In den vergangenen Jahren zeigte sich immer wieder, dass die militärische und politische Führung der Huthi nur begrenzt Befehle aus Teheran annimmt. Und auch das Regierungssystem entwickelt sich eher vom iranischen Vorbild weg.
In einem Brief mehrerer US-Botschafter an das Außenministerium in Washington forderten die Diplomaten im März, man müsse endlich in den Dialog mit der Huthi-Führung treten. Doch auch dafür gibt es keine Anzeichen: Alle Staaten des Westens setzen auf die offizielle Regierung, so machtlos und unbeliebt sie auch sein mag.
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