Bundesregierung zu IGH-Gutachten: »Kein Völkerrecht à la carte«

Nach der Stellungnahme des Internationalen Gerichtshofs zu Israels Besatzungspolitik findet das Auswärtige Amt klare Worte, ob Taten folgen werden?

Der IGH hat sich zu verschiedenen Verbrechen Israels in Palästina geäußert, darunter auch zur Apartheid. Andere Staaten dürften dies nicht unterstützen, so die Forderung.
Der IGH hat sich zu verschiedenen Verbrechen Israels in Palästina geäußert, darunter auch zur Apartheid. Andere Staaten dürften dies nicht unterstützen, so die Forderung.

Fast drei Tage brauchte die Bundesregierung offenbar, um auszutüfteln, wie man auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur israelischen Besatzung der Palästinensischen Gebiete reagieren will. Während das Kanzleramt sich am Montag eher zurückhaltend gab, fand das von Annalena Baerbock (Grüne) geführte Auswärtige Amt in Berlin deutlichere Worte gegenüber dem engen Verbündeten Deutschlands. Ob Taten folgen werden, bleibt allerdings fraglich.

Am Freitag hatten die IGH-Richter befunden: Die israelische Besatzung der Palästinensischen Gebiete stellt eine permanente Annexion dar und ist als solche völkerrechtswidrig; die Behandlung der Palästinenser in den besetzten Gebieten kommt der Apartheid gleich; alle Staaten müssen darauf hinarbeiten, dem israelischen Völkerrechtsbruch entgegenzuwirken.

Für Deutschland müssten daraus schwerwiegende Konsequenzen folgen. Denn die Bundesregierung unterstützt Israel seit Jahrzehnten politisch, wirtschaftlich wie militärisch und gilt neben den USA als der wichtigste Alliierte der israelischen Regierung. Jede der israelischen Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten trieb die Siedlungs- und Besatzungspolitik voran, die das IGH jetzt in Gänze für völkerrechtswidrig erklärte.

Aus dem Kanzleramt hieß es dazu am Montag lediglich: »Die Bundesregierung nimmt das Rechtsgutachten zur Kenntnis und respektiert die Unabhängigkeit des Gerichtes.« Das Gutachten bestätige in vielerlei Hinsicht die Haltung der Bundesregierung – insbesondere zur israelischen Siedlungspolitik. Die einzelnen Punkte des Gutachtens wolle man sich aber erst noch anschauen, so Christiane Hoffmann, stellvertretende Sprecherin von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Bei diesem Framing sind sich Kanzleramt und Auswärtiges Amt (AA) anscheinend einig. Auch der Sprecher des AA, Christian Wagner, betonte am Montag mehrfach, die Bundesregierung habe sich schon immer für eine Zweistaatenlösung eingesetzt. Zu den Details müsse man sich das Gutachten jetzt genau anschauen und prüfen, was daraus für die deutsche Außenpolitik folge.

Aus dem AA ertönten dann etwas kritischere Worte: »Die israelische Regierung ist gut beraten, sich das Urteil genau anzuschauen und ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen«, so Wagner. Zwar handele es sich nicht um ein rechtsbindendes Urteil, dennoch sei das die Auffassung des höchsten Gerichtes der UN. Auf die Frage, ob Berlin nicht nur die israelischen Siedlungen, sondern auch die Besatzung als solche als illegal anerkenne, antwortete der AA-Sprecher: »Es gibt kein Völkerrecht à la carte. Es gibt ein nicht bindendes völkerrechtliches Gutachten des höchsten Gerichtshofs, das genau das sagt.« Da gebe es nicht viel Interpretationsspielraum.

Betreibt Israel aus Sicht der Bundesregierung eine Apartheid-Politik, wie es eine Mehrheit der IGH-Richter befand? Der Begriff setze einen Ton, der für eine Lösung des Konfliktes nicht hilfreich sei, erklärte Wagner. »Aber im Gutachten selbst wird jetzt festgehalten, dass es offensichtlich eine Ungleichbehandlung zwischen Palästinensern und Israelis gibt.«

Eine Verantwortung für die Besatzungspolitik sieht das AA trotz der jahrzehntelangen Unterstützung Israels nicht. Zwar habe die Bundesregierung eine historische Verantwortung für die Sicherheit des Landes, daraus leite sich aber keine Unterstützung für das Besatzungregime in den Palästinensischen Gebieten ab, so Wagner.

Dass in der Israel-Haltung zwischen Auswärtigem und Kanzleramt eine Diskrepanz besteht, wird immer deutlicher. Auch aus AA-Kreisen heißt es regelmäßig, Baerbock habe in vielen Fragen eine kritischere Haltung gegenüber Israel als Olaf Scholz. Eine Distanzierung von dem Verbündeten werde es mit ihm nicht geben. Auf zwei elementare Punkte scheint man sich aber geeinigt zu haben: Was im IGH-Gutachten steht, habe die Bundesregierung ohnehin vertreten, Mitverantwortung trage Deutschland nicht. In den Worten des AA-Sprechers: »Es ist vor allem an der israelischen Regierung, aus dem Gutachten Schlussfolgerungen zu ziehen.«

Ob die Bundesregierung nach dem IGH-Gutachten konkrete Konsequenzen oder gar einen Richtungswechsel in Sachen Israel-Politik einschlägt, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen. Für diejenigen, die sich innerhalb der Bundesregierung für eine Distanzierung Israels einsetzen, wird das IGH-Gutachten eine willkommene Grundlage bieten.

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