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Belarus: Ein Deutscher für den »Tiergartenmörder«?
Nach der Todesstrafe für Rico K. in Minsk wird über einen möglichen Tausch von Gefangenen mit Berlin spekuliert
Wie geht es weiter mit Rico K.? Erst am Freitag war bekannt geworden, dass der 30-jährige Deutsche Ende Juni vom Minsker Bezirksgericht zum Tod durch Erschießen verurteilt wurde. Seit Montag soll das Urteil rechtskräftig sein. Gleichzeitig werden neue Details des merkwürdigen Falles öffentlich.
Gefährlich wirkt Rico K. nicht. Die Bilder, die belarussische Staatsmedien aus dem Gerichtssaal veröffentlichten, zeigen einen jungen ruhigen Mann, nicht einen Söldner und Terroristen. Doch genau das (und vier weitere Straftaten) hat die Minsker Staatsanwaltschaft dem 30-jährigen ehemaligen Notfallmediziner des Deutschen Roten Kreuzes vorgeworfen und die Todesstrafe durchgesetzt. K. hat nur in einem Anklagepunkt seine Schuld eingestanden (»Agententätigkeit«) und keinen Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Warum, ist nicht bekannt.
Tourist mit Drohnen?
K. soll im vergangenen Oktober als Tourist nach Belarus eingereist sein. Im Gepäck: Telefone, Drohnen und den Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes SBU, bestimmte Objekte zu fotografieren, schreibt die Staatszeitung »Belarus segodnja«. Später soll er von den Ukrainern selbstgebastelte Sprengsätze erhalten und an einer Bahnstrecke, die auch dem belarussischen und russischen Militär als Drehscheibe dient, gezündet haben.
Bei seiner Flucht in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku sei er festgenommen worden, gibt die Zeitung die offizielle Version wieder und stellt K. als leichtgläubigen Menschen dar, der zwar über den Krieg in der Ukraine nicht viel weiß, sich aber dennoch entschloss, dem Kastus-Kalinouski-Regiment anzuschließen, einer belarussischen Freiwilligeneinheit der ukrainischen Armee. Zum Terroristen sei er letztendlich aus »Unbesonnenheit« geworden. Glaubwürdig klingt die Geschichte nicht.
Täterschaft sehr zweifelhaft
Auf Nachfrage der »Nowaja Gaseta Europa« weist das Kastus-Kalinouski-Regiment jegliche Zusammenarbeit mit K. zurück. Der Deutsche habe nie eine Verbindung zum Regiment gehabt. »Das ist absoluter Fake«, erklärt der Regiment-Vertreter Wadim Kabantschuk.
Fragwürdig ist auch, ob K. der kein Russisch spricht, eine Eisenbahnstrecke gesprengt hat. Das Projekt »Gemeinschaft der Eisenbahner von Belarus« vermutet eher eine False-Flag-Aktion. In der Nähe des Tatortes sind mehrere Armeeeinheiten stationiert, gibt das Projekt zu bedenken. Unklar, warum niemand eingriff. Auch seien Mitarbeiter des belarussischen Geheimdienstes KGB vor Ort gewesen. Deshalb sei es sehr wahrscheinlich, dass sie für die Explosion verantwortlich waren. Dafür spricht laut den Aktivisten auch, dass kaum Schaden entstanden ist.
Fragen gibt es auch zum Anwalt von K. Der soll nach Angaben der Menschenrechtsgruppe Wjasna zwar Deutsch sprechen, aber Experte für Wirtschaftsrecht sein und sich im Strafrecht nicht auskennen.
Austausch gegen »Tiergartenmörder«?
Warum also die Verurteilung? Franzischak Wjatschorka, belarussischer Journalist und Berater der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Svetlana Tichanowskaja, geht davon aus, dass K. als »Geisel für einen Austausch« gehalten wird. Davon zeuge vor allem das schnelle Tempo, in dem Minsk der Bundesregierung Verhandlungsbereitschaft signalisiert hat. »Wofür eintauschen? Es gibt zwei Varianten – für ein Entgegenkommen der deutschen Seite oder einen Dialog mit Minsk. Die zweite Variante – für jemanden, der Moskau wichtig ist«, kommentierte Wjatschorka den Fall gegenüber dem Onlinemedium »Waschnyje istorii«.
Seit Bekanntwerden des Urteils gegen Rico K. brachten belarussische Medien und Menschenrechtler immer wieder den »Tiergartenmörder« Wadim Krasikow ins Gespräch, den Minsk versuchen könnte, freizupressen. Der Geheimdienstmitarbeiter Krasikow hatte im August 2019 den tschetschenisch-georgischen Rebellenkommandeur Selimchan Changoschwili im Kleinen Tiergarten erschossen und wurde dafür zu lebenslanger Haft verurteilt.
Urteil ist ein Wettlauf gegen die Zeit
Mehrfach hatte der Kreml durchblicken lassen, Krasikow per Gefangenenaustausch zurück nach Russland holen zu wollen. Präsident Wladimir Putin soll bereit gewesen sein, den Oppositionellen Alexej Nawalny »einzutauschen«, was durch dessen Tod im Februar verhindert wurde. Auch der »Wall Street Journal«-Korrespondent Evan Gershkovich, der am Freitag wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde, gilt als möglicher Tauschkandidat.
Warum ausgerechnet K. ein Kandidat für den Krasikow-Tausch sein soll, erschließt sich nicht unbedingt. Zumal nach Angaben der Bundesregierung vom Februar fast 30 deutsche Staatsangehörige in russischen Gefängnissen sitzen. Nötig hat Putin dieses »Geschenk« also nicht. Für K. ist das Urteil auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Nach Berechnungen des Portals »Serkalo« vergehen zwischen Verhängung und Durchführung des Todesurteils im Schnitt elf Monate. Bis dahin muss Präsident Alexander Lukaschenko klar sein, was er mit der Verurteilung von Rico K. bezwecken will.
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