- Sport
- Rückblick auf Spiele in Tokio
Der dunkle Schatten der Sommerspiele von Tokio
Mit den eigentümlichsten Olympischen Spielen verbinden die Japaner kaum gute Erinnerungen
Denkt Shino Haseo an das große Sportevent, das immer noch »Tokio 2020« heißt, obwohl es vor drei Jahren in ihrer Heimatstadt stattfand, zuckt sie mit den Schultern: »Es kommt einem heute wie ein Ereignis vor, das man schon wieder vergessen hat.« Die 40-jährige Erzieherin gibt zu, dass sie sich einst auf Olympia gefreut hat. Aber als die Sommerspiele endlich begannen, war die anfängliche Begeisterung längst verschwunden.
Da war ja nicht nur die belastende Corona-Pandemie, wodurch die größte Sportveranstaltung der Welt um ein Jahr auf den Sommer 2021 verschoben wurde. Als es dann endlich so weit war, hatten die Menschen in Japan Olympia aus mehreren Gründen den Rücken gekehrt. »Nur für die neuen Sportarten wie Skateboard und Surfing hat Olympia einen starken Eindruck hinterlassen«, denkt Haseo zurück. Aber das liege wohl eher daran, dass man die hier vorher kaum gesehen hatte und Japan darin Medaillen gewann. »Aber es gab insgesamt auch viel zu viele Skandale. Da blieben keine guten Erinnerungen übrig.«
Was Haseo sagt, ist in Tokio häufig zu hören. Die Sommerspiele waren eine schockierend unbeliebte Veranstaltung – nicht nur wegen mehrerer Korruptionsskandale. Inmitten der Pandemie zeigten Umfragen schon vor der Austragung, dass zwei Drittel im Land für eine weitere Verschiebung oder eine Absage der Spiele waren. Die Veranstalter zogen Olympia trotzdem durch. Sportlich lief es dann rund – mit vielen Medaillen für Japan. Trotzdem war direkt nach dem Ende der Spiele, und auch noch ein Jahr später, rund die Hälfte des Landes der Meinung, 2021 hätte es in Tokio keine Sommerspiele geben dürfen.
Mitten in der Pandemie wurden die Menschen zum Daheimbleiben angehalten. Aus dem Ausland durften keine Gäste anreisen. Aber für die Wettbewerbe kamen 10 000 Athletinnen und Athleten ins Land. Immerhin gelang es der Gastgeberstadt Tokio, die Spiele reibungslos über die Bühne zu bringen. Wäre das nicht Grund, stolz zu sein?
Der Bluesmusiker Motockney Nuquee schüttelt den Kopf: »So hat das kaum jemand empfunden. Es fühlte sich eher so an, dass die Organisatoren einfach ihr Recht durchgesetzt haben.« Olympia solle doch das Fest der Sportler und der normalen Menschen sein. Aber das sei es nie geworden. »Man redet heute gar nicht mehr darüber.« Tokios Olympia wurde aber nur für einige wenige eine große Party. Sponsoren bestachen Organisatoren im großen Stil. Im Frühjahr 2023 kamen dann die ersten Gerichtsurteile: Einige Manager von Olympia-Partnern, beispielsweise vom Kleidungshersteller Aoki oder der PR-Firma ADK, haben bereits Haftstrafen erhalten.
Die Tokioter Olympia-Organisatoren hatten den Mund etwas zu voll genommen. Der damalige Premierminister Shinzo Abe hatte einen Wirtschaftsboom für Japan versprochen. Außerdem sollten die Spiele ohne Kosten für die Steuerzahlenden auskommen. Und durch die mehrwöchige Sportparty würde der Austausch mit der Welt verstärkt. Am Ende geschah nichts davon: Der ohnehin sehr optimistisch kalkulierte Wirtschaftsboom blieb schon wegen der Pandemie aus. Die Erzählung von Spielen ohne Kosten für die Allgemeinheit entpuppte sich schnell als buchhalterischer Trick. Und internationales Flair war bei Olympia vor leeren Rängen kaum zu spüren. So fiel auch ein weiterer Effekt schwach aus, den sich Olympia-Gastgeber stets erhoffen: dass der Nachwuchs motiviert wird, Sport zu treiben.
So beurteilt es Carola Hommerich, Soziologieprofessorin an der Sophia-Universität in Tokio. Auf die Frage, ob ihre Kinder im Schulalter irgendetwas von den Spielen mitgenommen haben, antwortet sie: »Die Olympiade hat für sie überhaupt keine Rolle gespielt.« Mit Schülern zu den Wettbewerben zu gehen, war nicht mehr möglich. »Dass Kinder sich da inspiriert fühlten und sagten: ›So will ich auch werden‹, das habe ich nicht beobachtet.« Die Pläne, Schulklassen zu den Sportstätten zu bringen, wurden pandemiebedingt gestrichen.
Mittlerweile ist die Regierung auch kleinlaut, was die sonst so oft betonten Hinterlassenschaften von Olympia angeht. Es gibt kaum welche. Wie groß und dunkel der Schatten dieser Spiele von Tokio ist, zeigte sich sogar noch Ende 2023. Inmitten mehrerer Korruptionsskandale rund um »Tokyo 2020« zog die nordjapanische Stadt Sapporo ihre Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2030 zurück. Man wolle nicht schon wieder gegen die öffentliche Stimmung ein Großevent veranstalten, war zu hören. Für künftige Bewerbungen dürften die Spiele von Tokio nun als mahnendes Beispiel dienen.
Dem Schneider und Fußballfan Itsuki Hozumi fällt dann doch auch etwas Positives ein: »Das Olympiastadion wird immerhin weiter benutzt.« Die Fußballnationalmannschaft spielt da jetzt, auch große Konzerte werden dort ausgetragen. »Ich war jetzt schon einige Male da, und ich finde, es ist wirklich ein sehr schönes Stadion.« Für Reisende aus dem Ausland ist das Stadion, dessen Struktur weitgehend aus Holz gebaut wurde, heute eine beliebte Attraktion. Bei Sportfans schwingt jedoch die Erinnerung mit, dass die Tribünen damals leer bleiben mussten, als im Sommer 2021 die ganze Welt hinsah.
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